„Bei Nacht fühle ich mich einfach freier“ – Heisskalt im Interview

Anlässlich des Hurricane Festivals Ende Juni in Scheeßel haben wir uns mit der deutschsprachigen Alternative-Rock-Band Heisskalt zum Interview getroffen.

Archivfoto: Jörg Kröger

Bremen/Scheeßel. Seit der Veröffentlichung ihres Debütalbums „Vom Stehen und Fallen“ im Jahr 2014 sind Heisskalt permanent unterwegs, haben ein weiteres Studioalbum sowie ein Live-Album aufgenommen. Im Interview sprechen sie über die Idee dahinter und versuchen zu ergründen, warum die Nacht als Metapher in ihren Texten so beliebt ist.

Euer zweites Studioalbum „Vom Wissen und Wollen“ ist vor fast genau einem Jahr erschienen. Was ist seitdem bei euch passiert?

Im Herbst haben wir eine große Tour gespielt, total spannend waren auch die Auftritte in Frankreich mit dem Goethe-Institut. Im Frühjahr haben wir wieder Konzerte in ganz Deutschland gespielt. Mathias ist Papa geworden und nach Leipzig gezogen, Philipp ist nach Berlin gezogen. Wir haben ein Konzert in der Ukraine gespielt. Und natürlich haben wir im März unser Live-Album veröffentlicht.

Was hat euch dazu bewegt, ein solches Album zu veröffentlichen?

Wir spielen sehr gerne live, die intensivste Arbeit und die meiste Energie in unserer Band fließt in unsere Konzerte. Da erschien es uns logisch, das einfach mal festzuhalten. Wir haben es auf unserer Tour aufgenommen, ein Freund von uns hat es gemischt. Es ist ein wirklich cooles Album geworden – auch gar nicht so ein kleines Ding, sondern ein richtiges Stück Arbeit. Jetzt haben wir unsere Tour auf einem Album, das ist ein super Gefühl.

Vor vier Jahren seid ihr zuletzt beim Hurricane aufgetreten. Was war damals der größte Unterschied im Vergleich zur heutigen Show?

Wir treten ziemlich genau fünf Stunden später als vor vier Jahren auf der gleichen Bühne auf. Beim letzten Mal sind wir noch vom Southside zum Hurricane gefahren, diesmal ist es umgekehrt. Es ist angenehmen – vor vier Jahren hatten wir einen Bus ohne Betten, diesmal einen Bus mit Betten. Beim Festival selber ist natürlich vieles gleich geblieben, aber der Backstage hinten sieht ganz anders aus.

Ihr habt bestimmt schon wieder einige neue Songs geschrieben. Legt ihr heute andere Schwerpunkte als noch vor drei Jahren beim Debütalbum?

Wir haben schon wieder ein bisschen zusammen musiziert, uns aber einfach getroffen, um Musik miteinander zu machen, ohne den konkreten Plan, auf ein bestimmtes Endprodukt hinzuarbeiten. Wir haben einfach gemeinsam Songs geschrieben und hatten sehr viel Spaß dabei. Wir haben uns wenig Gedanken darüber gemacht, wie unsere Musik klingt, sondern eher wie wir Musik machen, was das Ergebnis am Ende wiederum stark beeinflusst. Wie soll der Prozess aussehen und wie soll er besetzt sein, mit welchen Menschen, in welchem Zeitraum, in welchen Räumlichkeiten?

Wo legt ihr textlich eure Prioritäten?

Wir haben keine textlichen Schwerpunkte, versuchen aber, immer kritisch auf das Leben zu gucken und Dinge aufzuschreiben, die wir für relevant oder stellvertretend halten. Diese packen wir dann in Texte in der Hoffnung, damit andere Menschen anzuregen, genau und kritisch zu gucken, zu hinterfragen und sich auch selbst mal kritisch zu hinterfragen.

Eure Texte sind eher nachdenklich und melancholisch, während die meisten Songs laut und rockig sind. Woher kommt diese Traurigkeit?

Es gibt viele Gründe dafür, wenn man das Leben, in dem wir uns alle befinden, reflektiert und die Welt mit Melancholie, mit Wut und einem Gefühl von Ungerechtigkeit betrachtet. Beim Nachdenken kommt es dann automatisch in die Texte.

Die Nacht ist eine gerne und häufig genutzte Metapher bei euch. Fühlt ihr euch bei Nacht wohler und sicherer, besser aufgehoben?

Interessante Frage! Vorab aber noch eine Sache zu den Texten: Die Frage setzt voraus, dass ich ganz bewusst dasitze und mir ganz bewusst Metaphern überlege, um etwas bestimmtes zu transportieren. Aber ich versuche beim Schreiben immer einen eher unbewussten Zustand zu erreichen, in dem mein Gehirn direkt mit meiner Hand verbunden ist und nicht mehr den Weg über das bewertende Nachdenken geht. Ich möchte mich nicht fragen, ob das jetzt ein richtiger Satz ist, ob der es wert ist, aufgeschrieben zu werden, ob die Leuten den hören wollen, ob sie ihn überhaupt richtig verstehen oder ob ich missverstanden werde. In dem Moment, wo ich das ausschalte, schreibe ich die besten Sachen. Deswegen kann ich nicht sagen, warum ich so viel von der Nacht schreibe.

Das macht die Frage ja noch viel interessanter.

Tatsächlich mag ich die Nacht einfach total gerne. In der Nacht kann ich sehr gut arbeiten, dort fühle ich mich auf eine geilere Art alleine als am Tag. Ich fühle mich bei Nacht einfach freier, das hat wohl den ganz einfach Grund, dass alle anderen schlafen und niemand mehr nervt.

Im Song „Angst hab“ heißt es, „Warum ich Angst hab? Wir werden nichts bereuen!“. Welcher Gedanke steckt dahinter?

Dahinter steckt meine Sorge davor, dass so viel Scheiße passiert und viele Menschen sich einfach daran beteiligen, ohne es so richtig zu wissen und es deshalb auch nicht bereuen werden. Es wird einfach immer so weitergehen und die ganzen Bemühungen werden umsonst gewesen sein.

Habt ihr für den Herbst oder Winter eine Tour geplant, oder was steht bei euch als nächstes an?

Erstmal haben wir jetzt noch ein paar Festivals vor uns, gleichzeitig arbeiten wir weiter an besagtem Material. Ende des Jahres spielen wir noch vier Konzerte, eins davon in Hamburg im Mojo Club. Am 13. Dezember, zusammen mit Smile and Burn.

In der deutschsprachigen Musikszene wachsen gerade viele spannende Nachwuchsbands heran? Habt ihr einen Favoriten, den ihr gerne weiterempfehlen möchtet?

Passenderweise natürlich Smile and Burn, die haben heute auch auf dem Hurricane gespielt. Wir waren wieder total überzeugt und fanden es sensationell. Bei der Herbsttour letztes Jahr hatten wir Lygo und Lirr dabei, beides wahnsinnig krasse Bands. Und der Bruder von Marius ist ein ziemlich geiler Rapper, der nennt sich Borni. „Kaffee und Pfeffi“ ist zum Beispiel einer seiner Songs. Generell gibt es so viele unbekanntere, undergroundigere Bands, die es zu entdecken gilt. Man kann sich ja in der eigenen Stadt einfach mal umschauen, welche Jugendzentren es gibt und was die einem so auftischen. So findet man auf jeden Fall viele interessante Bands.

 


Mehr Beiträge aus" Interviews" zur Startseite

„Bei Nacht fühle ich mich einfach freier“ – Heisskalt im Interview teilen auf: