Was läuft falsch in dieser Stadt, diesem Land, der Welt, Herr Busch?

Ein Plakat am Sielwall, wütende und bestätigende Kommentare in den Sozialen Medien, eine angefragte und wieder zurückgezogene Stellungnahme durch Bremen NEXT an den Künstler. Es wird viel geredet, meistens übereinander, selten miteinander. Wir haben das geändert.

Bremen. Am Dienstag dieser Woche hing plötzlich ein schwarzes Plakat an prominenter Stelle am Sielwall. Weiße Schrift auf schwarzem Grund. Darauf (in Großbuchstaben) zu lesen: „Dein lächerliches Auto ist nur der peinliche Beweis für deine zerbrechliche Männlichkeit.“ Der Künstler: Sönke Busch aus Bremen. Eine hitzige Diskussion entbrannte in den sozialen Medien, getoppt nur einen Tag später, von einem Facebook Post des Urhebers, auf eine Interviewanfrage von Bremen NEXT, welche dann doch nicht so wichtig war, nachdem Sönke ausgeholt und jegliche Missstände, was auf dieser Welt und dieser Stadt falsch läuft, schriftlich geantwortet hatte.

Hier kommt er zu Wort.

1. Hallo Sönke, was hat dich zu deinem Plakat an prominenter Stelle am Sielwall veranlasst? Gab es einen bestimmten Impuls oder Auslöser?

Ich bewege mich seit Anbruch der Krise wie so viele andere Menschen im Versuch, zu verstehen, was gerade passiert. Und so viele Gedanken schwirren herum, da braucht es gerade nicht viel, um aktiv zu werden. Ich bin sehr dankbar, dass ich in der Situation bin, meine Gedanken so teilen zu können, wie es gerade geschieht. Da reicht ein aufheulendes Auto ja schon als Kristallisationspunkt, um über die ganze Welt nachzudenken. Ich lebe und schlafe gleich in der Nähe vom Eck und da ist so ein lautes Geräusch, das mich nicht schlafen lässt, ein Auslöser, um tausend Jahre wach zu liegen und mir zu überlegen, was ALLES auf der Welt falsch läuft. Wenn ich das über Prolls am Eck äußern kann, ist das nicht das schlechteste, trifft ja die Richtigen. Das hat sich an dieser Stelle in genau dieser Situation dort entladen. Es geht ja auch nicht nur um die Autos, sondern um die Menschen, die sich dadurch Geltung verschaffen, weil wir ihnen zu selten sagen und sie spüren lassen, dass sie auch ohne dieses Gemacker und Geprolle wertvoll sind.

2. Noch ansprechender als die eigentliche Aktion fand ich allerdings deine Reaktion auf die angefragte Stellungnahme von Bremen NEXT. Was genau denkst du über die Antwort auf deinen Text?

Das zeigt nur, dass da irgendwas getroffen hat. Es gibt im Moment viele dieser wunden Stellen. Die Risse in der Membran unserer Gesellschaft liegen gerade offen. Ob es Konsumismus ist, und dazu zähle ich dieses Prollgehabe der Autos am Eck, ob es Sexismus ist, wie ich ihn Next vorgeworfen habe, der Rassismus, den wir endlich betrachten und nicht zuletzt die Fleischskandale der letzten Woche. Eine kleine Frage reicht dieser Tage schon, damit sich Menschen in ihrem Verhalten angegriffen fühlen, weil sie wissen, dass das, was sie tun, nicht richtig und nachhaltig ist. Da bewegen sich viele Menschen noch in einer Leugnung der Tatsachen, witzeln die Dinge weg, werden zynisch oder passiv aggressiv. Ich mag es gerne, dass diese Dinge endlich besprochen werden. Aber das sind schmerzhafte Prozesse sowohl in jedem von uns als auch gesellschaftlich. Da müssen wir durch, es hilft nichts. So wie bis jetzt geht es ja nicht weiter.

3. Du forderst in der Stellungnahme zu mehr Radikalität auf, was ich grundsätzlich auch so sehe. Wie soll diese Radikalität aussehen?

