Fremdgehört – Der musikalische Seitensprung 3

In unregelmäßigen Abständen werden pfa und claas sich an dieser Stelle gegenseitig Musiktipps geben, die der jeweils andere kommentieren muss. Dabei kann es sich um Neuerscheinungen, Klassiker oder gerade aktuelle Lieblingssongs handeln.

Weltherrschaft. Ein vernünftiges Online-Mag. Ein Punkrock-Podcast. Mehr Bier. Wenn Claas (cr) und Pascal (pfa) sich trotz Corona mal im Viertel treffen und an den Ecken rumlungern, haben sie große, irre, manchmal verrückte Pläne.  Am Ende bleibt es oft bei Sätzen wie: Lass mal was machen. Lass mehr treffen. Lass mehr über Musik reden. Statt weiter destruktiv zu sein, wird jetzt gemacht. Herausgekommen ist schon im Sommer ein Format, in dem sich die Beiden gegenseitig Musik-Tipps geben und der andere sie zerreißen oder abfeiern darf. Heute mit Bands, die es nicht in die Top 10 von pfa und claas geschafft haben. Ganz unten gibt es die Spotify-Playlist dazu.

(pfa)-Tipp 1: Turnstile – Mystery

Das Album von Turnstile ist an mir 2021 fast vorbeigegangen. Deswegen fand es nicht mehr den Weg ins Ranking des Jahres. Den Song „Mystery“ habe ich mal exemplarisch rausgesucht.

Das sagt (cr): Um ehrlich zu sein, hatte ich mich bereits gewundert, warum Glow von Turnstile nicht bei pfa in den Jahrescharts auftauchte. So ergänzt dieser Song nun seine bisherige Fremdgehörtauswahl perfekt. Es gibt unglaubliche Konzerte von Turnstile auf Youtube zu sehen. Kurze, melodische, energetische, vor kraftstrotzende Shows, die selbst vor dem Fernseher oder Laptop sitzend den Wunsch nach Bewegung und Wohnzimmerpogo aufkommen lassen. Doch all das vermisse ich bei Turnstiles schneller gespielten Melodycore, denn mehr ist es nicht (mehr), aufgepeppt mit ein paar Keyboardklängen hier und da. Ich schrieb es bereits an anderer Stelle bei Fremdgehört; elektronische Spielerein als Intro oder Outro sind im Punkrock (oder von mir aus auch Hardcore) keine Innovation, sondern im Zweifel nervig, langweilig und überflüssig. Lässt mich (mittlerweile) völlig kalt.

(pfa)-Tipp 2: Kenny Hoopla, Travis Barker – Estella//

Kenny Hoopla hat mir Florian vom Scheeßeler „Mit Freunden“-Festival empfohlen. Ist mir 2021 ebenfalls nicht untergekommen. Und ja, das hört sich stark nach Blink-182 an. Ist ja auch nur der Drummer dabei. Ich finde allerdings die Stimme von Kenny einfach super.

Das sagt (cr): Sagte mir tatsächlich nichts, was aber auch nicht weiter schlimm ist. Pfa sagt ja selber, es kling wie Blink 182 und der Drummer ist eben hier (und auch bei anderen Songs) dabei. Nur warum soll ich mir das anhören, wenn ich dann auch Blink 182 hören kann? (Die ich, bis auf wenige Ausnahmen, ebenfalls nie wirklich zu schätzten wusste.) Leider drückt Travis Barker der Musik seinen Stempel auf und das eher zum Nachteil von Kenny Hoopla, was unter anderem der sehr coole Song „How will I rest in peace if I’m burried under the highway“ belegt, der mit Bloc Party-esken Rhythmen spielt und das Ganze mit einem dringlichen Gesang verbindet. Mehr davon, als von schnöden Calipunk und ich würde das abfeiern.

(pfa)-Tipp 3: Middle Class Rut – „New Low“

Hör dir mal „Middle Claas Rut“ an, rief mir der Sprecher der Gesundheitsbehörde zu. Nein, nicht die Alben von 2018 oder 2019. Den alten Kram. „No Name no Color“ heißt das Album. Der Song der mich umgehauen hat heißt: „New Low“. Alternative-Rock mit bombastischen Bass- und Gitarrenläufen. Danke Lukas.

Das sagt (cr): Kommen wir zum schwersten Teil der Übung. Streng genommen dürfte das Lied hier gar nicht auftauchen, soll es doch darum gehen, welche Musik es nicht in unsere Top 10 des Jahres geschafft haben. Der Song von New Low ist immerhin schon über zehn Jahre alt. Wenn wir das aber interpretieren, als was haben wir 2021 Neues kennengelernt, dann geht das klar. Middle Class Rut waren mir ebenfalls völlig unbekannt, was ja nichts heißen mag. Das haben wir heute ja bereits festgestellt. Obwohl das Lied gut ins Ohr geht, interessant wirkt und einen leichten Countrytouch hat (was allerdings auch wegen des staubigen Videos ich mir einbilden kann), fühle ich mich nicht so beeindruckt, mich weiter um die Band zu kümmern. Da macht es trotz mehrmaligen Hörens einfach nicht klick. Da passiert mir (im Verhältnis zu der Länge des Stückes) einfach zu wenig.

