Fremdgehört – Der musikalische Seitensprung 4
Neuerscheinungen, Klassiker oder Lieblingssongs: In unregelmäßigen Abständen geben sich pfa und claas gegenseitig Musiktipps, die der Andere kommentieren, bewerten und verreißen darf.

Weltherrschaft. Ein Online-Mag. Ein Punkrock-Podcast. Mehr Bier. Wenn Claas (cr) und Pascal (pfa) sich trotz Corona mal im Viertel treffen und an den Ecken rumlungern, haben sie große, irre, manchmal verrückte Pläne. Am Ende bleibt es oft bei Sätzen wie: Lass mal was machen. Lass mehr über Musik reden. Statt weiter destruktiv zu sein, wird jetzt gemacht. Herausgekommen ist bereits im vergangenen Sommer ein Format, in dem sich die Beiden gegenseitig Musik-Tipps geben und der andere sie zerreißen oder abfeiern darf. Heute mit den letzten drei Alben, die pfa und claas jeweils zuletzt gekauft haben. Ganz unten gibt es die Spotify-Playlist dazu.
(cr)-Tipp 1: Chamberlain – Fates got a driver
Was musste ich mir von pfa bei der letzten Ausgabe von Fremdgehört nicht alles anhören! Traurige alte Männer Musik hatte der Kollege mir vorgeworfen. Dabei behandelte es sich bei den Lieder von The Killers und Trümmer doch durchaus um sehr jugendliche Themen. Sogar das Wort Rentner fiel. Aber abfinden, dass es bei mir ruhiger wird, muss pfa sich nicht. Thema dieses Mal also die letzten drei gekauften Platten. Was bei mir tatsächlich drei Wiederveröffentlichungen sind. Sollte da etwa doch an der Theorie des alten Mannes etwas dran sein? Mitnichten, denn es gibt gute Gründe, warum ich diese Platten damals nicht gekauft habe. Als vor 25 Jahren Fates got a driver veröffentlicht wurde, war ich schlichtweg noch zu jung. Erst bei dem (allseits beliebten) Nachfolger My Moon My Saddle lernte ich Chamberlain kennen. Jedoch konnte ich zunächst nicht so viel mit dem Album anfangen, zu wenig „Emo“ war es mir, zu sehr Springsteenesk, was seltsam anmutet, gehörte Springsteen damals zu einem meiner Lieblingskünstler und hörte ich eben jene Musik, Springsteenangehauchter Punkrock, wenige Jahre später exzessiv. Zum 25-jährigen Jubiläum hat das Hamburger Label Arctic Rodeo Recordings Fates got a driver, erweitert um Bonussongs wiederveröffentlicht. Was soll ich sagen? Jetzt verstehe ich, warum das Album für viele Menschen so wichtig war!
Das sagt (pfa): Ich weiß nicht, was Claas 1995 getan hat. Diese Platte hatte ihn damals auf jeden Fall noch nicht überzeugt. Obwohl es ein Meilenstein der Midwest-Emo-Szene gewesen sein soll. Wir kennen das ja alle, je nach Stimmung, Lebensphase und Einstellung erreicht einen Musik oder eben nicht. Manchmal können es nur ein paar Tage, Wochen sein, die über die Begeisterung für eine Band, eine Künstlerin oder einen Song entscheiden. In meiner jetzigen Phase, erreicht mich Chamberlain gerade nicht. Vielleicht bin ich noch zu jung dafür oder befinde mich im musikalischen Teenager-Alter von Claas. Also aus seiner Sicht 25 Jahre zurück. Musikalisch ist das ansprechend. Scheppernde Gitarren, druckvoll, schnelle Parts, langsame Abschnitte. Das Songwriting taugt was. Aber diese eindringlich Stimme von Sänger David Moore, sie wirkt etwas geleiert, in die Länge gezogen, etwas nervend. Ok, Musik soll und darf nerven, muss nicht einfach zu konsumieren und zu verarbeiten sein. Dennoch, das ist nicht meins. Am besten gefällt mir der sehr ruhige Song „The Simple Life“. Aber insgesamt: Nein, dafür brauche ich ein noch paar Jahre. Zudem ist das zu sehr Emo.
(cr)-Tipp 2: Titus Andronicus – The Monitor
Es wäre für jemanden leicht zu behaupten, Titus Andronicus tauchen hier auf, weil ich die Band durch gemeinsame Konzerte, Split Singles und Videos mit The Hold Steady kennengelernt habe. Stimmt aber nicht. Die Wahrheit ist, Grillmaster Flash schwärmte mir auf einer Rückfahrt von einem seiner Konzerte im Auto von Titus Andronicus vor und, dass ich die mir unbedingt anhören solle. Am nächsten Tag schickte er mir (aufdringlich) einen Link mit einem Pre-Listening des neuen Albums. Ich war zwar nicht sofort begeistert, aber doch ziemlich schnell war da was, was es sich zu erarbeiten lohnte. The Monitor erschien bereits vor zehn Jahren, ich lebte zu diesem Zeitpunkt im Ausland mit eingeschränktem Zugang zur westlichen Popkultur, vielleicht hätte ich TA sonst schon mit diesem Album (Album of the decade für The Atlantic, immerhin) kennengelernt. Jahrelang war The Monitor, ein Konzeptalbum über den amerikanischen Bürgerkrieg, vergriffen, bis Band und Label diese Wiederveröffentlichung Ende vergangenen Jahres rausbrachten. Um so schöner nun wenigstens diese LP in den Händen zu halten, war es doch die letzte zu erwerbende auf der Bandcamp Seite der Band, nach meinem Kauf stand da Sold Out. Offiziell übrigens die teuerste Platte, die ich mir je gekauft habe!
