Muff Potter – Bei Aller Liebe, Hucks Plattenkiste, 2022

Am Freitag erschien das erste Muff Potter seit 13 Jahren. Da hätte viel schief gehen können, ist es aber nicht!

Ruhig beginnt sie, die neue Muff Potter Platter, ruhig und auch ein wenig düster, nur eine abgeschlagene Gitarre, ein paar Saiten gezupft und dann schon die altbekannte Stimme von Thorsten Nagelschmidt. Textlich beginnt „Killer“ mit einer Bestandsaufnahme der Jetztzeit, Klimawandel, Corona, der Wohnungsmarkt, das Persönliche und das ist noch immer politisch und das große Überthema, welches sich wie ein roter Faden durch das Album zieht, Arbeit. Mit kurzen Sätzen und wie es von Muff Potter bekannt ist, ohne plakativ oder billig oder gar anbiedernd zu klingen, scheint Texter Nagelschmidt sagen zu wollen, Muff Potter sind in der Jetztzeit angekommen. „Bei Aller Liebe“ ist keine Nostalgieshow, im Gegenteil, so aktuell wie auf diesem Album waren Muff Potter vielleicht noch nie. Dann schwillt die Musik an, wirkt weiterhin bedrohlich, ehe es beinahe Poppunkig und nahtlos in den nächsten (und ersten Single) Song „Ich will nicht mehr mein Sklave sein“ übergeht. „Montagmorgen um kurz nach acht / Humor ist, wenn man trotzdem lacht“, heißt es in dem Lied und weiter. „Wann kommst du und holst mich raus.“ Raus aus dem (eigenen und selbsteingebrockten) Alltag, das Leben wäre doch viel schöner, gäbe es mehr Freizeit, Kunst, Kultur, einfach mal Sachen laufen lassen, so wie dieses Lied und überhaupt die das ganze Album läuft. Ein schöner Gedanke und in der Tat haben sich viel zu viele Menschen wohl in einen Trott begeben, an dem sie einerseits verzweifeln und andererseits es aber nicht schaffen rauszufinden, weil äußere und innere Zwänge sie (vielleicht) dazu zwingen. Thorsten Nagelschmidt (als Texter) ist nicht nur ein guter Beobachter, sondern auch ein akribischer Arbeiter, der sehr viel Zeit für Recherche aufwendet, am prominentesten vielleicht für den Song „Nottbeck City Limits“, in dem es vordergründig um Tierleid, aber viel mehr noch um unmenschliche Arbeitsbedingungen, das eigene Leben in einer (linksalternativen) Blase, Doppelmoral und sogar Religionskritik geht.

„Arbeit“ hieß Thorsten Nagelschmidts letzter Roman und auch „Ein gestohlener Tag“ dreht sich allerdings auf eine ganz andere Art und Weise um Arbeit. Einer von mehreren Songs mit einer Spielzeit von deutlich über sechs Minuten, mit einem geilen Bassspiel. Sowieso – der Bass war auf keinem bisherigen Muff Potter so geil als ob (Bassist) Shredder die letzten 13 Jahre, die seit dem letzten Muff Potter Album vergangen sind, jeden Tag heimlich geübt hat. Oder früher war das Bassspiel einfach nicht so prominent platziert. Aber was interessiert schon die Vergangenheit. Muff Potter befinden sich, wie schon geschrieben, in der Jetztzeit und die hat viel beziehungsweise eigentlich wenig zu bieten. Schon Kettcar sangen „der Kuchen ist verteilt und die Krümel werden knapp.“ Und um genau jene Krümel geht es in dem kürzesten aller Muff Potter Songs „Privat“. (Ebenfalls mit einem geil platzierten Basslauf) Beginnt es noch ganz harmlos, dass ein Weg nicht mehr als Abkürzung benutzt werden kann, weil es sich um einen Privatweg handelt, so geht es weiter über die Pflege bis hin zum Privatsaufen. Zuerst schaffen manche Menschen sich auf legale, aber unmoralische und ausbeuterische Weise ein Vermögen an, und dann sind sie von der Angst getrieben, es könnte ihnen weggenommen werden und sorgen mit einer Gesetzgebung, dass sie nichts oder nur sehr wenig abgeben müssen. Gleichzeitig wissen sie nicht, wohin mit dem Reichtum und investieren weiter, was zu weiterem Reichtum führt, denn es für dieses Menschen zu schützen gilt. Ein Verhalten, welches sich mittlerweile bis tief in die sogenannte Mittelschicht eingefressen hat, die Krümel werden halt knapp bzw. sind ebenfalls weitestgehend verteilt und eben „privat“.

„Hammerschläge, Hinterköpfe“ spielt mit alten NDW-Referenzen und nimmt unter anderem altbackene Vorstellungsgesprächsfragen, abgedroschene Geschäftssprache sowie alte CDU Wahlkampfslogans aufs Korn. Bei all dieser Scheiße, die so passiert, „ist der einzige Grund aus dem Haus zu gehen, ist die Welt zu ändern, wenigstens die eigene, die immer zu bescheidene“, so kann nur ein „Pessimist, der an das Gute glaubt“ schreiben. Das eigene Schaffen, ja die eigene Arbeit, die Alternative quasi, die wird in dem Song „Der einzige Grund, aus dem Haus zu gehen.“ Umwege erhöhen eben die Ortskenntnisse und die Gedanken schweifen lassen, etwas suchen, all das erhöht das Wissen und die eigene Selbsteinschätzung. Wäre das nicht ein viel schöneres Leben? Wahrscheinlich schon. Dafür müsste die eigene Blase aber verlassen werden und wer ist wirklich dafür bereit? Thorsten Nagelschmidt und Muff Potter haben es vielleicht geschafft, aber nicht jedem ist das vergönnt. Und trotzdem sollte zumindest an ein anderes Leben geglaubt werden.

Begann „Bei aller Liebe“ noch mit dunklen Gitarrenakkorden, so endet das Album mit „Schöne Tage“ fast beschwingt und nach all der Schwere auf dem Album ist das Stück erhellend und leicht. Muff Potter schauen in die (eine) bessere Zukunft.


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