Fazit: Pfa ist im Punkrock gefangen und ich beginne mich zu wundern, war ich doch auf unzähligen (nicht punkigen) Konzerten mit ihm, wir müssen also einen überschneidenden Musikgeschmack haben, aber bei Fremdgehört kommen wir nicht so richtig zusammen. Einzig Middle Class Rut wissen etwas zu überraschen und trauen sich aus einem Schema auszubrechen und halbwegs Neues zu wagen (was, zugegeben, heutzutage wirklich schwer ist – daher ist es vielleicht kein Wunder, dass pfa einen zehn Jahre alten Song für diese Liste ausgewählt hat).

 

Das ist claas (cr) diesmalige Auswahl:

(cr)-Tipp 1: The Killers – Quiet Town 

Als das Album und dieser Song rauskam, dachte ich zunächst, das könnte mindestens in die Top 3 meiner Jahrescharts kommen. Ein Konzeptalbum über das Aufwachsen in dem Dorf Nephi, aus dem viele Jugendliche gerne abhauen wollten. Quiet Town handelt von (wiederkehrenden) tragischen Unfällen.

Das sagt (pfa): Oje, wie schön… Mundharmonika. Und dazu noch diese dezenten Synthies. Es klingt nach dem typischen Drei-Akkorde-Takt von Springsteen. Einfache Riffs und eine klar zu erkennende Songstruktur. Könnte man fast in die Heartland Rock-Ecke stecken. Die Killers machen nun also auch klar, dass sie Blues und Folk als Einflüsse haben. Und ja, der Song, der lässt dann doch den Fuß etwas wippen. Aber ganz im Ernst: Das ist Musik für alte Männer. Musik für die An-der-Bar-Steher, die Kopfnicker, für Rentner, die am Lagerfeuer von den alten Zeiten schwärmen. Auf Konzerten werden dazu Fahnen geschwenkt und Disco-Fox getanzt. Bei dem Song tut nichts weh, da kitzelt nichts – das ist Senioren-Pop. Trauriger dazu.

(cr)-Tipp 2: Trümmer – Aus Prinzip gegen das Prinzip

Hui, nach Quiet Town noch ein Song, der eher nachdenklich/traurig daherkommt. Allerdings ist „Aus Prinzip gegen das Prinzip“ deutlich kämpferischer, auch wenn das Stück musikalisch nicht so wirkt. Der Songtitel ist mehr Punkrock als so manche Punkband und ob erinnert vom Wortspiel an Im Zweifel für den Zweifel von Tocotronic.

Das sagt (pfa): Ok, mit dem Titel „Aus Prinzip gegen das Prinzip“ kann ich was anfangen. Aber der Refrain: „Verwende deine Jugend“. Der erinnert mich noch stärker an Tocotronic als der Songtitel. Ist das ein Cover (haha)? Ach nee, das war der Titel dieser Buch-Doku „Verschwende Deine Jugend“ von Jürgen Teipel. Aber wie kann man denn diese Songzeilen so seicht, so weich daher singen. Und dazu ein Super-8-Video: Das ganze Ding will ich laut schreiend von Turbostaat hören. Passt aus meiner Sicht auch besser zu dem maritimen Video. Eingänige Hymne, die mich aber nicht mitreißt. Sorry.

(cr)-Tipp 3: Jackson & Sellers – The Devil Is An Angel

Jade Jackson hat zwei tolle Country(-Pop) Alben draußen, die unter anderem von Mike Ness produziert wurden. Außerdem spielte die Sängerin mit kleiner Band vor einigen Jahren in Vegesack im Kito. Für ihr neues Soloalbum sprach Jackson die Kollegin Sellers für eine Kooperation an. Was als einmaliges Songprojekt gedacht war, entwickelte sich schnell zu einem kompletten Album, welches weniger im Country als viel mehr im Rock’n’Roll anzusiedeln ist.

Das sagt (pfa): Ok, das ist diess Mal die interessanteste Nummer, die Claas vorschlägt. Schön knarzende, scheppernde Gitarre. Alles ein bisschen übersteuert. Ein bisschen schief, ein bisschen quer, dazu die lieblichen Stimmen der beiden Sängerinnen. Es mag Country-Pop-Punk sein, also vielleicht. Der Song ist  einerseits sehr rau und kraftvoll, andererseits droht er aber auch irgendwie in die Belanglosigkeit abzurutschen. Ich kann mich noch nicht ganz entscheiden. Textlich finde ich das schwach: Was will mir der Song sagen?

Fazit: Nein, Claas und ich kommen in dieser Serie nicht zusammen. Was ist denn nur aus Claas geworden? Seichte Pop-Hymnen, dahin gesäuselter Indie, Altherren-Musik. Hätten wir diese Diskussion am Tresen geführt, wir wären beide etwas lauter geworden, hätten uns lustig gemacht. Vielleicht mag ich mich noch nicht damit abfinden, dass es irgendwann musikalisch etwas ruhiger wird. Vielleicht habe ich aber auch einfach wesentlich später angefangen, vermeintlich „härtere, lautere, punkigere“ Sachen zu hören.


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