„In Popmusik steckt oft ein reizvoller Widerspruch“ – Neufundland im Interview

Auf dem Deichbrand Festival haben wir uns mit Fabian Langer und Fabian Mohn von der fünfköpfigen Band zum Interview getroffen.

Neufundland

Cuxhaven. Ende Mai ist mit „Scham“ das zweite Album der Kölner Indie-Rock-Band Neufundland erschienen. Über die Veränderungen im Vergleich zum 2017er-Debüt „Wir werden niemals fertig sein“, ihre Interpretation von Scham und das nächste Konzert in Bremen, haben wir mit Fabian Langer und Fabian Mohn auf dem Deichbrand Festival gesprochen.

Habt ihr euch heute schon geschämt?

Bisher noch kein einziges Mal. Aber beim Schambegriff vom Album geht es nicht so sehr um einzelne, bestimmte Situationen. Es geht nicht um Peinlichkeit, sondern um die Grundbedingung in  unserem Leben, uns zu überlegen, wie wir uns verhalten können um Scham zu umgehen.

Was bedeutet das Wort „Scham“ für euch und wie begleitet es euch in eurem Leben?

Es wird immer dann spannend, wenn du die Scham gar nicht so klar siehst. Scham umgibt unbewusst deine Persönlichkeit, als Beispiel führen wir gerne die Filter bei Snapchat und Instagram auf. In diesen Momenten versuchst du, dich selber zu optimieren und der Scham vorzugreifen, weil Leute für dich schon mitentschieden  haben, wie du noch besser aussehen könntest. Leute schämen sich, wenn sie nicht den richtigen Job haben, nicht genug Geld verdienen oder auch, wenn sie nicht genug Follower haben. Scham tritt ganz unterschiedlich auf und ist ein Regulativ und ein Bindeglied in unserer Gesellschaft.

Es geht also um Dinge, die gar nicht unangenehm sein müssten?

Genau! Wahrscheinlich gibt es in jeder Gesellschaft Scham, auch schon vor 2.000 Jahren. Bestimmtes Verhalten wird immer unterdrückt und anderes Verhalten gefördert. Es ist also kein neues Phänomen, aber es hilft etwas zu beschreiben, was jeder von uns instinktiv sofort ablehnen würde, aber trotzdem von vielen ausgeübt wird.

Zwischen euren ersten musikalischen Lebenszeichen, der EP und dem Debütalbum lagen einige Jahre. Bis zum zweiten Album hat es nur knapp 18 Monate gedauert. Warum ging es auf einmal so schnell?

Die lange Zeit am Anfang hat uns selber genervt. Wir haben zu Beginn sehr lange gesucht, wie wir klingen wollen. Der Weg zum Debütalbum ist für viele Bands zermürbend, weil man alles perfekt machen will und es genau abbilden soll, wie man klingt. Damit ist Sorge und Angst verbunden, ob die Vorstellungen erfüllt werden. Jetzt sind wir älter und reifer und wissen stärker, was wir wollen. Bis zum zweiten Album sollte es nicht so lange dauern, deshalb haben wir schnell neue Songs geschrieben, die etwas mehr aus der Hüfte kommen.

Eure zweite Platte erscheint politischer als das Debüt – ist das nur eine Wahrnehmung des Publikums oder ein bewusster Gedanke beim Songwriting?

Wir schreiben immer über die Sachen, die uns umtreiben und selbst im Vergleich zum Debütalbum leben wir jetzt in einer noch politischeren Zeit. Das schlägt sich natürlich in den Songtexten nieder. Beim Schreiben haben wir gemerkt, es wird nicht das große Liebesalbum, sondern wir haben die Richtung schon wahrgenommen. Es war aber keine bewusste Entscheidung, eher haben wir gemerkt dass die Themen, die uns persönlich und emotional beschäftigen, politische Themen sind. Das lässt sich oft gar nicht voneinander trennen. Zumindest ist es bei uns so, andere Bands würden vielleicht trotzdem zwölf Liebeslieder schreiben.

Was hast sich in eurer Musik im Vergleich zum Debütalbum noch verändert?

Ich habe „Scham“ zusammen mit Tillman Ostendarp, dem Schlagzeuger von Faber produziert. Wir hatten vorher sehr konkrete Vorstellungen, wie es klingen soll. Unser Debütalbum schließt noch viel stärker an klassischen Indie an, es ist live aufgenommen und enthält mehr Referenzen an Bands wie Tomte oder Tocotronic. Das neue Album ist beatlastiger und hat einen sehr viel spezielleren Gitarrensound. Wir wollten einen Schritt weitergehen und die Songs sollten fokussierter sein. Gerade bei komplexen Themen und politischen Songs finde ich es spannend, einen Kontrast mit poppiger Musik zu bilden.

Welchen Einfluss bringt Tillmann in euren Sound?

Es war uns wichtig, jemanden dazu zu holen, der nicht aus der typisch deutschen Independent-Blase kommt. Tillmann assoziiert man natürlich schnell mit Faber, aber er macht auch viel elektronische Musik und hat als Schweizer eben nichts mit der Hamburger Schule und so zu tun. Er kommt aus einer musikalisch sehr freien Richtung und es war ihm egal, ob die Musik an deutschsprachigen Indie anknüpft.

Was wiederum konnte Sänger Fabian Langer als Co-Produzent von AnnenMayKantereit für Einflüsse mit in die eigene Musik bringen?

Als Musiker oder Produzent ist es am Ende so, dass alle Erfahrungen wiederum andere Dinge beeinflussen, weil man etwas neues gelernt hat oder etwas anderes probieren möchte. Es ist schwer zu sagen, da ich ja nicht nur bei AnnenMayKantereit, sondern auch an vielen anderen Platten beteiligt war und es überall Wege gibt, die ineinander führen und bestimmte kreative Entscheidungen auslösen. Für mich ist eher ein starker Kontrast zum AnnenMayKantereit-Album da, weil ich nach der Fertigstellung wiedergekommen und direkt in die Neufundland-Produktion eingestiegen bin. Bei AnnenMayKantereit war alles live eingespielt, die Jungs stehen zusammen im Raum. Das Neufundland-Album hat viel speziellere Gitarrensounds und alles ist einzeln aufgenommen. Die zwei Alben hängen für mich emotional sehr stark zusammen, sind aber eher als Kontrast zueinander zu lesen.

Steckt hinter der Single „Männlich, Blass, Hetero“ auch ein eigenes Schuldeingeständnis für Dinge, die man selbst aber gar nicht ändern und beeinflussen kann?

Ich glaube, beeinflussen kann man sie halt, deshalb ist es schon ein Schuldeingeständnis. Aus dem Grund sind wir auch alle in dem Musikvideo zu sehen, es geht nicht darum zu sagen, hier sind fünf weiße Dudes, die euch jetzt den Feminismus erklären, sondern wir wollen auf das Thema und seine popkulturelle Bedeutung aufmerksam machen. Es gibt kaum Frauen auf Festivals, daher sind auch wir Teil des Themas und gewissermaßen auch Teil des Problems. Deswegen wollen wir solche Themen in den Diskurs reintragen.

In „Viva La Korrosion“ prangert ihr die Wegwerfgesellschaft an – mit welchem Gefühl spielt ihr diesen Song vor Festivalpublikum, wo Müll nach wie vor ein Problem ist?

In Popmusik steckt oft ein reizvoller Widerspruch. The Wombats haben gesungen „Let’s Dance To Joy Division“ – du kannst den traurigsten und kritischsten Song nehmen und die Leute tanzen dazu. So lässt sich deshalb ein positiver Impuls mit einem schwierigen Thema verbinden und das finde ich spannend. Natürlich hat ein riesiges Festival eine Event- und Konsumkultur, deshalb wollen wir den Leuten in unserem Slot auch etwas mitteilen und bestimmte Themen in den Raum tragen, trotzdem wollen wir gemeinsam eine gute Zeit haben.

Im Herbst spielt ihr eine Tour mit 13 Konzerten. Mit eurem Debütalbum seid ihr im Tower aufgetreten, bisher fehlt Bremen noch in der Konzertübersicht. Wann kommt ihr wieder vorbei?

Die Show in Bremen ist noch nicht offiziell bestätigt. Noch vor unserer Tour im Herbst, werden wir am 28. September auf dem Wasserturm-Festival von Viva Con Agua im Tower auftreten. Das ist der Grund, warum es kein reguläres Tour-Konzert in Bremen gibt. Im Tower haben wir schon viele Solo- und Support-Gigs gespielt.

 


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