„Es ist bestimmt noch nicht alles verloren“ – Sperling im Interview

Sänger Johannes Gauch spricht im Interview über seine persönlichen, tiefgehenden Texte, Zweifel, Hoffnung und den Albumtitel „Menschen wie mir verzeiht man die Welt oder hasst sie“.

Foto: Crankmerino

Bremen. Sperling mischen Rap mit Post-Hardcore und einem Cello. Mal traurig und melancholisch, mal aufbäumend und wütend. Die wortgewandten Texte zusammen mit den atmosphärischen Instrumentals ergeben eine ungewöhnliche Mischung. Dominierte auf dem ersten Album „Zweifel“ zunächst noch Systemkritik und der Blick nach außen, hört man auf dem neuen Album „Menschen wir mir verzeiht man die Welt oder hasst sie“ viel öfter das Wort „Ich“ anstatt „Du“. Sperling haben dabei nicht aufgehört, über die Schrecken der Welt zu sprechen. Ihre neuen Songs erkennen aber, dass Achtsamkeit auf sich selbst jetzt umso stärker geboten ist. Sperling liefern keine Antwort darauf, wie die ungewisse Zukunft denn nun aussehen soll. Und doch geben sie einem in ihrer Verzweiflung stets das Gefühl, mit all dem zumindest nicht allein zu sein.

Am 14. September treten Sperling bei Get Loud Against Hate in Hoya auf und am 8. Oktober spielen sie auf eigener Tour im Bremer Tower Musikclub. Das Interview wurde bereits Ende März anlässlich ihres Support-Gigs für die Rogers im Kulturzentrum Schlachthof aufgezeichnet.

Wir starten mit einer Frage, die so nicht von mir kommt, sondern die Kind Kaputt 2018 auf ihrem Song „Unperfekt“ gestellt haben: Kannst du mir sagen, wie man Zweifel überlebt, und ob am Ende noch das Fragezeichen steht?

Schöne Zeile, die Jungs schreiben wirklich schöne Texte. Ich schreibe auf unseren beiden Alben ganz viel über Zweifel, innere Selbstzweifel und Unzufriedenheit, aber ohne dabei wirklich Lösungen oder Antworten zu finden. Besonders auf dem zweiten Album beschreibe ich häufig mein Innenleben und setze mich mit meinen Gefühlen auseinander, in der Hoffnung, dass sich andere in den Texten wiedererkennen. Auch wenn ich keine klaren Antworten habe und nicht sagen kann, was nach der Zeit passiert, gibt es im zweiten Album doch einen tröstenden und hoffnungsvollen Aspekt. Es geht der Gedanke daraus hervor, dass man am Ende doch mehr überstehen kann, als man sich vielleicht zugetraut hätte.

In „Unperfekt“ geht es um Selbstzweifel und Selbstakzeptanz, die eigenen Macken und Fehler – ein Motiv, das ihr beispielsweise in „November“ aufgreift. Wie sehr beschäftigt euch dieses Thema und wie geht ihr damit um?

Es beschäftigt uns natürlich und man macht bei solchen Themen immer eine Entwicklung durch. Die Songs, die mit dem neuen Album herausgekommen sind, habe ich zum Teil schon vor ein oder zwei Jahren geschrieben. Seitdem ist auch schon wieder viel passiert. Wenn man sich mit sich selbst auseinandersetzt, ist das der erste Schritt in einem Prozess. Dadurch kommt man irgendwann an den Punkt, an dem man erkennt, dass vielleicht alles gar nicht immer so schlimm ist, wie es manchmal erscheint.

Euer Debütalbum „Zweifel“ richtete sind insgesamt mehr nach außen, während das neue Album noch mehr ins Innere, ins Persönliche geht. Stimmt dieser Eindruck und wie kommt das?

