Campino – Hope Street, Piper 2020
Der Sänger der Toten Hosen berichtet davon, wie er einmal englischer Meister wurde, so sagt es wenigstens der Untertitel des Buches. Dabei ist Hope Street so viel mehr als bloß ein Buch über Fußball. Auf der Bühne im Club 100 zu erleben.

Liverpool/Düsseldorf/Bremen. Die Einordnung dieses Buches fällt dann doch überraschend schwer. Klar, Fußball und ganz speziell die Meistersaison des Liverpool FC spielt eine große Rolle, begleitet der Leser doch den glühenden Fan Campino durch die Saison 19/21 in der Liverpool bekanntermaßen zum ersten Mal seit dreißig Jahren Fußballmeister wurde. Campino versucht bei so vielen Spielen, wie es ihm möglich ist, vor Ort zu sein, leider kommt ihm da sein Beruf als Sänger einer der bekanntesten Bands des Landes immer wieder in die Quere. An manchen Tagen ist er gezwungen, die Spiele des Vereins auf einem kleinen Monitor auf der Bühne zu verfolgen. Oder im Backstagebereich von irgendwelchen Festivals, ohne funktionierende Internetverbindung oder eben vom Sofa zu Hause in Berlin oder Düsseldorf. Am liebsten dann aber doch im Anfield oder irgendeinem anderen Stadion in England oder Europa. So viel ist schon mal sicher, Campino lässt sich sein Hobby einiges kosten.
Die einzelnen Spieltage der Saison rücken allerdings schnell in den Hintergrund und dienen Campino vor allem als Vorlagen für einen Blick in die eigene Vergangenheit. Hope Street ist ganz sicher keine Autobiographie, aber es gibt viele Einblicke in Campinos Kindheit und Jugend, die allesamt entweder mit Fußball (und ganz speziell eben Liverpool, später auch Fortuna Düsseldorf) zu tun haben oder England, der Heimat seiner Mutter. Natürlich kommen auch die Toten Hosen und Punkrock an manchen Stellen vor, nehmen allerdings kaum Platz auf den Seiten ein und werden eher nebensächlich behandelt.
Stören am Anfang der 350 Seiten diese Rückblenden in die Kindheit, eine gewisse Glorifizierung, alles Englischem und die Familiengeschichte, so gehören spätestens ab der Mitte des Buches besonders diese Kapitel zu den stärksten. Besonders beeindruckend bleiben die beiden Kapitel über Campinos Eltern und ihre Kennenlerngeschichte in Erinnerung, die in dieser Form den Vergleich mit „Zwischen Ihnen“ von Richard Ford nicht zu scheuen braucht. Vor allem die eindringlichen Zitate aus den Briefen von Campinos Vater von den verschiedenen Fronten im Zweiten Weltkrieg, die er an seinen eigenen Vater, also Campinos Großvater, geschrieben hat, sind Zeugnis einer grausamen Zeit, die sich niemals wiederholen darf. In kurzen Auszügen werden die Schrecken von Krieg und Schrecken, die ein junger Mann erleben musste skizziert.
Das darauffolgende Kapitel widmet sich Campinos Mutter, ihrer Ankunft in Deutschland und wie sie sich in den Vater verliebte, der auf diesen Seiten als liebevoller und vor allem sensibler Mann beschrieben wird, was im restlichen Buch eher nicht der Fall ist. Dort wirkt der Vater eher mürrisch und unbeherrscht. Die Mutter hingegen konnte ihre Heimat nie vergessen, so verbrachten die Kinder ihre Sommerferien stets bei der Familie in Cornwall, wo Campino nun ein eigenes Haus besitzt.
Die sehnsuchtsvollen Beschreibungen des englischen Lebens, der Eigenheiten der Bewohner und der Kultur sind ein weiterer Glanzpunkt dieses Werkes. Campino schleimt sich nicht ein, sondern berichtet mit einer großen Portion Zuneigung über seine englischen Freunde. Hope Street ist ein vollkommen uneitles Buch, das auf pathetische Posen verzichtet und einen tiefen Einblick in Campinos Gedankenwelt, Freundeskreis, Bandleben und dem eigenen Fantum gibt. Aber es bleibt eben nur ein Einblick (von vielen). Eine klassische Autobiographie von oder über Campino oder den Toten Hosen kann nur langweiliger sein.
Am 21.05.2021 tritt Campino im Rahmen des Club 100 im Pier 2 auf und stellt Hope Street vor.
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