Pale – The Dawn The Night And What Remains, GHvC 2022

Ein Album, welches es gar nicht geben dürfte…., aber zum Glück gibt.

Es ist etwas mehr als zwanzig Jahre her, da gehörten Pale zu der Speerspitze der hiesigen Emoszene. Da hatte die Band aus Aachen (warum stammen Emobands eigentlich immer aus Kleinstädten, aber nie aus Metropolen?) bereits einige Platten, europaweite Touren und wohlwollende bis euphorische Kritiken in der Tasche. Über die Jahre entwickelte sich der Emosound hin zu einem Indiepop, die großen Melodien verließen Pale aber nie. Tja, und irgendwann kam das, was so oft kommen muss, die Auflösung. Auf der Zeltbühne des Immergut Festivals (wo ein paar Jahre zuvor die befreundete und ebenfalls längst aufgelöste Band Soulmate eins der besten Konzerte gespielt hat, die der hier schreibende je erlebt hat) ertönte der letzte Pale Song.

Eine Band aufzulösen bedeutet aber nicht gleich Freundschaften zu beerdigen. Die Mitglieder blieben untereinander in Kontakt, was auch ehemalige und ausgestiegene Musiker mit einschloss. Im November 2019 erhalten Gitarrist Christian Dang-anh und Schlagzeuger Stephan Kochs dann aber am gleichen Tag von ihren Ärzten Diagnosen, die keinen Spielraum bieten. Es ist leider sehr ernst. Irgendwann schleppt Gründungsmitglied Philipp Breuer, eigentlich schon 1996 ausgestiegen, das allererste Demo der Band aus den frühen 90ern an. Es ist natürlich noch nicht veröffentlicht. Schnell ist der Entschluss gefasst, die verbleibende Zeit zu nutzen und ein letztes Mal zusammenzuarbeiten, nicht für ein Comeback, sondern als ein Geschenk, und so bitter es klingen mag, es ist ein Geschenk an das Leben. Selbst wenn Stefan Kochs nicht mehr aktiv am Entstehungsprozess teilnehmen kann, zu schlecht geht es ihm bereits zu diesem Zeitpunkt. Christian arbeitet bis zu seinem Tod im Mai 2021 an den Liedern, die bis dahin großenteils fertiggestellt sind. Das Nichtgeglaubte wird tatsächlich Wirklichkeit. Ein neues Pale Album.

Eine neues Pale Album, welches mit dem sehnsüchtigen Klavier- und Orgelgetriebenen „Wherever you will go“ beginnt und einem sofort einen melancholischen Schauer über die Haut, die Seele, den Rücken jagt, weil ja bekannt ist, was überhaupt der Grund für diese Musik ist. Aber schon das darauffolgende „Tonight (We Can Be Everything)“ bläst die Melancholie weg und beschwört, begleitet von diesen alten Emogitarren das Heute und eben nicht das Morgen und schon gar nicht das Gestern. „New York“ erinnert anfangs nicht nur wegen des Saxophones an einen alten Springsteen Song driftet in diese typische Paleeuphorie und huldigt die Hauptstadt der Welt. Auf diesem Album gibt es keinen trauernden Moment, alles ist froh und bunt und größer, größer als das Leben, wie es in „Bigger Than Life“ dann auch heißt. Selten klang der Tod so fröhlich. Glücklich kann sein, wer sein Leben so leben und solche Freunde finde konnte.

„The Good Good Things” wäre noch vor wenigen Jahren ein Smasher auf den Tanzflächen der Indie-Disco gewesen, als Indie-Disco noch das Ding war. Der einzige ruhige Moment auf dem Album heißt „Wake Up“ und kann wohl nur von (wirklich) liebenden Eltern verstanden werden. Und schließlich das große Finale: „Someday You Will Know“ – noch einmal sind alle Palianer zusammen auf einen Track zu hören. Es ist das Ende und es ist gut! „We were in this together” – ein Saxophonsolo und ein leiser Beat und das Album ist nach etwas mehr als einer halben Stunde zu Ende. Ein Album, welches es überhaupt nicht hätte geben dürfen, was eine Schande wäre, denn auf The Night, The Dawn And What Remains befinden sich unverschämt gute Songs. Wer Pale schon immer mochte, wird viel Vertrautes finden und vieles wiederfinden, was vermisst wurde, ohne es vielleicht so recht zu wissen. Und wer Pale noch nicht kannte, hat mit diesem Album die Chance, noch mal eine tolle Band zu entdecken, die sonst spurlos vorbeigegangen wäre.

„The Night, The Dawn And What Remains“ von Pale erscheint am 25.11.22 bei Grand Hotel van Cleef. Am 02.03.23 spielt die Band mit zahlreichen musikalischen Gästen ein bereits ausverkauftes Konzert im Kölner Gloria


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