Deutschpunk und Post-Rock im Karo

Hatte der Opel Corsa Ende der 90er Jahre die Gesamtlaufleistung von 200.000 Kilometern überschritten, suchten sich viele der klapprigen Fahruntersätze als finalen Endbesitzer den Deutschpunk. Ausgedient als Kurzstreckengefährt um zum 12 km entfernten Bäcker im nächstgelegenen Dorf zu gelangen, überzeugte der Corsa mit hoher Laufleistung in erster Linie durch geringe Anschaffungskosten und einfachste Handhabung, da der lernfähige Fahrtrabant in seinen Endjahren seinem Anwender ein Schalten ohne Bedienen der Kupplung ermöglichte. Diese ihm entgegengebrachte Bedienerfreundlichkeit erwiderte der Anwender gerne mit einem Toxoplasma- oder Slime-Aufkleber in der Heckscheibe. Auch Finte haben sich Deutschpunk auf ihre Heckscheibe geschrieben, allerdings haben sie durch ihre Beeinflussung von Bands wie At The Drive In und Quicksand dem einst klapprigen Rüsselsheimer zu einem leistungsstärkeren, amerikanischen Motor und einem Satz verchromter Felgen verholfen.

Wir haben uns mit Marvin, Steffen und Chris von Finte über ihre neue EP „Ignoranz und Illusion“ unterhalten und was uns bei ihrem Konzert am kommenden Freitag erwarten wird.

 

Was verbirgt sich hinter dem Namen „Ignoranz und Illusion“ Eurer Debut-EP?

 Marvin: Wir hatten eine lange Diskussion um den Titel, denn auf der EP sind vier Tracks zusammengekommen, die inhaltlich verschiedenste Themen verhandeln und auch stilistisch auseinander gehen. Da wollten wir nicht einfach nur einen Songtitel als Titel herausstellen, sondern die Songs irgendwie gleichwertig nebeneinanderstehen lassen. Allerdings steht hinter der EP strenggenommen auch kein gemeinsames Thema, wie beispielsweise bei einem Konzeptalbum. Der Titel „Ignoranz und Illusion“ ist schließlich ein Kompromiss. Er ist eine Zeile aus dem Lied „Norwich“, die mehr oder weniger eine mögliche Bedeutung der anderen Tracks aufgreift. Ein verbindendes Element wäre vielleicht die Frage, in welcher Weise wir uns über uns selbst oder unsere Gefühle täuschen können, aber auch anfällig sind, uns täuschen zu lassen. Aus Angst, Bequemlichkeit oder Unwissenheit sehen wir Zusammenhänge oft anders, als sie sind. Und genau der Riss, der sich auftut, sobald Illusionen sich auflösen, sobald die Ignoranz sich nicht mehr aufrecht halten lässt, steht hinter den Songs.

 

Würdet ihr euch als „politische Band“ bezeichnen?

Steffen: Ich schreibe über Dinge, die mich im Alltag beschäftigen, und da bleiben politische Themen natürlich nicht aus. Wobei denen dann eigentlich immer der Blick auf das Menschliche zugrunde liegt – und gerade in Zeiten, in denen auf einmal wieder Rechte in den Bundestag gewählt werden, sind es grundlegende Fragen nach Toleranz oder einfach nur gesunden Menschenverstand, die von ganz alleine wieder hochpolitisch werden.

 

Habt Ihr befreundete Bands, mit denen Ihr Euch gegenseitig unterstützt?

 Marvin: Ursprünglich kommen wir aus Hildesheim und dort gibt es schon eine kleine, aber florierende Musikszene, in der man sich unterstützt und versucht, gemeinsam Dinge auf die Beine zu stellen. Und darüber haben wir auch in unseren Freundeskreis ambitionierte Bands, wie Polaroit, Broken Bone Ballad oder Seed to Tree aus Luxemburg. Oder auch unsere Proberaumnachbarn Moto Toscana arbeiten an extrem spannendem Zeug.

Vor allem seitdem Timur zunehmend mit Bands ins Studio geht und sich als Mischer ausprobiert, entsteht so ein schönes Netzwerk. Allerdings merken wir oft, dass unsere Musik mit ihren etwas sperrigen Momenten und den deutschen Texten zwischen den Stühlen sitzt und mit eher klassischen Punk- oder Singer-Songwriter-Projekten von Freunden nicht immer ein Publikum teilt. Doch im Verlauf des letzten Jahres aber auch durch unsere EP haben wir selber ein Gespür dafür bekommen, was wir eigentlich für Musik machen und welches Bands in eine ähnliche Nische gehen.

 

Wie sehr haben Euch Bands wie Turbostaat, Heisskalt und Oma Hans beeinflusst?

