„Das klassische Bild von Punk ist überholt“ – Herrenmagazin im Interview

Obwohl ihr geplanter Auftritt beim Hurricane Festival wie das ganze Programm am zweiten Veranstaltungstag abgesagt wurde, haben sich Herrenmagazin nachmittags die Zeit für ein Interview genommen.

Foto: Andreas Hornoff

Bremen/Scheeßel. Mit vier Alben in zehn Jahren, ehrlichen Texten und mitreißenden Konzerten, haben sich Herrenmagazin in der deutschen Indie-Szene etabliert. Der jetzige Festivalsommer ist jedoch erstmal ihr letzter, denn sie haben sich zu einer Bandpause entschieden. Grund genug also, den Bassisten Paul Konopacka und Gitarristen König Wilhelmsburg noch einmal zu interviewen.

Wie alle Konzerte, wurde auch euer Auftritt heute wetterbedingt abgesagt. Habt ihr eher enttäuscht oder verständnisvoll auf die Absage reagiert?

Natürlich sind wir enttäuscht, denn es ist ja nicht das kleinste Festival hier. Da wir eine Bandpause einlegen, spielen wir nicht mehr so viele Konzerte. Das wäre heute eines unserer letzten großen Highlights gewesen. Wir haben uns schon sehr darauf gefreut, aber am Ende des Tages können wir nichts machen… safety first! Wir haben dann über Facebook mit der neuen Live-Funktion ein Konzert gespielt. Das war unsere Reaktion darauf!

In den letzten drei Tagen haben hier alle Beteiligten viel Regen und Gewitter erlebt. Seid ihr schon mal als Besucher bei einem Festival richtig nass geworden?

Ja, 1997 in Roskilde. Das war eine Riesen-Katastrophe. Damals war ich fünf Tage lang da und es hat nur geregnet. Früher waren die noch nicht so gut vorbereitet, da sind wir noch viel mehr im Schlamm versunken. Dafür wurde es nicht abgesagt, irgendwann haben wir uns nur noch durch eine Schlammwelle gekämpft. Dann haben Tocotronic gespielt und es kam einmal die Sonne raus, da fing es an zu stinken, weil der Matsch zu trocknen beginnt. Das war echt ekelhaft. Aber irgendwie auch geil!

Wie nutzt ihr jetzt den angebrochenen Tag?

Wir werden wohl feiern! Den sinnlosen Tag mit sinnlosen Sachen verbringen. Wir haben gerade gegessen und müssen jetzt um vier Uhr morgens den Ersatz-Nightliner einräumen, da unser Bus passenderweise auch noch kaputtgegangen ist. Wir werden jetzt einfach Party machen. Etwas anderes bleibt uns nicht übrig.

Was für Musik hört ihr privat gerne, welche Konzert besucht ihr?

Die nächsten Konzerttickets, die ich habe, sind für The Cure. Das sind die größeren Konzerte, sonst gehe ich gerne auf kleine Shows. So schrammelige Indie-Musik, die nicht in den großen Hallen stattfindet. Das hat so eine Faszination auf mich. Ansonsten haben wir Tickets für Kevin Morby im Schanzenpark, das ist auch sehr klein. Ich finde aber auch Weltstars wie Beyoncé, Justin Timberlake oder Sia interessant. Man hört sie nicht, weil sie einen emotional berühren, aber Hits auf den Punkt finde ich faszinierend!

Nach den Festivalshows im Sommer legt ihr auf unbestimmte Zeit eine Pause ein. Warum habt ihr euch dazu entschlossen?

Zeit spielt eine riesige Rolle. Wir brauchen eine Unterbrechung von diesem Zwei-Jahres-Rhythmus. Wir haben in den letzten zehn Jahren fast alle zwei Jahre eine Platte herausgebracht und waren sehr viel auf Tour. Wir haben inzwischen Familie und müssen arbeiten, um Geld zu verdienen. Das wird gerade alles sehr viel. Deswegen machen wir eine Pause auf unbestimmte Zeit.

Hat sich das Gefühl, auf die Bühne zu gehen, seit dem Entschluss verändert?

Ja, es macht nochmal wieder mehr Spaß! Es ist wieder mehr das Gefühl von ganz am Anfang, dieses Unbekümmerte. Man hat keinen Druck und nervige Dinge sind plötzlich nicht mehr so schlimm. Es macht einfach unheimlich Spaß und ich glaube, das merkt das Publikum. Die Konzerte seitdem waren einfach toll. Es ist wieder leichter geworden.

Eure Musik wird als „poetischer Punk“ bezeichnet. Ist diese Kombination im klassischen Sinne überhaupt möglich?

Das ist auf jeden Fall möglich. Das klassische Bild vom lauten Punk mit Irokesen-Schnitt bei den Chaostagen in Hannover ist überholt. Poesie und Punk schließt sich nicht aus. Unser Schlagzeuger Rasmus ist der einziger Punker, den ich kenne. Er ist auch der einzige hier, der sich richtig damit auskennt, er kenne jede deutsche Punk-Band. Er hat sogar mal für ein Punk-Magazin geschrieben.

Euer aktuelles Album „Sippenhaft“ ist recht melancholisch. Warum habt ihr die Themen auf die ruhige Art verarbeitet?

Es ist in einem Prozess einfach passiert, wir haben uns nicht dazu entschlossen. Zwar kann man sich mit lauter und mehr nach vorne gehender Musik viel schneller Gehör verschaffen, also haben wir es erstmal schwieriger. Wir haben mit Albrecht einen Pianisten, der uns unterstützt hat und bei der Produktion zudem sehr viel Ruhe hineingebracht hat.

Es geht um Druck innerhalb der eigenen Familie und Erwartungen, die gestellt werden. Wie sehr hat euch das begleitet?

Die Texte sind sehr mit unserem Sänger Deniz verbunden. Da können wir natürlich nur mutmaßen. Ich weiß, dass es in seiner Familie nicht immer einfach ist. Das ist es aber bei keinem von uns. Familie ist immer auch mit Erwartungen an die Kinder und mit Druck verknüpft. Das typische „Mach mal was vernünftiges“ haben wir alle schon gehört. Eltern haben Wünsche und Vorstellungen und einfach Angst, dass wir scheitern mit dem, was wir jetzt tun. Deniz hat sich noch mal intensiver damit auseinandergesetzt, da er aus einer sehr großen Familie kommt. Wenn er es in Texten verarbeiten kann und das Talent dafür hat, ist das schon cool!

Welchen Projekten oder Aufgaben werdet ihr euch ab Ende des Jahres widmen?

Wir werden wohl tatsächlich in einen normalen Familienalltag mit Kind und Arbeit übergehen. Musikalisch werden wir natürlich auch was machen. Da haben wir aber keine festen Pläne!

 


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