Tim Kasher – Middling Age, Thirty Something Records 2022

Normalerweise kreuzt Tim Kasher mit seiner Band Cursive wilden Indie-Rock mit Emo. Legt aber auch immer wieder Soloalben vor. Am Freitag erscheint sein Viertes mit dem Titel Middling Age.

Ach, wie schön Middling Age mit dem Stück „I Don’t Think About You All The Time” beginnt, klammern wir das kurze Intro einmal aus, gesungen von Kashers Nichte, eine angehende Songwriterin im Alter von nur neun Jahren, die noch mal zum Schluss des Albums zu hören ist. Kann Melancholie sonnig und entspannt klingen? Normalerweise würde ich die Frage mit einem klaren NEIN beantworten. „I Don’t Think About You All The Time“ überzeugt mich bereits nach Sekunden von dem Gegenteil. Eine zart gezupfte Gitarre, Tims Stimme steht klar im Vordergrund. Eine weibliche Stimme unterstützt ihn jeweils leise am Ende einer Zeile und unterstreicht dadurch die entstehende Melancholie auf eine süße Art und Weise. Viel mehr als das eben Beschriebene passiert im Prinzip in diesem Stück nicht, muss auch nicht, vielleicht beschreibt diese Zurückgezogenheit bereits alles, was in diesem mittleren Alter wichtig ist oder eben nicht mehr wichtig ist. „Erst wenn alles scheißegal ist, macht das Leben wieder Spaß.“

Tim singt über die Ängste, denen während des Älterwerdens nicht entkommen werden kann. Gleichzeitig nimmt er seine Hörer*innen in den Arm und scheint zu sagen: „Hey, ist doch nicht so schlimm, es wird schon weitergehen. Das hier ist vielleicht nicht ein neuer Anfang, aber ganz sicher auch nicht das Ende.“ Stattdessen fragt er in dem erhellenden, von Streichern, Trompeten und Orgeln untermalten Lied lieber „What Are We Doing?“ In „The John Joubers“ erinnert Kashner sich an die 80er-Jahre, an die sich bekanntlich niemand erinnern kann, der/die sie wirklich erlebt hat, und zitiert Billy Joel, „nur die Besten sterben jung“. Und „100 Ways To Paint A Bowl Of Limes“ fasst das Album vielleicht am besten zusammen, wenn Tim zunächst an der Bar und später auf der Couch sitzt und über sein Leben nachdenkt. „Middling Age“ ist eben eine existenzialistische Abhandlung über Sterblichkeit und Verlust.

Klanglich umfasst „Middling Age“ sowohl den Upbeat als auch den Downbeat. Das Album enthält einige der schönsten Stücke, die Kasher bisher geschrieben hat. Seine Melodien werden von starken Arrangements getragen, die zusätzliche Instrumente wie Flöte, Geige und Kalimba enthalten.

Zum Älterwerden gehört aber vielleicht auch, den Kampf aufzugeben und mit seinem Leben zufrieden zu sein. Obwohl viele Stücke auf „Middling Age“ bereits vor Corona geschrieben wurden, spricht vielleicht gerade dieses Lied vielen Menschen jetzt erst so richtig an. Pläne wurden in den letzten zwei Jahren auf Eis gelegt oder scheiterten gar. Viel Cooles ist bei den meisten nicht passiert, viel scheiße bei einigen hingegen schon. Nur bringt es ja nun mal nichts vergebenen Chancen hinterher zu jammern. Situationen müssen angenommen werden und versucht werden, das Beste daraus zu machen. Und das bedeutet verdammt noch mal glücklich werden, auch wenn es nach wie vor schwerfallen mag oder gar zu schlechten Gefühlen führt, wie es in „Up And Cut Me Loose“ heißt.

Nun könnte der Eindruck entstehen, „Middling Age“ sei ein schweres oder gar düsteres Album. Das stimmt aber nicht. In weiten Teilen kommt die Musik sogar eher fröhlich oder zumindest ausgeglichen rüber und bildet damit einen Kontrast zu den oftmals (aber längst nicht immer) schwermütigen Texten, die wiederum häufig eine Menge Witz oder nennen wir es Selbstironie enthalten.

Schließlich endet das Album mit Unterstützung von Jeff Rosenstock (am Saxophon) und Laura Jane Grace mit dem Stück „Forever Of The Living Dead“, ehe die letzten Worte des Stückes der Zukunft gehörten, Kashers Nichte.


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