„Was mir im Kampf gegen meine Dämonen hilft“

"Rising Insane"-Sänger Aaron Steineker spricht im Interview über Metalcore from Schierbrok, über Havana im Angebot, über Schmerz, Wut und PTBS sowie die Herkunft und Geschichte der Band

Rising Insane

Fast eine Viertel Millionen Spotify-Hörer, eine Europa-Tour und ein neues Album. Die Bremer Band Rising Insane gehört derzeit wohl zu Norddeutschlands aktivster Metalcore Band der Stunde. Am 10. Dezember werden sie ihr neues Album „Afterglow“ veröffentlichen und am 18. Dezember im Oldenburger Amadeus ihre Release-Show spielen. Wir haben vorab mit Sänger Aaron Steineker gesprochen.

Bevor wir zu den harten Themen kommen: Ganderkesee, Schierbrok oder doch Bremen? Wo kommt ihr eigentlich her?

Sänger Aaron Steineker: Die 100-prozentige Wahrheit ist in unserem Facebook-Profil verewigt: „Metalcore from Schierbrok“. Schierbrok ist ein kleiner Ort der Gemeinde Ganderkesee, die wiederum zum Landkreis Oldenburg gehört. Dort befindet sich unser Proberaum, also ist das letztlich dort, wo „Rising Insane“ geboren worden ist.

Sven Regener singt in dem Song „Delmenhorst“: „Hinter Huchting ist ein Graben, der ist weder breit noch tief und dann kommt gleich Getränke Hoffmann.“ Wie habt ihr es über den Graben geschafft? Und wo habt ihr in Schierbrok die Getränke geholt?

Aaron: Ich bin in Delmenhorst aufgewachsen, und konnte uns da ganz gut rausnavigieren. Naja gut, Spaß beiseite. Es war tatsächlich gar nicht so leicht, aus der Umgebung hier rauszukommen. Und wenn man mal Shows hatte, für die man länger als zwei Stunden fahren musste, dann haben wir meistens vor 10 bis 20 Leuten gespielt. Zum Glück hat Bremen ja einiges zu bieten und so konnten wir dort, eben wie in Oldenburg, erstmal Fuß fassen und uns ausprobieren. So richtig über den Graben kamen wir dann wohl 2018 als Support für Annisokay, mit denen wir insgesamt 16 Shows in Deutschland und Österreich gespielt haben, wobei die meisten Shows in ausverkauften Läden waren. Das hat uns auf jeden Fall sehr, sehr viel gebracht. Die Getränke wurden übrigens dort geholt, wo Havana im Angebot gewesen ist!

Wo habt ihr euer Album produziert? Sven Polizuk soll das ja fast alles in Eigenregie gemacht haben.

Aaron: Wir sind glücklicherweise sehr autark, was uns jeglichen Zeitdruck im Studio nimmt, wir müssen nichts auf Teufel komm raus machen. Sven und ich haben beide unser eigenes Studio aufgebaut, in denen die Gitarren und Vocals aufgenommen werden können. Für die Produktion der Drums sind Robert und Sven nach Halle (Saale) zu Christoph Wieczorek, „Sawdust Recordings“, gefahren, wo wir uns in das Studio eingemietet haben. Es ist also alles in Eigenregie entstanden.

In eurer Band soll alles bestens und professionell eingeteilt, organisiert und abgesprochen sein. Wie sind die Aufgaben bei euch verteilt?

Rising Insane.

Aaron: Wow, hinter den Kulissen einer Band findet so unglaublich viel statt, dass es schwierig wird, alles aufzulisten. Wie gesagt, schreiben und produzieren Sven und ich die Lieder, ich schreibe dazu auch die Texte und kümmere mich zusammen mit Ulf um Social Media. Robert ist zuständig für alles rund um’s Merchandise, von der Kontaktaufnahme zu Künstlern für die Gestaltung, bis zum Versand unserer Produkte. Ulf ist außerdem auch der Mann für alles. Wenn wir Requisiten für einen Dreh brauchen, wird geschweißt, gesägt und gehämmert. Für das Video zu Something Inside of Me hat er mit Florian in seiner Garage einen Raum gebaut, was nur eins von vielen Beispielen ist. Man könnte noch zig weitere Sachen (zum Beispiel: Kontakt mit dem Label, was meistens Sven macht) aufzählen, aber das wäre zu viel des Guten.

Warum macht ihr als Bremer Band euer Release-Konzert in Oldenburg?

Aaron: Das ist  zurückzuführen auf unser eigenes Festival, dem „Springsane Festival“. Zu Beginn konnten wir das immer in Hude, der Heimat von Ulf und Florian, feiern und hatten damit viel Erfolg, aber irgendwann mussten wir aus diversen Gründen umziehen. Da wir einen guten Kontakt zu Jan Thie aus dem Amadeus in Oldenburg haben, hat es uns schnell dorthin verschlagen. Für uns war klar, dass wir den Hype vom „Springsane“ für unsere Releaseshow nutzen müssen.

