9 Fragen an Sebastian Rave

Wir sprachen mit den Direktkandidaten des Wahlbezirks Bremen I. Dabei stellten wir stets dieselben Fragen, um ein Möglichst einheitliches Bild der Kandidaten, ihrer Parteien und ihrer Positionen zu zeichnen. Hier sind die Antworten von Sebastian Rave von den Linken.

Wie muss die Politik auf eine schleichende Entdemokratisierung in Europa reagieren, um das Vertrauen der Bürger in die demokratischen Institutionen zu stärken?

Europa steckt in einer Krise. Die Bankenkrise hat ganze Volkswirtschaften in den Abgrund gerissen, und Deutschland hat sein ökonomisches Übergewicht dazu genutzt, noch mehr Kürzungspolitik in Südeuropa durchzusetzen. Der Vertrauensverlust in Europäische Institutionen ist direkte Folge dieser Politik, und macht leider auch rechte Kräfte stark, die sich mit ihrer Kritik gegen Europäischen Bürokratismus profilieren können. Die Le Pens, Orbans, Straches und Gaulands müssen gestoppt werden: Dafür braucht es Solidarität von unten, und es braucht linke Antworten auf die Europäische Krise. Statt Europa-Nationalismus brauchen wir einen echten Internationalismus, der nicht an den Grenzen der EU stoppt. Wir müssen für ein Europa kämpfen, in dem die Interessen der Menschen im Mittelpunkt stehen, statt wie jetzt die der Banken und Konzerne.

Der „Dieselskandal“ überschattet diese Phase des Wahlkampfs. Dennoch soll keine E-Auto-Quote (wie in China) kommen. Muss der Wirtschaft nicht im Allgemeinen viel mehr Vorgaben von der Politik gemacht werden, wenn die Unternehmen selber keine oder zu wenig Fortschritte vorweisen kann?

Der Abgasskandal demonstriert anschaulich, wie Konzerne die für höhere Profite bereit sind, Mensch und Umwelt zu schädigen. Diese Konzerne sind so mächtig, dass sie die deutsche Politik in der Hand haben, wie man an den Ergebnissen des Dieselgipfels sieht: Statt einer für die Konzerne teuren, aber wirkungsvollen Hardware-Aufrüstung, gab es nur ein billiges Software Update, die dafür sorgen sollen, dass der Diesel bei niedrigerer Temperatur verbrannt wird. Die Folge: Es werden weniger Stickoxide, dafür mehr Ruß und Feinstaub emittiert.

Angesichts der Umwelt- und Klimakrise ist ein grundlegendes Umsteuern in der Verkehrspolitik nötig. Die Autokonzerne müssen entmachtet werden, und für ihre Betrügereien zahlen. Ihre Milliardenprofite (2016: 400 Milliarden Euro Umsatz) müssen genutzt werden für den Umbau des Verkehrssystems hin zu einem schienenbasierten System im Interesse von im Stau stehenden Pendler*innen, lärmgeplagten Anwohner*innen und einer vorm Verkehrskollaps stehenden Umwelt.

Medial in den Hintergrund gerutscht ist die Energiewende. Können und werden die gesteckten Ziele eingehalten, ohne weitere Belastungen für die privaten Haushalte?

Eine wirkliche Energiewende hin zu erneuerbaren Energien ist dringend nötig. Wir müssen uns gegen die Blockaden durch Energiekonzerne, die Milliarden mit der Verstromung von Kohle und Atomkraft gewinnen, und ihren Parteien zur Wehr setzen. Statt der umweltschädlichen, aber privatwirtschaftlich profitablen Zentralproduktion (durch Kohle/Atom-Großanlagen) von Energie braucht es ein dezentrales Netz von kleinen Stromgeneratoren (Wind/Sonne). Die Energieriesen wollen ihre Profite nicht aufgeben, und riskieren dafür die Zukunft unseres Planeten. Damit muss Schluss sein: Die Energieversorgung muss in öffentliche Hand überführt und demokratisch durch Beschäftigte und Konsumenten kontrolliert werden. Nur dann schaffen wir eine wirkliche Energiewende. Dazu gehört auch, dass Energie ein Grundrecht ist: Zahlungsschwierigkeiten dürfen nicht dazu führen, dass Menschen im dunkeln sitzen oder frieren müssen. Für eine Umweltfreundliche Stromerzeugung muss aber auch Energieverbrauch gesenkt werden: Energieintensive Industrien müssen mit höheren Energiepreisen zum Stromsparen angeregt werden.