Das stimmt auf jeden Fall, und ich sehe tatsächlich auch das als einen Prozess. Die Songs auf unserem ersten Album sind vor fünf oder sechs Jahren entstanden, und ich war damals einfach ein anderer Mensch als heute. Über sich selbst zu schreiben, hat immer etwas Selbsttherapeutisches, daraus entwickelt und verändert man sich. Beim Debütalbum war meine Haltung noch ein wenig trotzig und ich habe der Gesellschaft die Schuld für vieles gegeben. In den Jahren habe ich mich sehr viel mit mir selber auseinandergesetzt und irgendwann war ich an dem Punkt zu sagen, die Probleme liegen oft in mir und nicht bei anderen oder der Welt. Ich kann sehr froh über den privilegierten Stand sein, in den ich hineingeboren wurde. Die meisten Probleme, die ich in meinem Kopf habe, kommen deshalb eher von mir selbst. Ich glaube, es ist wichtig, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, anstatt nur darüber nachzudenken, wie andere einem möglicherweise schaden könnten.

Es gehört ja auch noch viel mehr Mut und viel mehr Erfahrung dazu, so viel über sich selber zu schreiben. Gerade in „November“ ist mir das aufgefallen.

Das hat, genau wie du schon sagst, viel mit Erfahrung zu tun. Der Song „November“ ist einer der wenigen, die nicht auf einer speziellen Demo basieren, sondern sich über Monate hinweg entwickelt haben. Ich habe über Wochen und Monate hinweg immer wieder aufgeschrieben, was in meinem Kopf vorging. Manchmal waren das eher positive Aspekte und manchmal eher melancholische Schwerpunkte. Daraus resultiert der Gedanke, dass es mir zwar schlecht geht, ich aber auch weiß, dass es nicht immer so bleiben wird. Viele Sachen male ich zu schwarz, auch darum geht es in „November“. Manchmal ist einfach alles erdrückend und kann man nur abwarten. All diese verschiedenen Gefühle sind in den Song eingeflossen.

Euer neues Album ist im Vergleich stilistisch anders, etwas offener und breiter aufgestellt, stellenweise auch mit elektronischen Einflüssen versehen. Ich habe auch das Gefühl, es ist ein kleines bisschen weniger Cello drin. Wie kam es zu dieser Entwicklung?

Ich denke, das Cello ist in unseren Songs oft etwas versteckter, weil es manchmal gar nicht wie ein typisches Cello klingt. Oft wird es eher für Ambient-Sounds im Hintergrund verwendet oder klingt wie ein Synthesizer, sodass man es gar nicht unbedingt als Cello wahrnimmt. Wir haben uns bewusst dagegen entschieden, das Cello einfach als klassischen Cello-Sound über eine fertige Demo zu legen. Stattdessen war es direkt in den Schreibprozess inbegriffen. Ich erinnere mich an lange Sessions, besonders bei den Songs „Meer“ und „100 Tonnen Kummer“, wo das Cello ganz filigran an kleinen Stellen eingesetzt wurde, die wir stundenlang ausgecheckt haben, um den richtigen Sound an den richtigen Stellen zu finden. In der Gesamtkomposition fällt das vielleicht gar nicht so auf.

Wie hat sich euer Schreibprozess zwischen dem ersten und zweiten Album verändert?

Der Schreibprozess hat sich ganz generell verändert, auch weil wir nicht mehr so nah beieinander wohnen. Früher, als wir alle im Hunsrück, einer ländlichen Region in Rheinland-Pfalz, gelebt haben, konnten wir zwei- bis dreimal die Woche proben, da wir noch nicht viele private Verpflichtungen hatten. Damals sind Songs oft durch Jammen und Proben entstanden, und irgendwann hatten wir dann genug Material und Auswahl für ein Album. Beim zweiten Album war es anders. Wir haben uns ganz bewusst hingesetzt und den Schreibprozess des Albums begonnen. Bei den Veränderungen spielt durchaus auch Corona, der Lockdown und das Auseinanderziehen von uns Vieren eine Rolle. Malte hat viele Demos, Arrangements und Songs einfach alleine zu Hause geschrieben, und ich habe dann die Texte dazu verfasst. Erst kurz vor dem Studioaufenthalt haben wir uns als Band zusammengesetzt, die Demos auseinandergenommen und jedes Instrument einzeln arrangiert.

