Gedanken zur Bundestagswahl 2021 statt Interviews mit den Direktkandidaten

In zwei Wochen findet die Bundestagswahl statt. Allerorts wird von einer Richtungswahl gesprochen. Nur im Wahlkampf scheint das nicht angekommen zu sein. Für eine Richtungswahl ist er Wahlkampf zu zahnlos.

An dieser Stelle sollten statt dieses Textes eine Interviewreihe mit den Direktkandidaten der beiden Bremer Wahlkreise erscheinen. Allerdings fielen mir aus zunächst unerklärlichen Gründen keine vernünftigen Fragen ein. Und die Fragen, die ich mir notierte, tendierten stark ins Persönliche oder die Antworten waren schlichtweg vorhersehbar. Mir fehlten klare politische Themen, die zumindest einige der Kandidaten:innen herausfordern könnten. Bis mir auffiel, es wird in diesem Wahlkampf zwar viel über die drei Kanzlerkandidaten:innen von den Grünen, der CDU und der SPD berichtet, aber eine klare politische Haltung kommt kaum durch. Was blieb denn bislang von diesen drei Parteien hängen? Der Kampf gegen den Klimawandel wird von den Grünen thematisiert. Die SPD versucht ihr soziales Profil wieder in den Vordergrund zu stellen. Die CDU will nach eigenen Aussagen „die Wende schaffen“. Die Linke findet fast nur im Zusammenhang mit einer möglichen Rot-Grün-Roten Regierungskollation statt. Und die FDP will, was sie immer will, Steuern und Bürokratie runter. Die AfD, nur am Rande hier erwähnt, hat überhaupt keine Themen, sie agieren wie ein luftleerer Raum.

Die vorletzte Wahl im Jahr 2017 stand noch immer unter dem Eindruck der Flüchtlingsbewegungen 2015, der Dieselskandal und Brexit waren noch frisch im Gedächtnis der Menschen und das Thema Rente fand wenigstens am Rande statt. Eine klare Meinung für oder gegen etwas zu sein, also eine Polarisierung, war deutlich stärker. Allerdings gab es gleichzeitig in all diesen Fragen einen großen Konsens in der Bevölkerung. Auch wenn das irgendwelche Lautschreienden rechte Idioten, ups, sorry, Patrioten natürlich, nicht einsehen wollten und wollen.

Letzte Woche ging der Wahl-o-Mat online. Ich habe mich beim Durchklicken der Fragen schon über die Oberflächlichkeit gewundert. Schlussendlich ist mir von den 38 Fragen nur die nach dem Tempolimit auf Autobahnen hängen geblieben. Reichlich wenig in Anbetracht der Zeiten, in der wir alle leben. Wo sind die Fragen und vor allem Antworten der Parteien, denn der Wahl-o-Mat speist sich aus den Wahlprogrammen der Parteien nach zukünftigen Renten(-systemen), bezahlbaren Wohnraum, steigenden Energiepreisen, Ausbau von Ladestationen für E-Autos, Digitalisierung und der ungebrochenen Macht von Großkonzernen und deren Einfluss auf Politik und Regierung? Und warum unterliegt der Verfassungsschutz eigentlich keiner parlamentarischen Kontrolle? Und warum können Nazis schalten und walten, wie sie wollen. Nur um einige der dringenden Probleme, die die nächste Regierung zu lösen hat, aufzuzeigen.

Stattdessen werden in Deutschland Plagiate in einem eh schon überflüssigen Buch hervorgeholt. Cum Ex und Wirecard (was sicherlich ein Skandal ist) und ein Grinser zum falschen Zeitpunkt, der völlig fehl am Platz war, immer wieder thematisiert. Alles Mist, aber wenn das die Themen sind, die den Wahlkampf nach Wochen immer noch bestimmen, fehlt etwas. Oder diesem Land geht es schlicht zu gut. Und genau das bezweifele ich. 16 Jahre sind praktisch reformlos vorbeigegangen und die CDU hatte immer das Glück, stabile Wirtschaftszahlen vorweisen zu können, was zum Teil immer noch an den Arbeitsmarktreformen der Rot-Grünen Regierungszeit zurückzuführen ist. Wer sich allerdings diese (Wirtschafts-)Zahlen genauer ansah, stellte schnell fest, vieles ist nicht so rosig, wie es den Anschein hatte. Das hat Corona und der politische Umgang damit gezeigt.

Es ist Zeit, in die Zukunft aufzubrechen, statt an der Vergangenheit festzuhalten. Das fällt konservativen Parteien natürlich schwerer als progressiven Parteien. Andererseits kann nicht alles von heute auf morgen geändert, umgeworfen und neu gedacht werden, ohne dass es zu Verwerfungen kommt. Andererseits muss die deutsche Wirtschaft sich vollständig transformieren, wenn sie in Zukunft noch Produkte ins Ausland verkaufen will. Ob große Teile der Automobillobby es nun wollen oder nicht. Und das muss schnell passieren, weil in den letzten Jahren viel zu wenig passiert ist. Eigentlich eine Steilvorlage für die Grünen. Aber Annalena Baerbock schafft es nicht, auch nur eins dieser Themen zu setzten. Zukunft, Klimawandel, Digitalisierung, noch nie hatten die Grünen so populäre Themen als Vorlage. Nur nutzen können sie sie nicht.

Die CDU hat im Gegensatz zu den Grünen, die diese Themen einfach nicht durchbringen, erst überhaupt keine Antworten und keine Ahnung davon. Das ist der Grund, warum die Union praktisch sekündlich an Zustimmung verliert. Viele Frauen haben bei der letzten Bundestagswahl ihr Kreuz bei der CDU gemacht, weil sie Angelika Merkel wählen wollten. Die Politik der Partei war nicht die ausschlaggebende Wahlentscheidung.

Die SPD macht das objektiv betrachtet ziemlich clever, nimmt sich etwas von den Grünen (Klimawandel), schärft ihr sozialpolitisches Profil und versucht möglichst nicht auf die vielen großen und kleinen Skandale eines Olaf Scholz angesprochen zu werden (Wirecard, Cum Ex, G2O). Aber hey, Olaf Scholz hat immerhin schon drei Untersuchungs- bzw. Sonderausschüsse überstanden. Nehmerqualitäten hat der Typ scheinbar. Und immerhin steht die Partei zusammen, anders als die Union, denen und ihren konservativen Wählerkern geht die Düse. Anders lassen sich weder die Roten Socken Kampagne 2.0 der Unionsparteien und der Verballhornung einer Annalena Baerbock in den Sozialen Medien nicht erklären. Wie viel Angst müssen diese Menschen haben, wenn die einzig erkennbare Wahlstrategie ist, vor einer anderen Partei zu warnen, statt die eigene Politik in den Vordergrund zu stellen und mit Argumenten zu punkten.

Und trotzdem ist es ein stinklangweiliger Wahlkampf, wer das überhaupt als Kampf bezeichnen will. Da stürzt sich der CDU-Kanzlerkandidaten wegen eines unglücklich gewählten Wortes auf seinen SPD-Konkurrenten und erbettelt sich Hilfe von der Kanzlerin in einer Bundestagsdebatte. Gleichzeitig schafft es Armin Laschet nicht, eine in einem CDU-geführten Landesministerium angeordneten Durchsuchung im Umfeld des Finanzministeriums in der Bevölkerung zu platzieren. Wenn es nicht so wichtig wäre, es fühlt sich überflüssig an, sich mit dieser Wahl zu beschäftigen.

Trotzdem oder gerade deswegen gilt es am 26. September zur Wahl zu gehen.


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