Karl Ove Knausgård – Der Morgenstern

Karl Knausgård (* 1968) gilt als wichtigster norwegischer Autor unserer Gegenwart. Die Romane seines sechsbändigen autobiografischen Projektes wurden weltweit zur Sensation. Sie sind in 35 Sprachen übersetzt und vielfach preisgekrönt. Knausgård lebt heute in dritter Ehe in London und hat fünf Kinder.

Es gibt Bücher im Leben, die machen etwas mit einem. Man liest einen Satz und ist so überwältigt, es trifft einen einfach unvorbereitet mitten ins Herz und Hirn. Ich habe das Buch „Lieben“, den zweiten Band der sechs autobiografischen Romane von Knausgård gelesen und es haute mich einfach um. Die Familie, die Kinder, die Frau, über die er schrieb, es war seine Eigene. Mittlerweile ist er von dieser Frau geschieden. Familienmitglieder brachen den Kontakt ab. Das jemand so über das Leben, seinen Alltag und unterbewusste Familienverbindungen schreiben kann und so schonungslos ehrlich mit allen Familienmitgliedern und Freunden – vor allem aber mit sich selbst umgeht. Der Wahnsinn. Diese Romane sind einfach wahrhaftig und das macht sie so großartig. Seit diesen sechs Romanen habe ich weiterhin alle Bücher von Knausgård gelesen, die nach und nach ins Deutsche übersetzt wurden. Das Buch: „Alles hat seine Zeit“ war nicht meins. Die vier Bände „Frühling“, „Sommer“, „Herbst“ und „Winter“ kriegten mich, wenn er wieder über die Kinder und seine Ehe schrieb. Die weiteren Kapitel über Alltagsgegenstände berührten mich nicht. Es folgten Essays über Amerika und ein Buch über Edvard Munch, seine ersten Werke kamen auf Deutsch heraus, die eine Vorbereitung auf die sechs Bände von „Mein Kampf“ waren. Irgendwie wiederholte er sich. Knausgård war gefangen in dem, worin er so erfolgreich wurde, das Schreiben über sich selbst und sein Leben. Würde er es überhaupt schaffen, weitere eigenständige Romane zu schreiben?

Er hat nun so was von bewiesen, dass er es kann! Gerade ist sein Buch „Der Morgenstern“ erschienen. Das Werk erzählt aus der Perspektive von neun verschiedenen Menschen in deren eigenen Worten. Es ist Hochsommer in Norwegen und jeder der neun Personen lässt uns an ihrem Leben an langen Sommertagen- und Nächten teilhaben, jeder auf seine eigene Art. Ein neuer Stern erscheint plötzlich am Himmel, gigantisch und unübersehbar. Plötzlich verändert sich etwas. Was hat das zu bedeuten? Selbst als Leser*in bekommt man ein klammes Gefühl im Bauch. Etwas scheint aus den Fugen zu geraten. Die Tiere fangen an, sich merkwürdig zu verhalten, den Menschen passieren unheimliche Dinge im Kleinen wie im Großen. Man möchte wissen, was passiert hier? Eine gelungene Mischung (Erinnert mich in Auszügen an den Film „Melancholia“ mit Kirsten Dunst und das Buch „Der Schwarm“ von Frank Schätzing). Gleichzeitig fängt man selbst das Grübeln an: Kommt dieser neue Stern vielleicht irgendwann tatsächlich zu uns? Ist das unrealistisch? Irgendwie nicht. Corona und Russlands Krieg gegen die Ukraine haben uns gezeigt, dass nichts mehr unmöglich ist. Auch die Menschen in dem Buch rätseln und überlegen, was es mit diesem neuen Stern am Himmel auf sich hat und ob jetzt etwas Neues oder das Ende beginnt. Knausgård hat verraten, dass es eine Fortsetzung geben wird.

Roman, Luchterhand Literaturverlag, aus dem Norwegischen von Paul Berf, 2022, ISBN 9783630875163, Gebunden, 896 Seiten, 28,00 EUR


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