Mehr als 207.000 monatliche Hörer bei Spotify – wie habt ihr denn das hinbekommen?

Aaron: Ich denke es liegt in der Tatsachse, dass wir konstant am Ball geblieben sind und hart an uns und unserer Musik gearbeitet haben. Letztlich ist es das, was einem immer gepredigt wird: Wenn du eine Sache wirklich willst, kannst du sie auch erreichen. Aber wenn es einen bestimmten Aspekt gibt, der uns hierher gebracht hat, dann wahrscheinlich die Offenheit und Ehrlichkeit in unserer Musik, mit der wir unseren Fans gegenübertreten. Damit haben wir bisher die besten Erfahrungen gemacht und es tut nebenbei auch sehr gut, eben diese Eigenschaften von unseren Fans zurückzubekommen.

Warschau, Mailand, Barcelona, Madrid, Lissabon – das ist nicht mehr nur Europapokal, sondern Champions League, was ihr da an Tourdaten für nächstes Jahr auf dem Zettel habt. Bei euch läuft es definitiv besser als bei Werder Bremen.

Aaron: Traurigerweise kann man das wohl unterschreiben… Allerdings haben wir noch nie in einem Stadion gespielt!

2018 habt ihr es als Metalcore-Band ins Finale des Live in Bremen geschafft. Kann sich die Jury in den Arsch beißen, dass sie euer Potenzial nicht gesehen hat?

Aaron: Live in Bremen war für uns eine so aufregende und wegweisende Zeit. Wir sind bis heute sehr dankbar für das, was uns dieser Ritt mitgegeben hat. Wir stehen auch noch vereinzelt mit den Leuten in Kontakt, von daher könnte es eigentlich besser nicht sein.

Auf eurer neuen Platte „Afterglow“ beschäftigt ihr euch mit dem Leben nach einer traumatischen Erfahrung und der Erkenntnis, dass nicht immer alles schon überstanden ist, wenn man sich in Sicherheit wiegt. Ist es nicht extrem belastend so ein Thema in Musik zu verarbeiten und damit an die Öffentlichkeit zu gehen?

Aaron: Ja und nein. Ich merke oft, wie ich beim Schreiben der Texte mich selbst immer wieder neu entdecke oder finde, was mir im Kampf gegen meine Dämonen hilft. Das bedeutet viel Fortschritt, der oft auch sehr schmerzhaft und viel mehr noch emotional ist. Auf der Bühne diese Texte zu singen ist manchmal genauso schmerzhaft, gleichzeitig aber auch befreiend. Und wenn Menschen auf mich oder uns zukommen, ob nach der Show oder auf Social Media, und uns für unsere Musik und den Texten danken, weil es ihnen selbst weiterhilft – wenn sie ihre Geschichten mit uns teilen – dann fühlt man sich nicht allein, man fühlt sich unterstützt, gestärkt, immer wieder auf’s Neue.

Die Wut, der Schmerz, die Energie, die auf eurem Album vorhanden ist, wäre das alles möglich gewesen ohne die Erfahrung einer Posttraumatischen Belastungsstörung (kurz PTBS)?

Aaron: Nein. Absolut nicht, zumindest nicht für mich. Aber ich bin mir sicher, dass es beinahe jedem anderen Künstler auch so geht – wir können so tiefgreifende Texte und Lieder nur schreiben, weil wir diese Emotionen in uns tragen. So kommt unsere beste Arbeit zum Vorschein, weil man mit offnener und ehrlicher Kunst am weitesten kommt. Man muss sich das so vorstellen: Wenn ich als Maler plötzlich vor meinem inneren Auge ein wunderschönes Bild sieht, was irgendwo tief aus seinem Innersten kommt, dann wird dieses Bild eintausend mal besser, als wenn der Maler einfach ein anderes Bild nachmalen würde.

Was war euer Antrieb, solche düsteren, schweren Themen in eurer Musik zu verarbeiten?

Aaron: Ich habe immer schon meinen Gefühlen beim Schreiben freien Lauf gelassen und mich nicht nach links und rechts umgesehen. Als meine Schwester 2017 erkrankt und 2018 gestorben ist, haben meine Texte sich schlagartig, logischerweise, geändert. Ich brauche diese Art der Verarbeitung einfach, ohne das wäre ich wahrscheinlich ein absolutes Wrack. Dazu kommt, dass wir durch unsere Musik andere Menschen erreichen, die sich in ähnlichen Sitationen befinden und ihnen damit mental eine Stütze sein können. Als wir die ersten Nachrichten bekommen haben, in denen Menschen sich bei uns für unsere Hilfe bedankt haben, wussten wir, dass es das Richtige ist.

Infos zum neuen Album und zum Release-Konzert gibt es hier.


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