Martin Büsser – Lazy Confessions, Artikel, Interviews und Bekenntnisse aus zwei Jahrzehnten, Ventil 2020

Anlässlich des 10. Todestages von Martin Büsser, der auch in Bremen wirkte, erscheinen im Ventil Verlag gesammelte Artikel und Interviews, die einmal mehr die Vielseitigkeit von Büsser zeigen, der nicht nur über Musik, sondern eben auch über Literatur, Film oder Kunst ebenso kluge wie kritische und vor allem bis heute lesenswerte Texte verfassen konnte. Mit freundlicher Genehmigung vom Verlag dürfen wir an dieser Stelle das Vorwort zu Lazy Confession von Herausgeber Jonas Engelmann online stellen.

https://www.ventil-verlag.de/titel/1873/lazy-confessions
I wanna live for today
I wanna roll in the hay
But I’m floating away
I’ve got nothing to say
The Moldy Peaches, »Lazy Confessions«
Anders als das Zitat unterstellt, hatte Martin Büsser viel zu sagen, und keiner der Texte in diesem Buch ist ein träge hervorgebrachtes Bekenntnis. Wie die meisten Artikel von Martin sind es vielmehr kluge und entlarvende Blicke auf die gesellschaftlichen Bedingungen von Kultur. Der Titel dieses Buches transportiert aber die Traditionslinie, in die sich Martin mit seinen Texten eingeordnet hat, die Tradition eines »großen Nichteinverstandenseins«, die er bei den Moldy Peaches am Werk sah. Ein Nichteinverstandensein, das sich auch im Aufzeigen gesellschaftlicher Widersprüche äußert: »Das Liebevolle ist reine Strategie, um die Lieblosigkeit der Welt kenntlich zu machen, in der jeglicher naive Blick verloren gegangen ist.« Und ein Nichteinverstandensein, das sich auch in den ganz persönlichen Widersprüchen spiegelt: »Für immer in Pop, der Hamster im Rad« hat er bei seiner Band Pechsaftha darüber gesungen. »ich glaube nicht, dass man recht haben muss«, zitiert Martin in einem Artikel Ronald M. Schernikau, »beispiel der klägliche versuch, die welt über worte zu ändern.« Doch ebenso wie Schernikau hat Martin allen Widersprüchen zum Trotz am Glauben daran festgehalten, die Welt über Worte (und Musik) zumindest im Kleinen ändern zu können: »Ich suche das Andere, etwas Minoritäres, etwas Abweichendes. Dass sich auch dies über eine Ware Gehör verschafft, ist der Widerspruch jeglicher Kunst, der natürlich immer mit bedacht werden muss. Ich sehe aber keinen Ausweg aus diesem Widerspruch.« Statt eines großen Auswegs aus diesen Widersprüchen hat Martin kleine Fluchtwege markiert, hat Musik, Literatur und Kunst aufgespürt, die solche ambivalenten Abweichungen anbietet. Diese Fluchtwege haben sich für Martin im Laufe der Jahre verändert, statt Punk rückte zunehmend Queerness als Infragestellung von Normen in den

12Mittelpunkt seiner Texte, wobei Martin diese Verschiebung als logische Konsequenz seiner eigenen Suche verstanden hat: »Die Frage nach sexueller Identität wie die nach einer ›richtigen‹ Linken oder den Irrwegen der Linken treibt mich seit meiner Pubertät um, bis heute«, hat er in einem Interview gesagt. »Es sind die zentralen Fragen meines Lebens. «Vor zehn Jahren endete diese Suchbewegung nach dem Anderen, dem Minoritären und dem Abweichenden in der Kultur, und mit Martin Büsser starb eine der letzten Stimmen derjenigen, die von der Hoffnung angetrie-ben waren – wenn auch zunehmend resignierter –, dass Pop ein emanzipatorisches Potenzial innewohnen könne. Begonnen hat diese Hoffnung für den 1968 geborenen Martin mit Punk. »Diese Platte hat mich zu Punk gebracht. Ich werde es ihr ewig danken. Jello Biafra mag sich heute als ewiger Prediger noch so wiederholen und manchmal nerven, aber wahrscheinlich hatte er mir damals mein Leben gerettet – und sicher nicht nur meines«, heißt es rückblickend über In God We Trust der Dead Kennedys. Musikalisch hatte Punk für Martin allerdings schon bald alles gesagt, den Gestus von Punk dagegen, die Kultur des Do-It-Yourself gepaart mit einer Kritik an gesellschaftlichen Erwartungen, hat ihn bis an sein Lebensende geprägt. Die Orte, an denen er wirkte, waren Teil dieser Szene, sei es das Hardcore-Fanzine Zap, die Autonomen Zentren, in denen Martin Vorträge hielt, oder der von ihm mitgegründete Ventil Verlag. Hier formulierte er seine Kritik an der musikalischen Engstirnigkeit der Szene, an den Geschlechterverhältnissen, die eine klare Männlichkeit einforderten und Frauen hinter die Bühnen verbannten. Trotz der oft harschen Kritik war Punk aber immer wichtig für ihn: als Ausgangspunkt von Gesellschaftskritik. Später fand er diesen im Antifolk, im Emo, in der feministischen Kunst, den Büchern von Schernikau oder Fichte und in Queerness, weniger in der Queer Theory als vielmehr in einer queeren kulturellen Praxis, wie sie die Hidden Cameras für ihn verkörpert haben: »Queer bedeutet bei den Hidden Cameras also, sämtliche kulturellen Klischees zu verqueeren, in schräger Weise in Frage zu stellen«. Nicht nur inhaltlich ging es ihm dabei um das Infragestellen kultureller Klischees, auch die Form sollte das große Nichteinverstandensein spiegeln: »Ich habe mich seit mehr als 10 Jahren schon für Musik begeistert, die einen gewissen dilettantischen Charme hat, etwas Unbeholfenes, Brüchiges, also Musik, die so etwas wie Schwäche und Außenseitertum hörbar macht.«

