Die Besten des Jahres 2023 – eine Liste von Claas

Was bewegte nicht alles in diesem Jahr? Eine Menge, wie ich bei der Zusammenstellung feststellen musste. Hier gibt es eine Liste - wie üblich - mit zu viel Musik für eine Top Ten. Und dann wurde die von Claas auch noch vollkommen durcheinander gerüttelt. Praktisch jedes Werk hatte in diesem Jahr seine Momente.

Frank Turner. Foto: pfa

Schon wieder ein Jahr rum. Ein Jahr mit vielen tollen Alben und noch mehr tollen Songs. Wäre alles normal, dann wäre wohl The Price Of Progress von The Hold Steady mein Album des Jahres geworden. Craig Finn schreibt nicht mehr an einem Episoden-Roman, sondern bietet viele kleine Kurzgeschichten über Menschen, die sich in der modernen Welt verloren haben und sich langsam, aber sicher ihr Scheitern eingestehen müssen. Keine Band sah ich dieses Jahr öfter live, wahrscheinlich lief kein Album im ersten Halbjahr öfter als dieses. Und wer ganz genau hinsieht, findet den Schreiber dieser Liste auch in diesem Video aus London. Aber irgendwie flachte das Album auf der B-Seite etwas ab und darum ausnahmsweise mal nicht auf Platz eins bei mir.

 

 

Aber ganz langsam hat sich am Ende des Jahres eine Band aus Kanada an meine persönliche Spitze geschoben. The Penske File veröffentlichen beim Bremer Label Gunner Records und brachten im Sommer das Album Half Glow raus, über welches ich hier schon fast alles gesagt habe. Seitdem ich diese Wörter niedertippte, hat sich nichts an meiner Euphorie geändert.

The Penske File sind dabei so stürmisch, wie The Gaslight Anthem es auch mal waren. Aber wie es im Alter nun mal so ist, wird alles etwas abgeklärter, weniger dringend, der Wunsch, etwas Neues zu schaffen, sich nicht zu wiederholen, tritt an Stelle von euphorischen Plattitüden. Ganz klar sollte eine Band sich nicht wiederholen, meistens klingt das langweilig und im schlimmsten Fall sogar peinlich. Diesen Fehler begehen The Gaslight Anthem auf History Books nicht. Dafür ist das Album ein gutes Alterswerk geworden. Ich habe ja so eine Theorie, dass die Musik von Bands in ihren 40ern meist die schlechteste ist und erst wieder mit 50 richtig gut wird. Dann haben The Gaslight Anthem die beste Zeit noch vor sich. Aktuell verlieren sie bei mir persönlich aber gegen die Kollegen von The Penske File und sind irgendwie auch nur dabei, um den Unterschied zu demonstrieren. Aber natürlich können The Gaslight Anthem auch kein richtig schlechtes Album machen. Und zur Not hilft der Boss halt nach, wobei ich nicht mal mehr sicher bin, ob das ein Qualitätsmerkmal ist.

Ich habe (wie erwähnt) keine Ahnung, ob The Gaslight Anthem es überhaupt ohne The Penske File in diese Liste geschafft hätten. Was dann auch zeigt, was The Penske File für eine Kraft haben. Ganz sicher aber, weit oben bei den Alben des Jahres befinden sich The National. Die haben gleich zwei Alben rausgebracht. Laugh Track aus dem Herbst fällt dabei etwas hinter The First Two Pages of Frankenstein zurück. Die schwerste Entscheidung für diese Liste war aber, welchen Song ich hier verlinke. Den tollen The Alcott mit Taylor Swift, das Release Konzert oder eben das geniale und emotionale Eucaplyptus.

Es ist Wahnsinn, wie sich ein langsamer Indietrack immer weiter hochschaukeln kann. Und was ist überhaupt mit den Afghan Whigs? Und was ist überhaupt mit Deutschpunk? Erstaunlicherweise ging da ne Menge dieses Jahr! Da wären zunächst Captain Planet zu nennen, die in einem ansonsten etwas schwächeren Jahr sicherlich bis auf Platz eins hätten preschen können. Come On, Cat ist für mich etwas die Matularisierung von Captain Planet und vielleicht mag ich das Album deswegen so gerne. Überall stand zu lesen, Captain Planet hätten sich überhaupt nicht verändert und so weiter. Ich finde, sie haben sich total verändert, sind etwas reduzierter, nicht mehr ganz so stürmisch und das steht den Hamburgern verdammt gut. Anders als bei The Gaslight Anthem erkenne ich bei Captain Planet aber noch eine Dringlichkeit. So ist es halt, wenn noch nicht alle Schäfchen im Trocknen sind.

Genau diese Dinglichkeit hat auch DL Burdon & His Questionable Intentions auf seinem Album Thank You & Goodnight. Ein mir bis zum diesem Jahr noch völlig unbekannter Künstler  – dabei spielte Davey Burdon schon bei Leatherface. Kein Album lief im Stream bei mir dieses Jahr häufiger, was sicherlich auch dran lag, dass es erst kürzlich und in einer Kleinstauflage auf Vinyl erschienen ist. Gleiches wie bei Captain Planet – hätte durchaus auch die eins verdient gehabt. Für mich auf jeden Fall die größte Entdeckung des Jahres.

Der Kollege pfa wollte mich irgendwann am Anfang des Jahres dazu bringen, eine Review zu Stowaway von Samiam zu schreiben. Aber das ging nicht. Nicht, weil ich das Album nicht super fand, sondern weil ich mich dem Werk langsam nähern musste. Immerhin handelt es sich um das erste Album von Samiam seit X Jahren. Ich muss leider zugeben, in den letzten Monaten ist das Ding bei mir etwas hinten runtergefallen, was ich kürzlich aber wieder aufgeholt habe. Nun werden Reviews ja (leider) eh schon wenig gelesen. Aber eine Kritik Wochen oder gar Monate nach Release ist die Mühe dann wirklich nicht mehr wert. Dann lieber in dieser Liste ein Video, damit sich alle davon überzeugen können.

Bisher nur Typen in dieser Liste. Die meisten davon nicht mal besonders jung. Das erste Album des Jahres (Release und gekauft) gehörte allerdings einer Frau. Nämlich BillyNoMates mit Vertigo. Im April im ausverkauften Molotow in Hamburg gesehen. Da stand sie ganz alleine auf der Bühne und spielte ein hochgradig energetisches Set von genau 60 Minuten, das keine Wünsche, dafür aber einige Münder offen ließ. Im Sommer dann Tausende Idioten, die BillyNoMates nach einem Festivalauftritt in UK online niedermachen, weil sie es gewagt hatte, auf einem ROCK-Festival ohne Band und praktisch ohne Instrumente aufzutreten (was bei ihren Freunden Sleaford Mods allerdings egal zu sein scheint)! Bleibt nur zu sagen, Fickt Euch und eure beschissene Einstellung aus dem letzten Jahrhundert. Selbst wenn in meiner Liste auch hauptsächlich männlich dominierte Gitarrenbands vorkommen, kann ich so ein Verhalten scheiße finden. Hier ist der Beweis, dass BillyNoMates vielleicht die coolste Person im Business ist!

Etwas später, nämlich im Februar kam auch endlich ein neues Album von den Quasi-Bremer: innen von Rhonda raus. Forever Yours hieß es und zwei Tage nach (oder vor?) Release spielte die Band auch in Bremen ein Konzert. Wenn ich mich recht erinnere, muss es für mich das erste Konzert des Jahres gewesen sein. Etwas Lokalpatriotismus soll an dieser Stelle gestattet sein. Außerdem das Lieblingsalbum meines Jüngsten („das mit den Masken“).

So, wir kommen dem Ende entgegen. Wer sich bis hierhin durchgeklickt hat, schon mal DANKE! Schätze, es sollte noch etwas Deutschsprachiges kommen. Und etwas Punkiges. In den letzten Jahren habe ich es nie geschafft, „nur“ zehn Alben aufzulisten. Dieses Mal probiere ich es. In kaum einem Jahr der jüngeren Vergangenheit hörte ich wohl so viel Musik, die unter der Genrebezeichnung Deutschpunk zu finden ist. Trotzdem fliegen Team ScheißeDüsenjäger, Frachter und ScheißeDieBullen an dieser Stelle raus. Am häufigsten lief nämlich Endlich Zukunft von Todeskommando Atomsturm. Alles was ein Punkalbum ausmacht, findet auf Endlich Zukunft statt. Es ist hart, kritisch, hat Haltung und Melodie.

Bonus:

Das wars dann erstmal von meiner Seite. Völlig unter die Räder bei mir gekommen sind Burnout Ost/West und Noel Gallagher – Künstler, die ich eigentlich mag, aber kaum gehört habe dieses Jahr. Jason Isbell ist ebenfalls (schon wieder) ganz knapp rausgeflogen. Auch nicht berücksichtigt habe ich die Underground EP von Phantom Bay, weil es eben eine EP und kein Album ist. Gleiches gilt dann auch für As Friends Rust mit Any Joy. 25 Minuten und sieben Songs reichen dann nicht, um als Album betitelt zu werden. Selbst wenn es das erste Werk (abgesehen von einer Single) seit Jahren ist.

Alles tolle Musik. Aber dieses Jahr soll es wirklich mal eine Top 10 sein. Wer auf die externen Links klickt, hat ansonsten ja sowas wie eine Erweiterung mit zehn weiteren tollen Bands / Alben aus dem Jahr 2023. Ich würde es machen!

Und auch Konzerte fanden wieder statt und machten (im Gegensatz zu 2022) wieder mehr Spaß. Toll waren die erwähnte Billy No Mates in Hamburg. Ways Away auf dem Booze Cruise Festival im Hafenklang, Phantom Bay im BDP Haus waren ebenfalls super und Chinese Football im Bürgerhaus Weserterrassen waren ein weiteres Highlight.

Mal sehen, was 2024 bringen wird. Jedenfalls ein neues Frank Turner Album, so viel steht schon mal fest. Gunner Records hat ja auch schon wieder ein paar Platten angekündigt. Ansonsten lasse ich mich überraschen. Eins ist ja mal klar, es geht immer weiter und die (gute) Musik wird nie enden. Happy New Year!

 


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