Thorsten Nagelschmidt – Der Abfall der Herzen, Fischer Verlag 2018

Erstmalig unter eigenem Namen veröffentlicht der in Berlin lebende Autor einen neuen Roman im Fischerverlag und geht anschließend auf große Lesetour – Eine Rezension.

Jahrelang wurde der Autor vom vorliegenden Roman von allen, und nicht zuletzt von sich selbst, Nagel gerufen. Nun liegt die erste Veröffentlichung unter vollständigem eigenem Namen vor. In der es zumindest indirekt um die Findung von Thorsten Nagelschmidt geht.

Im Prinzip passiert in diesem Roman nichts Aufregendes. Drei junge Männer und zwei Frauen reichen aus, um die grobe Geschichte zu erzählen. Jeder kann sich denken, um was es geht und ungefähr passieren wird. Aber dann ist da mehr, der Überbau, die herrliche Beschreibung der vielleicht schönsten Zeit des Lebens. Die Schwelle zwischen Jugendlicher und Erwachsener, Coming of Age nennen es die Amerikaner. Und genau das ist der Roman, ein Coming of Age. Dem Leser werden die kleinen und großen Abenteuer des Anfang zwanzigjährigen Protagonisten Nagel von seinem älteren Ich erzählt, der sich, durch einen zufällig gefallenen Satz eines Freundes inspiriert fühlt, seine alten Tagebücher anzusehen und sich in dessen Folge mehr und mehr in die Vergangenheit ziehen lässt. Der letzte große Sommer. Nicht nur vor dem Erwachsenwerden, sondern auch des Jahrtausends.

Genau, wie sich der Protagonist akribisch seinem Roman widmet, der Leser wird also nicht nur Zeuge der Geschichte, die erzählt wird, sondern erfährt gleichermaßen vom Schaffensprozess eben diesen, wird der Leser in die Vergangenheit gezogen. Jedenfalls diejenigen, die das Jahr 1999 bewusst miterlebt haben. Wer dafür zu jung ist, bekommt Einblicke in eine Zeit und Welt ohne Handys, Facebook, Euro und Laptops, dafür mit Festnetztelefon, Telefonzellen, Faxgeräten, D-Mark und handschriftliche Aufzeichnungen. Denn ohne seine ausführlichen Tagebucheinträge wäre es dem Protagonisten Nagel nicht möglich gewesen, 15 Jahre später (die Gegenwart des Romans spielt im Jahr 2015), ausführlich zu rekapitulieren.

Erinnerungen sind einseitig und verändern sich im Lauf der Zeit. Deswegen vergewissert sich der Autor der erzählten Geschichte bei seinen alten Freunden, besucht und interviewt sie und erfährt dabei Bestätigung, als auch Abweichungen. Geschickt werden dabei die beiden Zeitebenen, der Sommer 1999 und der Sommer 2015 miteinander verwoben.

Die Herkunft des Titels „Der Abfall der Herzen“, wird an einer Stelle in der Mitte des Buches kurz erläutert – wird an dieser Stelle aber nicht weiter erläutert. Um Abfall handelt es sich bei dem vorliegenden Text keinesfalls. Vielmehr schüttet Nagelschmidt sein Herz aus, bleibt (vermutlich) eng an seiner Biografie und erzählt eine Geschichte, die so oder so ähnlich vielleicht vielen passiert sein könnten. Die eigene (Ex-) Band und das weitere Schaffen bleiben dabei dezent im Hintergrund. In manchen Momenten wünscht sich der Kenner des Gesamtwerkes vielleicht etwas mehr davon. Wirklich fehlen tun sie aber nicht. Und wer mehr über diese Zeit erfahren will, dem sei die Tour- und Banddoku „Wo die wilden Maden graben“ wärmstens empfohlen.

Der Abfall der Herzen ist ein kurzweiliger Roman, der Sehnsüchte weckt, die eigene Jugend noch mal hervorruft und gleichzeitig den Leser erleichtert im Hier und Jetzt zurück lässt. Denn so schön (schmerzhaft) die Zeit damals war, zurückholen kann man sie nicht. Und wenn doch, wäre es nicht dasselbe. Älterwerden kann etwas Beruhigendes und Verfestigendes haben. Trotzdem bleibt die eigene Vergangenheit immer ein Teil von einem Selbst. So wie „Nagel“ immer ein Teil von „Nagelschmidt“ bleibt.

Am 4. April 2018 liest Thorsten Nagelschmidt im Kulturzentrum Lagerhaus aus Der Abfall der Herzen


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