Wohnt ihr denn noch ungefähr in der gleichen Ecke, oder seid ihr teilweise auch richtig weit auseinandergezogen?

Inzwischen wohnen wir jetzt tatsächlich fast wieder alle zusammen, nur Malte wohnt in Koblenz, das ist noch relativ nah an dem Ort, in dem wir früher geprobt haben. Der Rest von uns ist nach Mannheim gezogen. Trotzdem würde ich sagen, dass unsere „Hometown“ immer noch der Hunsrück ist und das auch bleiben wird. Dort haben wir unsere Anfänge und unsere Wurzeln, egal wo wir in Zukunft wohnen.

Eure Songs sind oft situationsbeschreibend, düster und zum Beispiel in „Frost“ recht dystopisch. Wie ist der Ausweg, wie kommt man da raus? Wo gibt es Hoffnung?

Ein bisschen Hoffnung ist schon da. Textlich lässt es sich vielleicht als eine Art tragisches, übertriebenes Abfinden beschreiben. Mir ist klar, dass nicht alles so düster ist und dass sich vieles ändern kann – sowohl in mir als auch in meiner Art, mit Menschen und Beziehungen umzugehen. Das könnte man vielleicht auch auf die Gesellschaft oder die Menschheit im Allgemeinen übertragen. Es ist bestimmt noch nicht alles verloren. Aber als jemand, der dazu neigt, die Dinge schwärzer zu sehen, gehe ich manchmal gerne mit dem Gefühl ins Bett, dass eh alles verloren ist. Man kann sich in diesem melancholischen Gefühl verlieren, dass die Welt am Sterben ist und wir alle arm dran sind. In unserem Song „Frost“ finde ich den Gedanken makaber tröstlich, dass die Natur sich irgendwann alles zurückholt, was die Menschen zerstört haben. Wir machen oft den Fehler, uns für so wichtig zu halten und zu glauben, dass uns alles gehört und wir damit machen können, was wir wollen. Aber viele Dinge sind gar nicht so wichtig, wie wir sie manchmal sehen. Sie haben nicht so viel Gewicht.

Mit „Luft“ gibt es ja auch einen Song, der nach vorne blickt.

„Luft“ thematisiert das Gefühl, aus einer Krise oder einer schwierigen Phase herauszukommen. Das ist bestimmt kein Dauerzustand, aber es beschreibt das Gefühl, wenn man etwas geschafft und überwunden hat und ein neuer Tag oder eine bessere Phase beginnt. Natürlich kann es irgendwann wieder regnerischer werden, aber ich habe für mich erkannt, dass es wichtig ist, die guten Zeiten und hoffnungsvollen Momente bewusst wahrzunehmen. Es gibt mehr davon, als man denkt.

Auf dem neuen Album gibt es zwei Features und beide von Sängern, die normalerweise nicht in deutscher Sprache singen – Joel Quartuccio von Being As An Ocean und Mario Radetzky von Blackout Problems. Wie ist euch das gelungen?

Wir haben tatsächlich niemanden gefragt und erst recht nicht überzeugen müssen, auf Deutsch zu singen. Das war die alleinige Entscheidung der jeweiligen Künstler. Bei Mario lag es natürlich näher, weil er Deutscher ist. Aber auch ihn haben wir nicht danach gefragt, ein englisches Feature wäre genauso cool gewesen. Ich bin jedoch froh, dass er sich für Deutsch entschieden hat, weil ich es super charmant finde, dass er das für uns gemacht hat. Er fand wohl auch, dass es gut passt. Mario hat eine besondere Art zu schreiben und seinen Text im Refrain selbst verfasst. Aus diesen Zeilen ist am Ende sogar der Songtitel „Die kleine Angst“ resultiert. Lustigerweise haben wir auch einen Song namens „Angst“ und hatten Mario schon damals gefragt, ob er ein Feature dafür machen möchte. Damals hat es aus Zeit- und Organisationsgründen nicht geklappt. Wir wussten aber die ganze Zeit, dass wir irgendwann etwas mit ihm machen wollen. Wir kennen ihn durch das Label und die Musikszene in Deutschland ist sowieso klein, man trifft sich häufig auf Festivals. Wir haben auch schonmal zusammen mit ihm einen Pullover mit Munich Warehouse gemacht. Uns war klar, dass wir seine Arbeit mögen und gerne mit ihm zusammenarbeiten wollen. Beim Album war schnell klar, dass wir einen Song mit Mario machen möchten. Die Demo zu „Die kleine Angst“ war fertig, nur der Refrain fehlte, und da war uns klar: Wir schicken es mal zu Mario und schauen, was er daraus macht.

