„Ein gesundes Wachstum ist viel wert“ – Casino Blackout im Interview

Sänger Florian Tragl spricht im Interview über die Entwicklungen und neue Zeitrechnung seiner Band sowie über Anpassungen an moderne Musikmechanismen.

Casino Blackout

Bremen. Konfrontiert mit zahlreichen Hürden und beeinflusst von einer chaotischen Weltlage, haben Casino Blackout aus eigener Kraft immer wieder Wege gefunden, aus allen Sümpfen des Lebens herauszukommen. Auf ihren neuen Songs experimentiert die Gruppe mit einer ganz neuen Schlagrichtung, die ihre Botschaft so gut wie noch nie zu verkörpern weiß. Statt pointiertem Deutschpunk präsentieren Casino Blackout Pop-Punk und versetzen dessen Grundzutaten immer wieder in abenteuerliche Songwriting-Kniffe. Ihr aktuelles Album trägt den Titel „Hinterhof Poesie“.

Am 14. September treten Casino Blackout bei Get Loud Against Hate in Hoya auf und am 2. November spielen sie auf eigener Tour gemeinsam mit Kopfecho im Bremer Tower Musikclub. Das Interview wurde bereits Ende März anlässlich ihres Support-Gigs für die Rogers im Kulturzentrum Schlachthof aufgezeichnet.

Ihr kommt aus dem tiefsten Süden und habt in den letzten Jahren Konzerte und Festivals in ganz Deutschland gespielt. Merkt ihr einen Unterschied in der Mentalität der Menschen und des Publikums, wenn ihr Konzerte im Norden spielt und ist es manchmal schwerer, die Leute hier zu „knacken“?

Wenn man unterwegs ist, tauscht man sich ja immer mit den anderen Bands aus – besonders mit so erfahreneren Bands wie den Rogers. Man spricht darüber, welche Erwartungen man hat, wie es wohl werden wird und was jeder schon für Erfahrungen in verschiedenen Städten und Regionen gemacht hat. Oft hat jeder so seine ganz eigenen Erwartungen, und es ist schön, wenn diese auch mal widerlegt werden. Beispielsweise wird oft gesagt, dass der Süden etwas schwieriger ist, weil die Leute erst abwarten, ob man abliefert, bevor sie sich mitreißen lassen. Das kann ich aber überhaupt nicht bestätigen. Letztes Wochenende waren wir in Nürnberg, Stuttgart und München, und die Stimmung war großartig. Wir haben das richtig genossen.

Natürlich merkt man Unterschiede von Stadt zu Stadt, aber ich könnte nicht pauschal sagen, welche Stadt sich in welcher Weise abhebt. Wenn ich zurückblicke ist es oft so, dass die Leute in Städten, in denen Wochenende und viel los ist, einfach ausgelassener sind und es insgesamt mehr Halligalli gibt. Aber grundsätzlich wurden wir in den letzten Wochen vom Rogers-Publikum in allen Städten unglaublich herzlich empfangen. Das finde ich nicht selbstverständlich, denn es gibt auch Fans, die nur ihrer Lieblingsband treu sind und alles andere als Beiwerk betrachten. Hier haben wir aber überall das Gefühl, mit offenen Armen empfangen zu werden, und das ist wirklich schön.

Fünf Jahre ist es her, dass ihr zuletzt in Bremen auf der Bühne standet, damals als Support für Deine Cousine im Tower – habt ihr überhaupt noch Erinnerungen daran, oder verblasst das mit der Zeit?

Der Auftritt im Tower war eine der letzten Shows bevor die Pandemie begann – im Dezember 2019. Wir waren als Support für Deine Cousine auf der ganzen Tour dabei. Für uns war das eine unglaubliche Erfahrung, weil es unsere erste große Tour war. Gleichzeitig war es auch die erste Tour, die wir über unsere Bookingagentur Kingstar bekommen haben. Plötzlich hieß es: Zack, hier sind 22 oder 23 Shows, die ihr innerhalb von eineinhalb Monaten spielt. Wir waren praktisch nur unterwegs.

Ich habe sehr gute Erinnerungen an diese Zeit, gerade auch an den Tower und Bremen. Das liegt daran, dass der Haustechniker des Towers, Tjado de Vries, auf der ganzen Deine Cousine-Tour dabei war und uns auch jeden Abend gemischt hat. Deshalb war es für ein Heimspiel und wir haben uns sofort wohl gefühlt. Das Publikum hat uns total herzlich empfangen. Für uns war es eine sehr aufregende Zeit, du lernst einfach am meisten, wenn du live spielst und auf der Bühne stehst. Und gerade die erste richtige Tour ist eine unglaublich krasse Erfahrung.

Ihr seid bereits eine lange Zeit aktiv, gebt aber selber das Jahr 2022 als den Beginn einer neuen Zeitrechnung an. Was ist zu dieser Zeit passiert?

Während der Pandemie hatten wir viel Zeit, um nachzudenken – auch darüber, was wir überhaupt machen wollen. Diese Zeit fiel in die Aufnahmen von „Hinterhof Poesie“ und wir hatten die Gelegenheit, uns weiterzuentwickeln und uns intensiv mit der Musik auseinanderzusetzen, die wir in Zukunft machen wollen. Für uns hat sich auf diesem Album ein Sound entwickelt, den wir immer angestrebt haben. „Fragment“, unser zweites Album, hat das schon angedeutet, aber mit „Hinterhof Poesie“ haben wir etwas ganz Eigenes geschaffen, hinter dem wir zu 100 % stehen. Beim ersten Album haben wir 2017 viel ausprobiert und aus heutiger Sicht ist es böse gesagt ein Punkalbum von vielen. Aber von Album zu Album und Song zu Song haben wir uns weiterentwickelt. 2022 gab es dann mehrere Besetzungswechsel, und für uns fühlte es sich wie ein Neuanfang an. Gleichzeitig wurden die Shows größer und ambitionierter.

Das ist ein gesundes Wachstum, gerade in der heutigen Zeit, in der viele Bands gefühlt über Nacht berühmt werden.

Es ist unglaublich viel wert, wenn man Schritt für Schritt wachsen kann. Ganz ehrlich, wenn mir das mit 16 passiert wäre und mir jemand über Nacht gesagt hätte: „Hier ist ein Tourbus, fahr los“ weiß ich nicht, ob mir das gutgetan hätte. Ein gesundes Wachstum ist viel wert, wenn man jeden Schritt nacheinander gehen und diese Schritte auch verarbeiten kann. Bei uns hatte ich immer das Gefühl, dass alles, was wir erreicht haben, mit harter Arbeit verbunden ist. Das ist kein Glück, jeder kann das schaffen, wenn er sich reinhängt. Wir sind einfach am Ball geblieben.

Ihr habt vor mehr als zehn Jahren und somit in einer Zeit begonnen, Musik zu machen, als die Musikwelt noch eine völlig andere war. Ist es euch schwergefallen, euch den modernen Mechanismen anzupassen?

Ja, ist es. Das habe ich an kleinen Dingen gemerkt, wie dass ich mich viel zu lange gegen gewisse Neuerungen gewehrt habe – obwohl ich in einem Medienberuf arbeite und mich als Grafikdesigner eigentlich mit neuen Medien auseinandersetzen müsste. Zum Beispiel hatte ich ewig keinen Spotify-Account, bestimmt bis zu unserem zweiten Album. Ich hatte meinen Plattenspieler und CDs zu Hause und dachte, Spotify interessiert mich nicht, ich kaufe doch meine CDs. Stell dir das mal vor, bis zum zweiten Album! Damals hat mich das nicht interessiert, wenn eine Single rauskam und alle auf Klickzahlen schauten. Inzwischen sind Streamingzahlen die neuen Plattenverkäufe.

Heute kann ich sagen, dass es für uns viel mehr Segen als Fluch war. Bestimmt jeder dritte Festivalveranstalter sagt uns, dass er uns über Spotify entdeckt hat. Viele Leute kommen zu uns und sagen: „Ich hab euch bei Spotify gehört“ oder „Ich hab euch als Vorband gesehen“. Natürlich verdienen wir an Streams unterm Strich weniger, aber die Rechnung geht auf, weil wir viel mehr Chancen bekommen, zu spielen und bekannter zu werden. Früher hat man gebrannte CDs oder Tapes weitergereicht, um neue Bands zu entdecken, und heute sind es Spotify und Playlisten. Es war ein krasser Wandel, aber ich bin sehr dankbar für das, was wir dadurch erreicht haben.

Ihr habt euch von Punkrock in die Pop-Punk-Richtung entwickelt und euren Sound damit für ein etwas breiteres Publikum geöffnet und kooperiert gleichzeitig mit Acts aus Metalcore oder Hip-Hop. Habt ihr euren festen Stil gefunden, oder ist das für euch eine stetige Entwicklung?

Ich arbeite schon wieder an neuen Sachen und kann sagen, dass es jetzt natürlich keinen radikalen Wechsel geben wird. Es wird immer experimentiert, und allein die Zusammenarbeit mit einem Künstler z.B. aus dem Metalcore-Bereich verändert den Sound eines Tracks. Das macht den kreativen Prozess bei Features so spannend. Bei dem Song „Anti Ich“ mit dem GHØSTKID-Feature haben wir eine komplett neue Seite an uns entdeckt. Auf einem Album, das so poppig ist, wie kein Album zuvor, ist damit einer unserer härtesten Songs jemals, und das finde ich großartig. Genau das fasziniert mich an Musik – dass man sich ausprobieren kann und niemand einem sagt, was man tun darf oder nicht, weil es die eigene Kunst ist. Der kreative Prozess ist ständig in Bewegung, aber ich glaube nicht, dass wir uns noch radikal verändern werden. Es wird morgen keine Indie-Platte oder so von uns geben.