Das sagt (pfa): Nicht einfach diese Platte. Inhaltlich muss man irgendwie erst einmal verstehen, worum es geht. Die Gewalt eines amerikanischen Bürgerkriegs als Metapher fürs Erwachsenwerden und Einsamkeit. Textlich ist das eine ganz schön krasse Reise. Allein bei dem, was ich verstanden habe. Es sind zu viele Referenzen, Anspielungen und Spielereien, die ich nicht kapiere. Vielleicht noch nicht. Aber gut, mal ganz Subjektiv: „A more perfect Union“ als Opener gefällt mir, allerdings auch erst nach dem dritten oder vierten Mal hören. Und so ist es auch mit den anderen Songs. Man muss sich das Gesamtwerk erarbeiten. Musikalisch schwanke ich zwischen einer Einordnung wie „ein großer Künstler will wie eine College-Band klingen“ oder „Schülercombo will das große Ding machen“. Für eine große Rockband hätte das feiner, qualitativ hochwertiger produziert werden müssen. Doch das ist hier ja gar nicht der Anspruch: Es soll ja so sein. Insgesamt spannend, aber ich muss mich ein stückweit überwinden, es immer wieder anzumachen.
(cr)-Tipp 3: Fucked Up – David comes the life
Nimm das pfa. Die dritte Platte aus dem weiten Punkrockkosmos, die trotzdem Neues wagt oder zumindest Genregrenzen aufbricht. Auch wenn dieses Album ebenfalls zum Zehnjährigen neu veröffentlicht wurde. Außerdem ein weiteres Konzeptalbum, dieses Mal über einen jungen Fabrikarbeiter, der sich in eine linke Aktivistin verliebt, die beim Bombenbau für einen Anschlag auf die Fabrik ums Leben kommt. Mal so ganz kurz zusammengefasst. The Fucked Up waren eine Band, die viele Freunde schon irgendwie hörten, ich mich aber nie genötigt sah, mich darum aktiv zu kümmern. Das änderte sich (ohne Grund) vor einigen Jahren, aber dieses Album habe ich mir immer aufgehoben, nie gestreamt oder gehört, weil ich es am Stück hören und mir arbeiten wollte. Da stehe ich gerade noch am Anfang. Manchmal ist es auch schön, Sachen erst später für sich zu entdecken.
Das sagt (pfa): Na endlich. Ich habe darauf gewartet. Mega Band, saustarkes Album, großartige Songs („Turn the season“, „The Other Shoe“…). Und dann noch ein überlanges Konzeptalbum. Wir haben einen gemeinsamen Nenner. Ich brauche gar nichts mehr schreiben. Super. Bestens. Ach, nur eine kleine Anekdote: Ich kuschelte 2014 mit dem halbnackten Fucked-Up-Sänger Damian Abraham im Bühnengraben. Beim Hurricane-Festival rannte er in die Menge, ich versuchte zu fotografieren, er schwitzte, Körperkontakt war nicht zu vermeiden, mein T-Shirt trocknete ihn ein bisschen. Sowas wie ein Beweis gibt es hier.
Fazit von (pfa): Komisch, dass es bei Claas gleich drei Platten sind, die vor Jahren aufgenommen und von Kritikern gefeiert wurden. Alle drei haben ihre ganz eigene Nische, alle drei haben eine prägende Bedeutung. Alles keine leicht verdauliche Kost, aber alles hat seinen Anspruch. Und: Alle drei sind im Prinzip Konzeptalben. Warum ist Claas das so wichtig? Oder ist es Zufall?