 Steffen: Turbostaat und Oma Hans habe ich nie so richtig gehört, aber Heisskalt sind definitiv eine Inspiration in Sachen Text. Die Art, wie Mathias Bloech teilweise flowt und Reime verschachtelt, hört man selten in dieser Art von Musik. Ansonsten sauge ich gerade relativ viel deutschsprachige Musik auf (Fjørt und Die Nerven gerade ganz vorne), insgesamt habe ich in meinem Leben aber so gut wie jede Musikrichtung einmal abgeklappert, von Hip Hop über elektronische Musik zu Punk und bis hin zu allen möglichen Metalrichtungen.

Das mit den deutschen Texten kommt aber auch weniger daher, dass wir alle mega Fans von deutschsprachiger Musik sind, sondern eher daher, dass Singen in der Muttersprache sich einfach ehrlicher anfühlt.

Chris: Turbostaat habe ich auch erst später für mich entdeckt. Für mich war deutschsprachige Musik lange Zeit nicht besonders relevant, mit Ausnahme von Escapado. Ich war verrückt nach At the Drive-In und Quicksand, später The Mars Volta. Ansonsten wurde ich eigentlich eher im Indie-Rock sozialisiert. Irgendwann bin ich mit The Hirsch Effekt wieder in deutschen Gefilden gelandet. Heisskalt hat es mich beeindruckt, wie sie mit „Vom Wissen und vom Wollen“ den Schritt gewagt haben, wieder experimenteller und auch härter zu werden, was man bei vielen Bands, die bekannter werden, leider andersrum sieht.

 

Wenn Ihr es Euch aussuchen dürftet: Mit welcher Band würdet ihr im Vorprogramm auf Tour gehen?

 Marvin: Da gibt’s natürlich so ein paar Riesenbands, wie The Mars Volta oder Dillinger Escape Plan, wo das Fantum wesentlich höher ist als die musikalische Schnittmenge. Ganz großartig fände ich aber zum Beispiel eine Tour mit Fjørt, die Jungs sind einfach mega sympathisch.

Chris: The Mars Volta und Dillinger Escape Plan passen wohl besser als Fjørt. And you will know us by the Trail of Dead” wären famos, allein, um sie so oft wie möglich live zu sehen. Im Vorprogramm von Rolo Tomassi oder Fjørt zu spielen, fände ich aber auch super.

 

 Was hat sich durch die Veröffentlichung der EP für Euch verändert? Werdet Ihr nun anders wahrgenommen?

Marvin: Unsere EP ist ja einen Monat raus und als unbekannte Band wird es noch ein wenig dauern, bis sich das Ganze in den entsprechenden Kreisen rumgesprochen hat. Die ersten Kritiken lesen sich aber ganz ordentlich. Ein großes Ziel mit der EP war es ja, überhaupt erst einmal stärker wahrgenommen zu werden in der Fülle an jungen Bands. Aber natürlich hinterlassen wir damit schon einen anderen Eindruck. Mit einem Tonträger im Gepäck bekommt die Sache nochmal einen ernsthafteren und professionelleren Anstrich.

 

Habt ihr zuvor schonmal in Bremen gespielt? Habt Ihr ein besonderes Verhältnis zu Bremen?

Marvin: Leider nein. Seit gut zwei Jahren hat es unseren Gitarristen Chris nach Bremen verschlagen, das heißt den ein oder anderen Abstecher haben wir schon mal in die Stadt gemacht. (Ich hatte mal einen ganz wunderbaren Abend im Viertel, inklusive Absacker in der Lila Eule). Darüber hinaus ist für den Rest von uns die Stadt noch ein unbeschriebenes Blatt, der gegenüber wir aber viel Sympathie hegen. Umso freuen wir uns natürlich am 01.06. endlich Chris’ neue Wahlheimat unsicher zu machen.

 

Die Bremer Band Welk hatte erst kürzlich ihren Bandnamen in Mondan geändert. Auf ihrer Facebook-Seite gibt das Post-Rock-Trio die vielen Verwechslungen mit der Leipziger Band Welk an. In der Tat sind die Leipziger Welk bereits seit 2013 aktiv und haben 2017 mit Ihrem Album „Sein“ ein kleines Meisterwerk herausgebracht, dass in der Black Metal / Crust-Szene große Anerkennung findet. Da auch die Bremer Welk (seit 2012 aktiv) mit einem neuen Tonträger in den Startlöchern stehen, haben sie sich für die jetzige Umbenennung entschieden. Mondan präsentieren auf ihrer Bandcamp-Seite ihr Demo aus 2015, das knietief im klassischen Post-Rock steht. Für ihren neuen Tonträger hat das Trio bereits eine große musikalische Weiterentwicklung angekündigt. Ob sie ein ebensolches Meisterwerk wie  ihre einstigen Leipzigern Namensvettern abliefern werden, werden sie am kommenden Freitag wohl schon im Karo beantworten.

Finte und Mondan werden am kommenden Freitag (1.6.) um 19 Uhr im Karo (Walle) auftreten.

 

 


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