Und wie hat es sich bei Being As An Ocean ergeben?

Mit Joel war es fast noch einfacher oder naheliegender, weil wir mit Being As An Ocean auf Tour waren und die Demo zu unserem Song „Meer“ während dieser Tour entstanden ist. Malte hat einfach ein bisschen herumgeschrieben und sich dabei wohl von dem Sound, den wir gerade jeden Abend gehört haben, inspirieren lassen – der Song ist der härteste, den wir je geschrieben haben. An einem Offday in Stuttgart haben wir in einer Venue einen Raum mit Stativ und Mikrofon von den Veranstaltern bekommen, um die erste Demo aufzunehmen, ohne zu wissen, dass Joel später darauf singen würde. Wochen später dachten wir dann, dass die Geschichte so gut ist und der Sound so gut passt, dass wir Joel fragen sollten, ob er Lust hätte, darauf zu singen. Er uns die Demo zurückgeschickt und den letzten Refrain überraschenderweise auf Deutsch aufgenommen, auch das wussten wir vorher nicht, er hat das einfach aus Bock gemacht. Er hat aber eine deutsche Partnerin, also ist ihm die Sprache nicht ganz neu, und sie hat ihm beim Übersetzen und beim Verständnis für unseren Text geholfen. Insgesamt war es eine sehr angenehme und entspannte Zusammenarbeit.

Lass uns über euren Albumtitel sprechen: „Menschen wie mir verzeiht man die Welt oder hasst sie“ – was steckt hinter dieser Zeile und warum habt ihr sie als Titel gewählt?

Die Zeile stammt aus dem Song „Dünner als Papier“ und ist auf eine konkrete Situation bezogen. Ich habe eine gute alte Freundin aus Schulzeiten, zu der ich viel Kontakt hatte, irgendwann durch meine persönlichen Probleme vernachlässigt, so wie ich viele andere Sachen auch vernachlässigt habe. Da habe ich mich mit dem Thema auseinandergesetzt und mich mit der Frage beschäftigt, wie ich zu anderen Menschen bin, wie ich eigentlich Beziehungen und Freundschaften führe und festgestellt, dass ich oft so beschäftigt mit meinen eigenen Problemen bin, dass ich mich nicht mehr um andere kümmern kann. Nach dem Prinzip: Wenn ich mich selbst nicht um mich kümmern kann, wie soll ich mich dann um andere kümmern?

Daraus entstand der Gedanke, dass ich es zwar versuche besser zu machen, aber man entweder akzeptieren muss, wie ich gerade bin, oder es eben nicht tut. Entweder verzeiht man mir und akzeptiert das, oder nicht, und das wäre auch in Ordnung. Ich glaube, diese Haltung spiegelt sich in jedem Song wider. Diese innere Zerrissenheit, Verlustangst und die Schwierigkeit, Beziehungen und Freundschaften zu führen, finden sich in jedem Song irgendwo wieder. Zusätzlich stellt das Bandleben hohe Anforderungen an das Umfeld und verlangt Familie, Freunden und Partnerschaften viel ab. Wenn man auf Tour ist, fehlt einem oft die Zeit für das Umfeld, und wenn man mal Zeit hat, ist der Kopf oft woanders. Das ist für alle Beteiligten eine Herausforderung.

Am 14. September treten Sperling bei Get Loud Against Hate in Hoya auf und am 8. Oktober spielen sie auf eigener Tour im Bremer Tower Musikclub. Tickets gibt es für beide Veranstaltungen noch im Vorverkauf.

 


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