(pfa)-Tipp 1: Fluppe – Williams Christ Superstar
So, jetzt mal kein lautes Geballer und kein Punkrock. Stattdessen: Knarzende Gitarren, düster-ernste Texte und dazu alles schön emotional. Und irgendwie auch positiv. Ich mag diesen Hamburger Indie-Kram der vier Herren. Und sie besitzen schöne Textzeilen wie „Es folgten Worte, folgten Hände. Da waren Gärten ohne Pforten, plötzlich zwischen den Gebäuden, gab es nach oben keine Wände mehr.“
Das sagt (cr): Schon seltsam, da befinden sich die drei letzten von pfa gekauften Platten, um die es hier gehen soll, allesamt in seinen Top 10 des Jahres 2021. Sind die nun auf den letzten Drücker reingerutscht? Oder hätte es sonst nicht für zehn Alben gereicht? Oder erschienen die Alben allesamt erst im Dezember? Oder wurden diese Werke nun schlichtweg verspätet nachgekauft, vorher aber bereits digital rauf und runter gehört (geht so was überhaupt)? Fragen über Fragen, die wohl immer unbeantwortet bleiben werden. Natürlich hatte ich mich aber schon durch seine Liste gehört. Deswegen ist dieser Song von Fluppe mir nicht ganz unbekannt, kam er doch obendrein auch in der Liste von Marcel vor. Aber auch beim dritten (und vierten, fünften) Mal hören passiert bei mir nichts. Fluppe spielen Indierock/pop der Hamburger Schule und bedienen sich mal mehr, mal weniger clever bei den Vorbildern aus der Stadt. Hier eine Gesangslinie, da ein Rhythmus oder ein Riff, alles irgendwie schon mal da gewesen, was sich in der Rockmusik nicht mehr vermeiden lässt, dass „Problem“ ist, die Sachen sind exakt so schon mal da gewesen und dazu ohne jegliche Dringlichkeit vorgetragen.
(pfa)-Tipp 2: Biffy Clyro – A Hunger In Your Haunt
Endlich sind sie nicht mehr so harmonisch. Endlich sind die Schotten von Biffy Clyro wieder rockiger, die Musik schwerer und auch ein stückweit melancholischer. Wollte mir die Platte längst besorgt haben, nun war sie einer meiner letzten Einkäufe. Auf dem Album “The Myth Of The Happily Ever After” gibt es dieses Mal keinen großen Hit wie „Space“, „Many of Horror“, „Mountains“ oder „Bubbles“. Und das mag ich irgendwie. Alles gut anzuhören. Exemplarisch habe ich mal das Video zu den Songs „A Hunger In Your Haunt“ und „Unknown Male 01“ rausgesucht.
Das sagt (cr): Biffy Clyro sind für mich (wie Muse übrigens auch) ein Buch mit sieben Siegeln. Ich verstehe nicht, was so viele Menschen in dieser Band sehen und gut finden, gehören sie doch immerhin zu den größten aktuellen Rockbands auf den Planeten und rocken tut das hier auch – leider mit allen Konsequenzen. So eine Musik, wie Biffy Clyro sie spielen, stelle ich mir vor, wenn jemand auf die Frage, was diese Person denn für Musik hören würde, mit „Rock“ antwortet. Wobei ich mir durchaus vorstellen kann, dass Menschen sich hier drin verlieren können und dann eine Menge Spaß damit haben können. Nur mir ist das zu viel Gefiedel, zu viel Rock-Rock, dafür dann aber zu wenig Soul, Punk, Dreck und auch hier – Dringlichkeit (und die besteht ja, wie wir wissen, immer).
(pfa)-Tipp 3: The Gardener & The Tree – all hell broke loose
Oh, nochmal eine Nicht-Punk-Platte. Hab die Schweizer von The Gardener & The Tree irgendwie ins Herz geschlossen. Hab ihr Album „69591, Laxa“ abgefeiert, das jetzige „Intervention“ blind gekauft. Finde es nicht ganz so stark, mag aber den Song.
Das sagt (cr): Bei In The Pines (vgl. Fremdgehört 1) ist pfa eingeschlafen und dann kommt er mit The Gardener & The Tree um die Ecke! Hm, was sagt uns das über seine Einschlafgewohnheiten? Eine gewisse Ähnlichkeit zwischen In The Pines und The Gardener & The Tree lassen sich nicht abstreiten, spielen beide Bands eine Art Folk. Der (für mich) entscheidende Unterschied ist, In The Pines kommen deutlich düsterer daher, was mich dann doch mehr anspricht, als das Popappeal von The Gardener & The Tree. Von den drei Vorstellungen kann ich hiermit aber am meisten anfangen. Zwar breche ich nicht gerade in Jubelstürme aus, aber gut anhören kann ich mir das. Wenn das im Radio laufen würde (z.B. auf Bremen 2) würde ich nicht wegschalten und eventuell am Ende sogar die Abmoderation abwarten, um zu erfahren, um welche Band es sich handelt.
Fazit von (cr): pfa kann mehr als Punkrock, wobei ich geneigt bin, sogar zu sagen, er kann mehr als Melodycore. Es ist aber schon seltsam, dass ausgerechnet in dieser Fremdgehört-Ausgabe die Rollen verkehrt zu sein scheinen, pfa mit Indiepop, Rock und Folk punkten will und ich ihm drei Platten aus dem erweiterten Punkrockfeld um die Ohren knalle. Ich stelle (mir und ihm) viele Fragen und bleibe deswegen etwas ratlos zurück. Jetzt bin ich wirklich gespannt, was er zu meinen letzten drei Käufen sagt….
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