„Die lauteste Meinung ist nicht die wichtigste“ – Joris im Interview

Der 28-jährige Sänger spricht über seine zurückliegende Tour, die manchmal beängstigende Freiheit seiner Generation und seinen Optimismus.

Joris

Bremen. Joris wurde 2015 mit der Single „Herz über Kopf“ über Nacht bekannt und feierte in der folgenden Zeit einige Erfolge. Anders als viele seiner Kollegen, schaffte er es danach, seine Fans dauerhaft zu begeistern. Die Tour zu seinem zweiten Album „Schrei es raus“ hat ihn im Oktober und November in noch größere Hallen geführt. Vor dem Konzert im Pier2 haben wir uns mit Joris zum Interview getroffen.

Du bist in Brinkum ganz in der Nähe geboren, wohnst aber schon lange nicht mehr hier. Fühlt es sich dennoch wie ein Heimspiel an?

Obwohl ich hier nicht aufgewachsen bin, ist Bremen ein Stück in meinem Herzen. Meine Patentante wohnt hier, daher war ich sehr oft und gerne in der Stadt. Heute war ich hauptsächlich an der Weser. Ich bin heute Morgen aufgewacht und habe aus dem Bus direkt auf das Wasser geschaut. Da war ich direkt gut drauf, weil zum ersten Mal seit zwei Wochen die Sonne geschienen hat.

Nach zwölf Konzerten steht heute das letzte der aktuellen Tour in Deutschland an. Wie waren die Shows für dich?

Es war eine richtig schöne Zeit! Seit der letzten Tour hatte ich über zwei Jahre Zeit, mir viel zu überlegen, daher waren meine eigenen Erwartungen recht hoch. Das Konzert an sich ist sehr schön geworden mit vielen spontanen Elementen, großem Licht und großem Ton. Meine Vorstellungen wurden sogar übertroffen, die Leute waren extrem gut drauf und es waren super schöne Abende. Die Konzerte gingen über zwei Stunden und haben viel Spaß gemacht. Ich bin ein bisschen traurig, dass die Tour schon fast vorbei ist.

Gab es einen besonderen Moment während der Tour?

Es gab viele besondere Augenblicke. Die Reise ging mit zwei Konzerten in Stuttgart und zwei Shows in der Großen Freiheit in Hamburg los. In der Location wollte ich schon immer spielen. Zu Beginn sind wir anders getourt und haben auf einmal für uns ungewöhnlich abends im Hotel geschlafen. Schnell ging es aber in den Tourbus zurück und die Läden wurden zum ersten Mal sehr groß. Jeden Abend gab es besondere Momente, an die ich mich gerne zurückerinnere. Es ist viel Verrücktes passiert. In Stuttgart war plötzlich eine klassische Sängerin auf der Bühne, weil meine Band Ave Maria angestimmt hat und gefragt hat, ob das jemand singen kann. Auch Rapper hatten wir spontan auf der Bühne.

Im Gegensatz zum Debütalbum, hat „Schrei es raus“ diesmal nicht die Top 10 der Albumcharts erreicht, die Konzerte werden trotzdem größer. Wie erklärst du dir das?

Die Entstehung der Charts ist immer ein Absurdum. Die Platzierungen hängen wesentlich davon ab, wer noch alles in der gleichen Woche ein Album veröffentlicht. Ich gebe da nicht allzu viel drauf, obwohl es natürlich für viele Leute aus dem Musikbusiness sehr wichtig ist.

Beim ersten Album ist „Herz über Kopf“ durch den großen Radio-Erfolg klar herausgestochen. Diesmal wirkt das Album mehr wie ein Gesamtwerk, auch durch die Farbgebung der Single-Cover. War das der Plan dahinter?

Ich bin in erster Linie Musiker und Künstler und möchte gerne ein für sich stehendes Werk schaffen. Dazu gehören die Songs und das Artwork, aber auch, dass es auf Vinyl erschienen ist. Ich möchte gerne ein ganzes Kunstwerk präsentieren mit 13 Songs, die zusammengehören und einen roten Faden bilden. Nur in der Summe bilden sie ein buntes Album. Darauf bin ich sehr stolz.

Das Album trägt den Titel „Schrei es raus“, auf dem Cover ist dein Mund aber durch ein Tuch bedeckt. Gibt es etwas, das dich hemmt oder zurückhält?

Es gibt heutzutage viele laute Meinungen. Ich möchte sagen, dass die lauteste nicht die wichtigste Meinung ist. „Schrei es raus“ ist darauf bezogen, seinen Trott zu verlassen und Mut zur Veränderung zu haben. Es war mir wichtig, das gut zu übersetzen. Zwar ist das Tuch vor dem Mund, aber trotzdem schreien die Augen, da sie stark eingefärbt sind.

 „Rom“ sticht aufgrund seiner Länge hervor, mit über sieben Minuten Spielzeit ist es ein ungewöhnlicher Song. Wie ist er entstanden?

Ich habe „Rom“ schon vor langer Zeit geschrieben, der Song hat aber nicht auf das erste Album gepasst. Er ist wie eine Reise – damals nach der Schule hatte ich so unendlich viele Möglichkeiten, wie es weitergehen könnte. Ich war in Hamburg für Rechtswissenschaften eingeschrieben, hätte in Innsbruck gerne Medizin studiert, bin dann aber nach Berlin gegangen, um Musik zu machen. Diese Freiheit, für die viele Generationen vor uns sehr viel getan haben, kann manchmal auch beängstigend sein, wenn man so viele Möglichkeiten hat. Davon handelt „Rom“.

Gibt es eine besonders schöne Entstehungsgeschichte zu einem der Songs auf dem neuen Album?

Als besonderes Beispiel kommt mir sofort „Du“ in den Kopf. Ich habe in Wien ein Festival mit Clueso gespielt und hatte beim Soundcheck plötzlich die Rhythmik und die Melodie in den Fingern. Es war einer der letzten Sommertage im September und mein bester Kumpel, der nichts mit Musik zu tun hat, hat mich besucht. Nach dem Konzert haben wir uns draußen in die Sonne gesetzt und einfach losgeschrieben. Ich fand es spannend, einen Song an das Leben zu schreiben. Wir kennen es jeden Tag in seinem kompletten Facettenreichtum und deshalb war es mich wichtig, mal eine Ode daran zu schreiben.

Der Opener „Kommt schon gut“ ist ein sehr positiver Song. Woher nimmst du deinen Optimismus?

„Kommt schon gut“ ist mittlerweile wie ein Motto für mich. Es gibt sehr oft Momente, auf die es genau zutrifft. Beim zweiten Album zum Beispiel habe ich losgelegt und wusste genau, wie es später klingen soll. Beim Songwriting und während der langen neun Monate im Studio kommen die Dinge aber ganz anders, als ich sie mir vorher gedacht habe. Wenn man seinen eigenen Weg geht und den mit viel Herzblut bestückt, kommt es am Ende auch gut. Der Song ist mir als Opener sehr wichtig.

Deine Songs sind mal laut und rockig, haben Pop-Charakter und sind auch mal ganz leise und melancholisch. Wie baust du daraus eine Setliste?

Das neue Album ist insgesamt tatsächlich rockiger, da es auch im Laufe der großen Festivalsommer entstanden ist. Einige Songs haben sehr viel Energie und wollen sofort auf die Bühne. Trotzdem gehören natürlich auch ein paar alte Nummern dazu. Eine Mischung zu finden, ist nicht leicht. Aber ich glaube, es ist uns gut gelungen.

Hier lest ihr unseren Bericht vom Konzert am 3. November im Pier2, hier seht ihr unsere Bildergalerie.


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