Ich fordere keine neue Radikalität- Es geht mir darum, das die bereits vorhandene Radikalität endlich sichtbar wird. Die Radikalität von der wir für normal sprechen wird an den Rändern der Gesellschaft verortet und normalisiert, dorthin abgeschoben, um das Verhalten in der Mitte unsichtbar zu machen. Aber es ist da, wir beuten die Menschen, die Tiere, die Natur aus. Ohne Rücksicht auf Verluste, ohne Gedanken an die Zukunft oder an uns selber. Wir üben Gewalt aus wie die Wahnsinnigen, nur bezahlen wir andere dafür, dass sie diese Drecksarbeit im Stillen machen. In den Textilfabriken in Bangladesh genau wie in den Schlachthöfen in diesem Land. Menschen sterben und es ist uns egal. Das ist für mich Radikalität. Die Hypernormalisierung der bestehen Umstände. Die Radikalität für die ich plädiere ist dazu da, das eigentliche Radikal der Normalität in uns sichtbar zu machen.

4. Im gleichen Atemzug sprichst du aber von einer Form der Liebe zu Freunden und der Familie. Schließt sich das nicht aus oder wie passt das zusammen?

Nein. Ich glaube daran, dass feste, beständige und verlässliche Beziehungen der Rückhalt sind, den wir Menschen brauchen, um überhaupt den Mut aufzubringen, zu uns selbst ehrlich zu sein. Das wissen um seine oder ihre Engsten, dass es in Ordnung ist, Fehler zu machen, sie einzugestehen, sich zu ändern und nicht ausgestoßen zu werden. Ich habe einen festen Glauben an Freundschaft und enge Beziehungen, zu Freunden wie auch zu Familie. Ich denke, sie sind der Ort, um die Kraft und den Mut zu schöpfen, zu äußern, was einem oder einer nicht passt, den Mund auf zu machen und trotzdem nicht alleine zu sein.

5. Du hast dich mit deiner Originalaktion auf die Straße getraut, forderst aber via Facebook bei deiner Stellungnahme zum Handeln auf. Verpufft das da nicht und kann Protest nur von der Straße kommen?

Nein, das verpufft nicht. Wir bewegen uns in dieser Zeit in einem hochemotionalen und doch leeren Raum, der nach und nach mit Hoffnung und Ideen gefüllt werden muss. Wie die Ideen und die Ansätze für Hoffnung und Zukunft zu den Leuten gelangen ist zweitrangig. Trotzdem, klar, the Media is the Message. Wenn ich vormache, dass es möglich ist, die Realität zu alternieren, um seinen eigenen Ideen Gehör zu verschaffen, öffnet das für andere Menschen Handlungshorizonte. Ich glaube daran, dass dieses Aufzeigen von Möglichkeiten Menschen Luft zum Atmen gibt und den Glauben an ihre eigene Handlungsfähigkeit und damit der allgegenwärtigen Ohnmacht entgegenwirkt. Und das halte ich gerade für unfassbar wichtig.

6. Es kann bei #blacklivesmatter gesehen werden – jahrelang wurde über rassistisches Verhalten innerhalb der Polizei immer wieder aufmerksam gemacht, aber Veränderungen passieren erst jetzt, nachdem viele Menschen ihren Unmut auf die Straße getragen haben. Fridays For Future ist ein ähnliches Beispiel, diskutiert wurde über Klimawandel immer wieder, aber das verhallte in der Politik und Wirtschaft. Müssen wir uns mit dem Gedanken anfreunden, Straßen zu besetzten?

Was heißt das schon, Straßen besetzen. Die gehören ja uns und niemand anderem. Tatsächlich ist es schon ziemlich absurd, dass wir so eine Rücksicht auf Autofahrer und Autofahrerinnen nehmen. Die Straßen gehören ihnen ja nicht, sie sind nur im Falle eines Unfalls die Stärkeren, denen weniger passiert. Aber das ist ein Recht des Stärkeren, dass schon lange falsch ist und nur auf Angst beruht. Aber es ist ja ziemlich einfach: Wir müssen ja eigentlich gar nicht mit der Verwaltung reden und darum bitten, dass irgendetwas für Autos gesperrt wird. Wenn wir uns Kollektiv angewöhnen, die Strassen hier im Viertel komplett als Fußwege zu betrachten, was wollen die Autofahrenden denn machen? Uns Überfahren? Wer überfährt denn absichtlich einen Menschen? Ungehorsam ist hier das Ding. Die Hupen ein paar Wochen und dann ist gut. Ist nur eine gemeinsame Anstrengung. Es sind unsere Straßen. Und da ist kein Platz für einzelne Menschen in Machtpositionen, egal ob sie Macht haben weil sie Weiß sind, weil sie Männer sind oder weil sie ein Auto haben. Die Zeit für diesen Erbrechts „Weil es schon immer so war“ Schwachsinn ist vorbei. Es ist nur eine Frage der Zeit und unsere eigene Verantwortung, diesen ohnehin vor uns liegenden Weg gemeinsam und Verantwortungsvoll zu gehen.