Ihr habt zuletzt viele Features mit verschiedenen Künstlern veröffentlicht, wie kam es dazu?

Wir finden es einfach super spannend, Freunde und Bekannte einzuladen und nicht immer nur unser eigenes Ding zu machen. Das reizt mich auch an anderen Musikbereichen, die oft viel offener sind als der Rock- oder Punkbereich, wo man eher unter sich bleibt, zumindest vordergründig. Für uns war es eine spannende Reise zu sehen, was passiert, wenn man diesen Austausch wagt. Ich bin sehr froh über die Songs und mag auch den Netzwerkgedanken. Dadurch können auch Freundschaften und gemeinsame Shows entstehen – zum Beispiel haben wir mit Xela Wie gespielt, und das war großartig. Ich hoffe, dass wir solche Kooperationen in Zukunft öfter machen können. Natürlich ist das mit mehr Aufwand verbunden, vor allem wenn man über große Entfernungen zusammenarbeitet. Es geht da um Timings, Abgaben, man wartet auf Spuren oder überlegt, wie man ein gemeinsames Musikvideo machen kann. Gerade weil wir aus dem Süden kommen und von vielen Orten in Deutschland sehr weit entfernt sind, ist es immer ein Kraftakt. Aber wenn es am Ende gut ankommt, sind alle glücklich.

Euer größtes Publikum hattet ihr wohl im Vorprogramm der Broilers, was könnt ihr euch nach so vielen Jahren auf der Bühne bei Bands dieser Größe noch abgucken?

Ich stand bei der Show in Gießen hinterher im Publikum, und es war ein sehr emotionaler Moment, weil meine Eltern dabei waren und sie unglaublich stolz waren. Wir standen da mit unserem Feierabendbier in der Hand und ich schaute mir die vielen Leute und ihre glücklichen Gesichter an. Ich habe gesehen, was diese Band bei den Menschen auslöst, und dachte mir: „Wow, die haben das durch harte Arbeit erreicht“. Sie hatten nie einen großen Radiohit, der sie überall bekannt gemacht hat, sondern haben sich alles Schritt für Schritt erspielt. Klar, hier und da hatten sie vielleicht etwas Glück, aber am Ende war es vor allem ihre harte Arbeit, die sie dahin gebracht hat, wo sie jetzt stehen. Das war für mich ein weiterer Ansporn – Talent gehört natürlich dazu, aber in erster Linie haben sie es sich verdient, weil sie so viel dafür getan haben.

Ihr wart häufig im Vorprogramm anderer Bands, wie z.B. Broilers oder Rogers, aber auch Deine Cousine, Sondaschule oder Massendefekt. Wie überzeugt ihr ein bisher fremdes Publikum von euch?

Natürlich will man sich in der halben Stunde, die man meistens hat, bestmöglich präsentieren. Die große Frage, die wir uns immer gestellt haben, wie wird man vom Publikum empfangen? Wie offen sind die Leute einem gegenüber? Ich würde sagen, dass wir uns über die Jahre ganz gut geschlagen haben. Gleichzeitig kommt aber auch der Gedanke auf: Wie ist es, wenn man sich nicht mehr hinter einem Headliner verstecken kann? Irgendwann kommt der Punkt, an dem man selbst Verantwortung übernehmen muss, einen ganzen Abend selber zu gestalten und auch Tickets zu verkaufen. Das ist eine Herausforderung, der wir uns gerne stellen.

Im Herbst geht es für euch auf Co-Headliner-Tour mit Kopfecho. Am 2. November spielt ihr im Bremer Tower. Wie ist die Idee zur gemeinsamen Tour entstanden?

Die Idee einer Co-Headliner-Tour hatten wir schon länger im Kopf. Nach den Broilers-Shows haben wir überlegt, im nächsten Schritt ein paar eigene Shows zu spielen – vielleicht drei oder vier Abende. Eine komplette Tour war noch nicht geplant. Wir wollten realistisch bleiben und uns Städte aussuchen, wo wir eine gute Basis haben, wie Düsseldorf oder Hamburg. Unser Booker hat sich damit zum Glück nicht zufriedengegeben und vorgeschlagen, eine „richtige“ Tour zu starten. Um die Jahreswende haben wir dann zusammen überlegt, was möglich wäre. Er meinte, es gäbe eine Band, die vor ähnlichen Herausforderungen steht wie wir. Warum also nicht die Kräfte bündeln? Das fanden wir perfekt und haben beschlossen, es zu machen. Es passt musikalisch gut zusammen und bringt nur Vorteile für alle. Ich freue mich darauf, auch das Publikum von Kopfecho kennenzulernen.

Am 14. September treten Casino Blackout bei Get Loud Against Hate in Hoya auf und am 2. November spielen sie auf eigener Tour gemeinsam mit Kopfecho im Bremer Tower Musikclub. Tickets gibt es für beide Veranstaltungen noch im Vorverkauf.

 


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