Wie wollen Sie und Ihre Partei, die hier lebenden und wahlberechtigten türkisch-stämmigen Mitbürger für Ihre Partei begeistern und wie soll die zukünftige Türkeipolitik aussehen?

Wir stehen an der Seite von den Millionen Menschen in der Türkei und in Deutschland, die für Menschenrechte, Demokratie und Meinungsfreiheit kämpfen. Die Erdoğan-Diktatur hat über 100 Journalisten eingesperrt, verfolgt und verhaftet linke Oppositionelle, und hat zehntausende Beschäftigte aus dem Staatsdienst entlassen.  Erdoğans diktatorische Maßnahmen sind dabei aber ein Zeichen der Schwäche: Unter der Oberfläche brodeln soziale und nationale Spannungen, die jederzeit ausbrechen können. Das ist der Hintergrund dafür, dass jeder Protest in der Türkei brutal erstickt wird.
Die Bundesregierung hält trotz verbaler Schlagabtausche enge Beziehungen zum Erdoğan-Regime. Türkei hat 2016 Waffen im Wert von 49 Millionen Euro aus Deutschland importiert. Von großer politischer Bedeutung für die Bundesregierung ist auch der schmutzige Flüchtlingsdeal: Die Türkei erhält 6 Milliarden Euro von der EU dafür, keine Flüchtlinge mehr nach Europa zu lassen. Flüchtlingsdeal und Waffenlieferungen müssen sofort gestoppt werden. Es braucht Hilfe und Unterstützung für die Menschen, die für eine demokratische und soziale Türkei kämpfen.  Das gilt auch für die kurdischen Organisationen, gegen dessen Verbot in Deutschland DIE LINKE kämpft.

Brexit: Reisende soll man nicht aufhalten – oder ist Großbritannien doch wichtig für Deutschland und Europa?

Oberflächlich betrachtet war der Brexit ein Sieg der Rechtspopulisten. Wenn man sich das Ergebnis der Unterhauswahlen anschaut, stellt man aber fest, dass die Partei, die am meisten verloren hat, die rechtspopulistische UKIP ist, die jetzt mit keinem Abgeordneten mehr vertreten ist. Dahinter steckt, dass vor allem ärmere Menschen für den Brexit gestimmt haben, um das Establishment zu bestrafen. Die beste Möglichkeit, bei den Unterhauswahlen gegen das Establishment zu stimmen, war die Wahl von Jeremy Corbyn, der mit seinem linken Programm Millionen (besonders Jugendliche) begeisterte.

Ein Nein zur EU muss nicht automatisch Nationalismus bedeuten. Auch in den Linken Parteien in Spanien und Portugal gibt es nach der Erpressung der Griechischen linken Regierung durch die EU Diskussionen, dass ein Bruch mit der EU notwendig sein kann. Eine Alternative zur undemokratischen und neoliberalen EU wäre ein freiwilliges Bündnis von sozialistischen Staaten in Europa.

Scheitert der Generationsvertrag und braucht Deutschland eine tiefgreifende Rentenreform – und wie könnte diese aussehen?

Die Rentenreformen von SPD und Grüne haben dafür gesorgt, dass Unternehmen deutlich weniger in die Rentenkassen einzahlen. Das ist der Hintergrund für das katastrophale Sinken des Rentenniveaus. Die Riesterrente kann diese Lücken nicht schließen – ist aber ein Subventionsprogramm für die Versicherungskonzerne. Es muss Schluss sein mit Altersarmut und sozialem Abstieg. Ich setze mich für ein Rentenniveau von 53% ein, das bedeutet 122 Euro netto mehr für jeden „Standardrentner“. Außerdem fordere ich mit meiner Partei eine solidarische Mindestrente von 1050 Euro netto im Monat – weil bei allem darunter Armut droht.