7. Das Thema „Auto“ ist unglaublich emotionalisiert, was auch an den Kommentaren unter dem geposteten Bild von deinem Plakat zu erkennen ist. Warum ist das so?

Das sind Gewohnheiten und Verlustängste, es ist wie mit dem Fleisch oder der Gleichberechtigung. Tatsächlich haben wir als zu Fuß gehende, Frauen, Tierlos lebende dieses Selbstbild der Gegenseite zu lange selber gefüttert und gesagt: „Nein, natürlich wollen wir die dein Auto und dein Steak nicht wegnehmen.“ Das war aber nur unserem Harmoniebedürfnis geschuldet und dem wissen, dass die Zeit dafür kommen wird. Ich denke, diese Zeit ist jetzt da. Es gibt Dinge, die sind falsch und das müssen wir so auch sagen. Es ist falsch, die Welt zu verpesten und deswegen ist es schlecht, alleine dicke Autos zu fahren. Es ist schlecht Tiere einzusperren und zu töten, also ist es schlecht, Fleisch zu essen. Es ist schlecht, Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Sexualität und all der anderen nichtfreiwilligen Dinge zu diskriminieren, die ein Menschen zur Geburt geschenkt bekommt, deswegen ist es schlecht, sie zu marginalisieren und ihnen den eigenen Willen aufzuzwingen. Autos werden als Symbole der Macht missbraucht. Und wer versucht, Menschen Macht zu entreißen, der oder die muss mit Gegenwehr rechnen. Kein Problem, kriegen wir hin.

8. Dabei verstehe ich deine Aufforderung nicht mal gegen Autos allgemein, sondern gegen die Poser auf den Straßen, mit den dicken Karren, in den Städten. Korrekt?

In erster Linie ja, weil das Auto ja seinem eigentlichen Sinn entrissen wird. Das hat ja mit Transport nichts zu tun, sondern ist in diesem Fall ja eine gepanzerte Raumforderung auf vier Rädern. Aber genau da schließt sich ja ein gesamtes soziokulturelles Konstrukt an, dessen Probleme so viel tiefer liegen. In diesen Autos sitzen ja Menschen, die meist wenig haben und ausgerichtet sind auf ihre vier Stunden Show, die sie am Wochenende hier auf den Straßen abziehen. Ich kann ja nicht einmal böse sein. Das sind die Ventile eine Gesellschaft, in der sich Wohlstand in den Händen von wenigen kulminiert und den größten Teil ihrer Menschen in eine Situation bringt, sich aus ihrer Realität zu entfernen, auch wenn es nur für einen Moment und mit Hilfe eines Macht- und Statussymbols ist. Würden wir für gesicherten, mittleren Wohlstand für alle Sorgen, hätten wir das Problem nicht, dass Menschen dazu gezwungen sind, sie so zu präsentieren, um sich Wertvoll und als Teil der Gesellschaft zu fühlen. Diese Autos sind nur Ausdruck eines Gefühls, aus sich selbst heraus nichts zu gelten. Das ist unser aller Schuld. Aber wir können das ja ändern.

9. Wann holt sich die Natur die Gärten zurück? Oder anders gefragt, wann wird es keine Autos mehr geben?

Wenn wir das so wollen und keine Angst mehr haben. Morgen, 15.00 Uhr?


Mehr Beiträge aus" Interviews" zur Startseite

Was läuft falsch in dieser Stadt, diesem Land, der Welt, Herr Busch? teilen auf: