Fremdgehört – Der musikalische Seitensprung 5

Neuerscheinungen, Klassiker oder Lieblingssongs: In unregelmäßigen Abständen geben sich pfa und claas gegenseitig Musiktipps, die der Andere kommentieren, bewerten und verreißen darf.

Weltherrschaft. Hört mehr Musik des Anderen. Hier gibt es ein Format, in dem sich pfa und Claas  gegenseitig Musik-Tipps geben und der andere darf sie zerreißen oder abfeiern. Heute mit jeweils drei Songs, die erst in diesem Jahr erschienen sind. Ganz unten gibt es die Spotify-Playlist dazu.

(pfa)-Tipp 1: Anxious – „Your One Way Street“

Mal wieder ein Tipp von Jens Otto, mal wieder richtig gut. Kannte die Band aus Fairfield, Connecticut vorher nicht, mag das aber sehr.

Was (cr) sagt: Okay, Wundertüte, beim ersten Hören, dachte ich nach zehn Sekunden, och nee, nicht schon wieder so ein pfa Punkrocksong. Doch das hier ist anderes, jünger, euphorischer, unbekümmerte als die anderen Songs, die pfa sonst so aus diesem Genre vorgestellt hat. Da stört es mich nicht mal, dass der Sänger in einem Interview die Texte seiner Band als unwichtigsten Teil des Gesamtwerkes abtut. Würde ich mir gerne live angucken, um mich vollkommen zu überzeugen. Sicherlich keine Platte für die einsame Insel, aber ganz sicher eine Platte für einen guten Abend mit Bier und Freunden und Temperaturen, die zum draußen sein einladen.

(pfa)-Tipp 2: Frank Turner – Non-Servium

Finde es großartig, dass Frank Turner mit diesem Song seine neue Platte eröffnet. Ich kenne Turner und seine kompletten Werke nicht so detailliert wie Claas, deswegen interessiert mich die Meinung. Der Song ist noch nicht ganz so brachial wie die Möngöl Hörde, aber es könnte der Mittelweg zwischen seinen Sachen und dem Hardcore-Projekt sein.

Das sagt (cr): Ja nun, was soll ich dazu sagen. Albumopener vom neuem (sehr guten) Album FTHC. Einen anderen Platz hätte dieses Lied auch nicht vertragen. Zumindest bei diesem Lied ist nichts mehr vom einstigen Folk und Country übergeblieben. Das zeichnete sich ja aber schon eine ganze Weile ab. Nun also sehr deutlich an prominenter Stelle. „Non-Servium“ stammt übrigens aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie: „ich diene nicht“ und soll Luzifer als gefallener Engel zugeschrieben werden. In diesem Stück gibt es zwar einen biblischen Vergleich, der darauf andeutet, aber eigentlich soll es darum gehen, seine Werte zwischen all den Despoten, Rechtspopulisten und Arschlöchern auf dieser Welt nicht zu verlieren. Thematisch hätte das auch auf „Be More Kind“ gepasst, musikalisch nur auf das durchaus sehr abwechslungsreiche FTHC. Trotzdem gehört dieses Stück eher nicht zu den Lieblingen auf dem Album. Musikalisch und textlich gibt es dort besseres zu hören.

(pfa)-Tipp 3: Divided Heaven – „Monuments“

Neue Platte bei Gunner Records. Typisch ist mal wieder die markante Stimme. Es ist aber nicht so rotzig, so rau und punkig wie viele andere Sachen von Gunnar. Aber es hat diesen Vibe.

Das sagt (cr): Superalbum, passt zu allen Lebenslagen, tolle und außergewöhnliche Stimme (wow, ich gebe pfa mal Recht), gutes Songwriting, mit guten Aussagen, die sich trotz der eher ruhigen Songs gut mit gereckter Faust schmettern lassen. Frank Turner hat hier vier Stücke produziert und seine Frau Jess Turner singt auf einem Stück mit. Läuft seit zwei, drei Wochen regelmäßig und wächst dabei noch. Gehört sicherlich in die Top 10 am Ende des Jahres (außer es passiert noch was Außergewöhnliches).

 

(cr)-Tipp 1: Tocotronic – Nie wieder Krieg (Album) / Komm mit in meine freie Welt (Song)
Keine Ahnung, wie das passieren konnte. Ich habe Tocotronic vor über fünfzehn Jahren komplett verloren. Okay, hier und da gab es immer ein paar tolle Songs: „Aber hier leben, nein danke“ und vor allem einer der vielleicht besten Stücke, die jemals auf Deutsch getextet wurden „Im Zweifel für den Zweifel“, da steckt ja nun mal alles drin, wie ein Leben im besten Fall gelebt werden sollte – was für ein Titel. Ansonsten konnte ich in den letzten Jahren wirklich nicht viel anfangen, noch drastischer, ich konnte mir das meiste Zeug nicht mal anhören, einzige Ausnahme bildete das fünfte, das weiße Album. Als vor einem Jahr „Hoffnung“ als Single ausgekoppelt wurde, langweilte mich diese auch eher, als dass sie mich begeisterte. Die zweite Single „Jugend ohne Gott…“ (Titel nach dem Roman von Ödön von Horváth) weckte dann schon eher Interesse, welches durch den darauffolgenden Song gleich wieder kaputtgemacht wurde. Und dann vor ein paar Wochen das gesamte Album an einem Stück gehört, toller Sound, irgendwo zwischen typisch Tocotronic und frühe 90er Jahre Indierock. Klare Texte, wieder direkt und aus dem Alltag, ohne Märchenverweise und der komplette Verzicht der Kopfstimme, all das bringt mich zurück zu Tocotronic, zumindest vorerst.

Das sagt (pfa): Haha, wie passend Claas das hier beschreibt. Sehe das fast identisch. Kein Widerspruch, volle Zustimmung. Auch wenn ich einige Tocotronic-Ultras kenne und es Live-Konzerte der Hamburger gab, die mich echt mitgerissen und ergriffen haben, hat mich Tocotronic nie so richtig gewinnen können. Und ja, auch mich hatten sie zwischenzeitlich verloren. Trotzdem bin ich auf jede neue Platte gespannt. Mit „Nie wieder Krieg“ bin ich zwar immer noch kein Fan geworden, die Platte wird bei mir wieder nicht in Dauerschleife laufen. Aber es gibt auf diesem Werk Perlen, die entweder textlich so überraschend und überragend sind, dass ich sie auch musikalisch verkrafte. Oder aber es sind musikalisch gute Sachen dabei, deren Texte sich mir aber nicht komplett erschließen, die mich nicht abholen. Bei „Komm mit in meine freie Welt“ liegt es für mich am Text, der mich auf der emotionalen Ebene einfach nicht ergreift. Dann doch lieber eine Punkrock-Plattitüde, zu der ich die Faust recke.

(cr)-Tipp 2: Christin Nichols – I’m fine (Album) / Today I choose violence (Song)
Gehört und sofort begeistert gewesen. Lange schon nicht mehr hat der Bass so schön gewummert und wurde dazu so dilettantisch (erster Eindruck) und schlecht gelaunt ge-indie-rockt. Das weckt Erinnerungen an alte L’age D’or Zeiten wach (und damit sind nicht Tocotronic gemeint). Und die Halbbritin Christin Nichols darf dann auch gerne zweisprachig texten. Und endlich traut sich im Pop mal wieder jemand eine Aussage zu tätigen. Das, was in Großbritannien ganz normal ist (siehe aktuell Yard Act zum Beispiel) ist in Deutschland ja eher verpönt, bloß nicht anecken und wenn, dann nur mit Themen, die je Konsens sind. Knaller Unterhaltung mit Haltung mehr kann Mann (und Frau sowieso) nicht verlangen.

Was (pfa) sagt: Ja, endlich mal eine Ansage. Feministische Wut mit schöner Haudrauf-Mentalität. Eben mit der geballten Faust in der Tasche. Musikalisch ist das zudem voll ok. Das Ganze soll ja an ihr vorheriges Electropunk-Projekt Prada Meinhoff erinnern. Was ich an diesem Song nicht mag? Dass er zweisprachig ist. Warum nicht alles auf Englisch oder alles auf Deutsch? Kann sich hier jemand nicht entscheiden? Es wirkt so zusammengewürfelt, so zusammengesetzt. Nein, irgendwie passt das nicht.  Mir fällt allerdings noch etwas ganz anderes auf: Der wievielte Tipp von Claas ist es mittlerweile eigentlich, den auch der Spiegel empfohlen hat? Christin Nichols war da dort doch gerade Album der Woche. Oder ist es  andersherum und der Spiegel schreibt bei Claas ab? Die Rapperin Little Simz, die Claas in dieser Reihe vorschlug, hatte das Hamburger Magazin auch  hoch gelobt (siehe hier). Mal sehen was noch kommt.  Also vom Spiegel und Claas.

(cr)-Tipp 3: Slime – Zwei (Album) / Sein wie die (Song)
Eigentlich war die Sache mit Slime doch besiegelt, oder? Nach dem Ausstieg von Sänger Dicken konnte es nicht weitergehen. Selbst wenn auf den Kanälen von Slime es ziemlich schnell eingeschränkt hieß, wir werden mal sehen, wie es weitergeht. Dann gab es eine Ankündigung zu einem neuen Album, mit neuem Sänger. Nun gut, haben ACDC ja schon mal durchgezogen und etwas weniger erfolgreich Pennywise auch. Aber was dann aus den Boxen knallte, überraschte doch. So frisch, aggressiv und jugendlich habe ich Slime seit dem sehr guten Album „Sich fügen heißt lügen“ nicht mehr erlebt. Das hat eine Wucht und Kraft, die ich der Band nicht mehr zugetraut habe und vielleicht gerade deswegen für mich so überraschend ist. Zwar werden auch in dem von mir ausgewählten Song einige Plattitüden wiedergegeben, die es so oder in ähnlicher Form schon häufig in der Rockmusik gab, viel Pathos ist da auch im Spiel, trotzdem funktioniert das Gesamtpacket, weil es mit einer Dringlichkeit und Ernsthaftigkeit vorgetragen wird, dass es eine wahre Wonne ist.

Das sagt (pfa): Als ich das erste Mal reinhörte, dachte ich, ich täusche mich. Das muss doch irgendein Liedermacher sein, der Songs für ältere Herren singt. So in die Richtung von Hannes Wader, Rainald Grebe oder Funny von Dannen. Auch beim zweiten Mal war dieser Beigeschmack noch da. Aber Tex Brasket schafft es, eine gewisse Energie zu entwickeln, die solche Liedermacher nicht besitzen. Zudem dieser Rotz, diese Rauheit und Eindringlichkeit, die man anscheinend nur auf der Straße lernt. Ich will hier nicht beurteilen, was Tex Brasket als Sänger für die Band Slime bedeutet. Und auch nicht einschätzen, wie es rüberkommt, wenn er die alten Slime-Songs wie „Deutschland muss sterben“ singt. Hier bewerte ich einfach diesen Song. Und da stimme ich Claas zu: das Ding ist gut. Mich stört das Plakative, das Pathetische hier keinesfalls. Ich mag das.


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