„Der Hype beflügelt uns eher“ – Provinz im Interview

Wir haben uns anlässlich ihres Auftritts in Bremen im März mit den jungen Durchstartern von Provinz getroffen.

Provinz

Bremen. Gerade einmal ein Jahr ist es her, dass Provinz ihre Debüt-EP „Reicht dir das“ veröffentlicht haben. Es folgten herausragende Kritiken, Auftritte bei Festivals wie dem Kosmos Chemnitz, in viel beachteten TV-Formaten wie „Inas Nacht“ und Ende September beim Reeperbahn Festival. Am 14. August erscheint ihr Debütalbum „Wir bauten uns Amerika“ bei Warner Music Germany. Nachdem sie im Oktober die erste Album-Single „Augen sind Rot“ veröffentlicht haben und damit zu Gast bei „Late Night Berlin“ waren, war ihre erste eigene Headliner-Tournee im Frühjahr binnen weniger Tage komplett ausverkauft. Insgesamt stehen für Provinz in diesem Jahr 90 Tour- oder Festivalauftritte auf dem Programm. Im März sind sie als Support für Fil Bo Riva im Modernes aufgetreten, im Oktober spielen sie auf eigener Headliner-Tour im Kulturzentrum Schlachthof.

Provinz sind Vincent Waizenegger (Gesang, Gitarre), Robin Schmid (Keyboard, Gesang), Moritz Bösing (Bass, Gesang) und Leon Sennewald (Schlagzeug).

Anmerkung der Redaktion: Das Interview wurde am 11. März und somit vor den Kontaktbeschränkungen durch das Corona-Virus aufgezeichnet. Der Release des Debütalbums verschiebt sich als Folge auf den 14. August, die Clubtour findet Anfang September statt.

Ende Februar habt ihr als Vorband von Jeremias eure ersten Tour-Konzerte in diesem Jahr gespielt. Wie eingespielt fühlt ihr euch schon für die ganzen kommenden Auftritte?

Leon: Ehrlich gesagt gar nicht so eingespielt. In den ersten Wochen und Monaten gab es so viel zu tun, da sind die regelmäßigen Proben etwas auf der Strecke geblieben. Bei den beiden Konzerten hat trotzdem alles bestens geklappt.

Robin: Wir proben gerne sehr intensiv und stimmen uns gut auf die Konzerte ein. Vor der Tour mit Fil Bo Riva hatten wir zwei lange Proben, bis unser Support-Set fertig und eingespielt war.

Vincent: Unsere älteren Songs und die Singles sind schon sehr sicher, die laufen fast von alleine. Gerade die neuen Albumsongs proben wir aber noch sehr ausdauernd.

Was habt ihr in den ersten Wochen des Jahres gemacht?

Moritz: Da haben wir die Albumproduktion beendet und zudem noch drei Musikvideos gedreht, die jetzt nach und nach erscheinen werden.

Heute Abend beginnt eure bisher größte Support-Tour, bevor danach eure eigenen Konzerte starten. In diesem Jahr habt ihr noch viel vor. Das Gefühl, „wenn die Party vorbei ist“ beschreibt ihr in einer aktuellen Single, wie fühlt es sich gerade an, „wenn die Party kurz bevor steht“?

Leon: Wir haben aktuell 90 geplante Termine in diesem Jahr. Zwei Tourneen, viele Festivals, unser Albumrelease – wenn wir vorausblicken, kommt noch einiges auf uns zu. Wir freuen uns sehr darauf!

Vincent: Insgesamt ist es ein großes Abenteuer, das uns in diesem Jahr bevorsteht. Ich bin voller Vorfreude und gespannt darauf, wie wir über die Monate funktionieren und was alles so passiert. Durch Corona gibt es aktuell leider einige Unsicherheitsfaktoren, die wir nicht planen können.

Im April spielt ihr eure erste Headliner-Tour, die innerhalb weniger Tage ausverkauft war. Warum habt ihr euch entschieden, die Konzerte nicht hochzuverlegen?

Vincent: Unsere erste Tour soll im kleinen Rahmen stattfinden. Wir wollten dieses besondere Club-Feeling und den Fans, die von Anfang an dabei sind die Chance geben, uns in kleiner Atmosphäre spielen zu sehen. Wir sind teilweise noch unerfahren und wollten auch für uns gerne das Gefühl haben, vor 300 Besuchern zu spielen und nicht direkt 1000 Leute vor der Bühne zu haben.

Robin: Es war dann relativ schnell klar, dass wir im Oktober noch eine Tour spielen werden. Wir haben uns entschieden, die Konzerte im Frühjahr im kleinen Rahmen zu lassen und im Herbst zu schauen, welche Venue-Größen für uns möglich sind.