Die Auswirkungen der so genannten Flüchtlingskrise sind noch immer zu spüren. Wie kann eine nachhaltige Integration der Menschen gelingen?

Das wichtigste für eine nachhaltige Integration ist eine funktionierende soziale Infrastruktur für alle. Niedriglohn, zu hohe Mieten, Armut und ein zusammengekürztes Sozialsystem führt zu Neiddebatten und Konkurrenz. Es braucht zudem mehr und bessere kostenlose Sprachkurse, kleinere Schulklassen mit mehr Inklusionspädagoginnen und -pädagogen und das Recht für Geflüchtete zu arbeiten. Mit den zusätzlichen, oft sehr qualifizierten Arbeitskräften kann man die Wochenarbeitszeit verkürzen und damit auf alle verteilen. Es braucht außerdem ein verstärktes Engagement gegen Rassismus und Rechtspopulismus, die Sündenböcke für verfehlte Sozialpolitik verantwortlich machen und uns spalten.

Was ist für Sie und Ihrer Partei das wichtigste Vorhaben der nächsten vier Jahre?

Die Situation in den Krankenhäusern  ein riesiges Problem. Bundesweit fehlen 162.000 Beschäftigte, um die Qualität in der Pflege aufrecht zu erhalten. Die Arbeitsbelastung ist zur Zeit unerträglich: Eine Genossin von mir arbeitet Nachtschicht im Krankenhaus,  und muss zehn Stunden ohne Pause arbeiten, weil sie alleine für bis zu 39 Patientinnen und Patienten verantwortlich ist.

Der Personalmangel ist Gesundheitsgefährdend, sowohl für die Beschäftigten, als auch die Patientinnen und Patienten. DIE LINKE kämüft für mehr Personal an den Krankenhäusern und verbindliche tarifvertragliche und gesetzliche Regelungen: Keine Nachtschicht alleine, auf Normalstationen mindestens eine Pflegekraft auf fünf PatientInnen und auf Intensivstationen eine Pflegekraft für zwei PatientInnen. Um das zu erreichen braucht es bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne in Krankenhäusern, damit sich wieder mehr Leute für diesen wichtigen Beruf begeistern lassen.

Der Kampf an der Charité in Berlin ist ein Beispiel dafür, wie das erreicht werden kann: Durch Druck von unten, breite Beteiligung an Streiks und Aktionen von der Belegschaft, und eine kämpferische Gewerkschaftspolitik sowie dem Aufbau von Solidarität in der Bevölkerung konnte ein Tarifvertrag für mehr Personal erkämpft werden.

Was möchten Sie für Bremen (und wie) in den nächsten vier Jahren erreichen?

Bremens größtes Problem sind fehlende öffentliche Investitionen in die soziale Infrastruktur, wie Bildung, Kitas, Gesundheit, Wohnen. Der Senat versteckt sich hinter dem Schuldenberg und macht die Probleme damit immer nur noch schlimmer. Ich werde mich dafür einsetzen, dass der enorme gesellschaftliche Reichtum, der sich in viel zu wenigen Händen konzentriert, allen zugute kommt. Dafür braucht es dringend eine viel stärkere Besteuerung der Reichen, der Millionäre und Milliardäre, aber auch der Banken und Konzerne. Würde man auf die Top-100-Vermögen (692 Milliarden) plus die Vermögen der Milliardärsfamilien (insgesamt 95 Mrd. Euro), zusammen also 787 Milliarden Euro, eine Steuer von nur fünf Prozent erheben, nähme der Staat jährlich ca. 40 Milliarden zusätzlich ein (Quelle: isw). Damit ließen sich dringend benötigte Investitionsprogramme in den oben genannten Bereichen finanzieren.


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