Dies ist der dritte postume Sammelband mit Texten, in denen diese Suche nach dem nicht Festgelegten, nach einem Leben jenseits der gesellschaftlichen Erwartungen, deutlich wird. Das Buch Music Is My Boyfriend von 2011 dokumentierte die Entwicklung des Musikjournalisten Martin Büsser. Die ausgewählten Texte von 1990 bis 2010 ergaben eine musikjournalistische Biografie und zeigten auf, dass die Kritik an Geschlechterverhältnissen, an Sexismus, Männlichkeitsgesten und regressiven Tendenzen in der eigenen Szene wie auch der Gesellschaft eine Kontinuität für Martin besessen haben. Der 2018 anlässlich seines 50. Geburtstags erschienene Sammelband Für immer in Pop hat dagegen stärker die verschiedenen Möglichkeiten aufgezeigt, wie man Martin kennenlernen konnte. Sei es durch seine Texte über Punk und Hardcore für das Zap-Magazin, als etablierter Musikjournalist in Intro, Die Zeit und als »Punk-Gelehrter« an Universitäten, als Gesellschaftskritiker oder als Fan, der bis zuletzt nach interessanten Momenten in der Kultur gesucht hat. In diesem dritten Buch Lazy Confessions soll der Fokus geöffnet werden: neben Musik hat Martin ebenso über Literatur, Filme und Kunst (und vieles andere) geschrieben. So ist dieses Buch nach den Zugängen geordnet, über die sich Martin der Kultur angenähert hat. Etwa über die Wut, die sich gegen die eigene Szene ebenso richten konnte, wie gegen die Verlogenheit der Gesellschaft. »Auch wenn Antifaschismus weiterhin öffentlich sogar in den Feuilletons verunglimpft wird, wo man schon auf der nächsten Seite inzwischen etablierte Antifaschisten wie Brecht in den Himmel hebt: Wir lassen uns nicht einschüchtern«, heißt es beispielsweise kämpferisch im Text »Wahl der Waffen« von 1994. Daneben steht im Kapitel »Creative Outlaws« der Zugang des Suchenden, der in der Kunst von »kreativen Außenseitern« wie Tom Cora, Hubert Fichte, Ronald M. Schernikau oder Iannis Xenakis verwirklicht fand, wie »Abweichung von der Norm eine sinnliche Bereicherung sein kann«. Zum Suchen gehört auch das Unterwegssein, sei es in San Francisco oder Istanbul, wie das Kapitel »Eine Pappnase in der Neuen Welt« zeigt. Doch das Progressive der Grenzüberschreitung, die Transgression, betrifft nicht nur reale Grenzen, sondern ist auch prägend für Martins Beschäftigung mit Sex und Gewalt in Film, Literatur und Kunst. »Die neue Generation lässt Außenseiter, frei-zügige Teenager und sexuelle Normabweichler nicht mehr abschlachten, sondern hat sich mit ihnen solidarisch erklärt«, schreibt Martin in einem Text über die jüngsten Entwicklungen im Horrorfilm-Genre. »Der Horror-film ist queer geworden. Wurde ja auch Zeit.«

Was an den Texten von Martin immer wieder auffällt: Sie waren trotz allem theoretischen Anspruch, den Martin an sich selbst stellte, niemals abgehoben, die Form erstickte nie den Inhalt. Es ging Martin darum, ganz im Sinne seiner Punk-Sozialisation, sein Wissen zu teilen, seine Erkenntnisse zu vermitteln, und so widmet sich das Kapitel »Die Sprechweisen der Popkultur« diesem Aspekt der Wissensvermittlung. Zwischen den Kapiteln findet sich eine Auswahl an Interviews, die Martin zwischen 1990 und 2010 unter anderem mit Stephen Malkmus, Courtney Love, Glen Matlock, Lee Ranaldo und Lydia Lunch geführt hat, und bei denen oftmals der einleitende Text bis heute mehr zu sagen hat als die Protagonisten selbst. »Schön wäre, mal wieder Texte zu lesen – sei es über zeitgenössische Kunst, sei es über Städtebau, über das Verhalten von Fußballfans oder meinetwegen auch nur über eine neue CD der Pet Shop Boys –, die ganz ohne die üblichen Zitate und Verweise auskämen und sich ganz dem darin behandelten Phänomen widmen würden«, schrieb Martin kurz nach der Jahrtausendwende in der Zürcher Fabrikzeitung. »Und zwar nicht im Sinne journalistischer Gebrauchstexte, sondern im Sinne eines intellektuellen Hinterfragens, das stets Gesellschafts- und Kulturkritik mit bedenkt.« Solche Texte hat Martin verfasst und sie werden bleiben, länger als die neue CD der Pet Shop Boys. Sie sind in diesem Buch zu finden, als Vorträge im Netz, in zahlreichen weiteren Büchern und vergilbten Zeitschriften.
Das Buch kann (muss) direkt beim Verlag bestellt werden oder im örtlichen Buchhandel.

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