Hat euch die große Ticketnachfrage überrascht?

Leon: Ja, voll! Innerhalb von zwei oder drei Tagen waren alle Tickets weg. Das hat niemand von uns fassen können, das war irre. Es ging so schnell, obwohl es unsere erste eigene Tour überhaupt ist.

Moritz: Was bei der zweiten Tour momentan passiert, ist auch verrückt. Alles ist hochverlegt oder es gibt Zusatzshows. Das hätten wir uns vielleicht erträumt, in der Dynamik kam es aber total unerwartet.

Vincent: Als wir die zweite Tour vor drei Monaten angekündigt haben, war sie noch eine ganz andere. Wir spielen jetzt in größeren Läden und ganz viele Zusatzshows. Anfangs waren es knapp 20 Konzerte, jetzt sind wir schon bei 30 Shows. Das ist absurd für uns.

Anfang März habt ihr euer Album bei einem Pre-Listening-Event in Hamburg vorgestellt. Welche Rückmeldungen habt ihr darauf erhalten?

Leon: Wir hatten ein größeres Interview, es waren viele Presseleute anwesend, die danach auch alle ziemlich schnell wieder weg waren. Was wir so mitbekommen haben, ist aber ganz positives Feedback.

Robin: Interessant ist, wenn man rumfragt, was die Lieblingssongs der Leute sind, schießen sich nicht alle auf einen Song ein, sondern verschiedene Stücke werden genannt. Das hören wir gerne!

Vincent: Wir sind sehr zufrieden mit dem Album und gespannt und freuen uns, wenn es endlich draußen ist.

Bands wie AnnenMayKantereit oder Giant Rooks haben mit ihren Debütalben lange gewartet und vorher einige Tourneen gespielt. Warum habt ihr euch entschieden, euer erstes Album vergleichsweise früh mit der ersten Tour zu veröffentlichen?

Leon: Auf dem Weg zu unserer ersten EP „Reicht dir das“ im Mai 2019 hat es für unser Gefühl sehr lange gedauert. Es ging darum, eine Veröffentlichung zu haben und den Fans etwas präsentieren zu können. Darauf sind vier Songs, wir hatten in der Zeit nach Entstehung und vor Release aber schon wieder relativ viele neue Sachen geschrieben.

Moritz: Später haben wir angefangen die erste Tour zu planen. Dazu wollten wir ein Album haben, mit dem wir dieses und vielleicht noch nächstes Jahr bestreiten können. Mit den Songs spielen wir sehr viel live, das war so schon relativ lange der Plan.

Vincent: Nach der EP hatten wir noch so viel Musik, die nicht veröffentlicht war. Es macht einfach mehr Spaß, Songs live zu präsentieren, wenn die Leute sie zum Teil schon kennen und mitsingen können.

Robin: Zudem hat ein Album einen ganz anderen Charme und ist für uns als Musiker viel mehr wert als eine EP. Deswegen ist der anstehende Release für uns eine sehr große Sache.

Führt der Hype, den es gerade offensichtlich gibt, eher zu Rückenwind, Erwartungsdruck oder Verunsicherung?

Leon: Wir arbeiten momentan wie in einer Blase vor uns hin. Wir bekommen das alles mit, aber bis wir es realisieren, dauert es eine ganze Zeit. Es passiert eher nebenher, wir haben die coole Position, dass wir davon gelöst sind. Deshalb haben wir keinen richtigen Erwartungsdruck, der Hype beflügelt uns eher.

Euer Album trägt den Namen „Wir bauten uns Amerika“ – welche Grundwerte gibt es in eurem Amerika?

Leon: Wir haben dabei weniger an konkrete Werte gedacht, „Amerika“ war in unserem Verständnis eher ein Sinnbild für Freiheit und große Weiten. Also trifft der Grundwert „Freiheit“ auf jeden Fall zu.

Vincent: „Für jemanden Amerika bauen“ ist eine Metapher, für jemanden alles zu tun. So wird es im titelgebenden letzten Albumsong aufgefasst und interpretiert. Jeder Mensch hat verschiedene Ziele und damit sein ganz persönliches Amerika im Leben. Für uns war es jetzt gerade unser Album, deswegen fanden wir es ein schönes und spannendes Bild mit „Provinz“ und „Amerika“ als krassen Gegensatz. Amerika hat noch immer etwas illusionsgeladenes, was nicht mehr so richtig existiert, anders als früher mit dem American Dream und unendlichen Möglichkeiten

Leon: Es bezieht sich mehr auf den vergangenen Mythos von Amerika und ist ein nostalgisches Bild.

Wie nah ist der Schritt, aus der Nähe von Ravensburg in eine größere Stadt zu ziehen – oder ist er sogar schon vollzogen?

Leon: Wir haben alle Bock umzuziehen. Es ist nur für die nächste Zeit nicht wirklich praktikabel, weil wir einfach super viel unterwegs und schon jetzt sehr selten zu Hause sind. Da macht es gerade einfach keinen Sinn, sich eine Wohnung zu beschaffen und jeden Monat Miete zu zahlen, das wäre rausgeschmissenes Geld. Es ist nach wie vor der Plan, aber dieses Jahr werden wir wohl noch abwarten.

Was würdet ihr an der ruhigen und nicht so urban geprägten Umgebung am meisten vermissen?

Moritz: Wahrscheinlich genau diese beiden Dinge – einfach das entschleunigende, mal abschalten und nichts zu tun.

Robin: Es ist einfach weniger Stress. Für mich ist Berlin manchmal der Inbegriff von Stress. Auf dem Land gibt es wenn überhaupt nur selbstgemachten Stress aber nichts, was man zusätzlich auf den Straßen wahrnimmt.

In Bremen habt ihr schon beim Horn To Be Wild und als Support von All The Luck In The World im Tower gespielt. Welche Erinnerungen habt ihr an die Shows?

Leon: Horn To Be Wild im letzten Sommer war ein sehr schöner Auftritt, da waren viele Leute, die einfach super viel Bock hatten.

Robin: Als wir Vorband im Tower waren gab es einen Moment, in dem wir von hinten die Hauptband angeschaut haben und an einer sehr ruhigen Stelle habe ich versehentlich ein Getränk umgeworfen. Es war ganz still, alle haben auf mich geschaut.

Da erinnere ich mich auch noch gut dran – das war bei „Never“, dem einzig wirklich bekannten Song der Band. Ihr kommt aus dem tiefsten Süden und spielt heute im hohen Norden – wie unterscheidet sich das Publikum?

Moritz: Ich nehme die Menschen in Berlin, Hamburg oder eben Bremen entgegen der Vorurteile offener wahr. Sie gehen eher auf dich zu und schnacken lieber.

Vincent: Norddeutschland hat seinen eigenen Schnack und die Leute sprechen freier von der Leber. Im Süden sagt man „nicht gemeckert ist Lob genug“. Im Norden ist mehr „frei Schnauze“.

Ganz frisch habt ihr die Doppel-Single „Nur Freunde/Verlier dich“ veröffentlicht. Warum habt ihr euch entschieden, gleich zwei Songs auf einmal rauszubringen?

Vincent: Wir hatten noch mehrere Songs, die wir gerne vorab präsentieren wollten. Es war uns wichtig, noch einen emotionalen Aspekt unserer Platte zu zeigen, das ist „Nur Freunde“. Von der Storyline und den Videos passt „Verlier dich“ sehr gut dazu. Es ist ja eher unüblich, dass Bands eine Doppel-Single releasen, für uns hat es aber ideal gepasst.

In eurer Biographie stehen Fernsehauftritte bei Inas Nacht und Late Night Berlin – was war bisher die spannendste Produktion, die ihr erlebt habt?

Vincent: Das ist ganz klar Late Night Berlin, auch weil wir damit selber mehr anfangen können als mit Inas Nacht. Die ganze Produktion und das professionelle Umfeld ist für uns als Band in jungen Jahren schon eine andere Hausnummer. Wir waren krass aufgeregt und sehen den Auftritt als Meilenstein.

Leon: Wir kennen die Sendung und haben früher sehr viel von Joko und Klaas geguckt. Plötzlich stehen wir selber im Studio und sehen alles hinter den Kulissen. Das war super aufregend!

Letzte Woche wart ihr privat zusammen bei Sam Fender in Hamburg – welche Musik hört ihr noch gerne im Tourbus?

Leon: Es ist bei uns sehr breit gefächert, jeder hat seinen eigenen Musikgeschmack und einiges überschneidet sich. Aktuell läuft viel Mac Miller und Sam Fender, in anderen Phasen hören wir mehr Faber oder Tora. Von Hip-Hop über Rap und Pop ist alles dabei.

Robin: Coldplay ist für mich eine Band, die beim Autofahren immer geht.

Vincent: Ansonsten können wir uns oft auf Fest & Flauschig einigen.

Am Samstag, den 17. Oktober treten Provinz in Bremen im Kulturzentrum Schlachthof auf. Tickets für das Konzert gibt es noch im Vorverkauf.

 


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