Linus Volkmann liest aus Jugendzeitschriften im Lagerhaus

Was bedeutet es eigentlich, aus Jugendzeitschriften zu lesen? Diese kleinen Schnipsel von kurzen Texten. Fragen wir den Star des Abends doch direkt. Und wenn wir schon dabei sind, auch gleich noch ein paar andere Dinge. Jugendzeitschriften, Antisemitismus und Platte des Jahres. Alles in einem Interview mit Linus Volkmann.

Linus Volkmann prägte das INTRO Magazin, ist Podcaster, ehemaliger Fanziner, schreibt regelmäßig für den Musikexpress und ab und an Bücher, die im Ventil Verlag erscheinen. Stets versteht Linus Volkmann die Popkultur und -musik in einem gesellschaftlichen und somit politischen Kontext. In letzter Zeit ist er eine der lautesten Stimmen im Netz gegen Antisemitismus. Auch das kommt in unserem kurzen Austausch zu Wort. Vordergründig soll es aber um das aktuelle Programm von Linus Volkmann gehen, mit dem er auch in Bremen zu Gast sein wird. Lassen wir den Team Scheiße Ultra nun zu Wort kommen:

01 – Wie bist du auf dein aktuelles Programm gekommen?

In grellen Nächten zu vorgerückter Stunde ersteigerte ich im Nostalgie-Wahn gern auf eBay alte Jugendmagazine. Aus den Nullern, den Neunzigern, den Achtzigern. Wenn die Paktsendungen kamen, wunderte ich mich oft, was ich da denn schon wieder so vehement bestellt hatte. Ich las sie dann natürlich trotzdem und musste feststellen, dass sie viel mehr mitteilen als nur, wer in dem jeweiligen Jahr auf Platz 1 der Charts war. Man erfährt viel über gesellschaftliche Stimmungen, technische Innovationen und die Verfasstheit von Popkultur und Welt. Dazu finden sich so viel Stilblüten in dieser zwangswachen Jugendsprech-Parade. Ich dachte, das ist viel zu schade, sich dafür nur Lacher auf Social Media abzuholen, das müsste mal jemand zu einem geilen Mosaik zusammenpuzzeln. Schnell wurde mir klar, dass mir das wohl keiner abnehmen würde, also habe ich mich selbst dran gesetzt.

02 – Und du liest dann wirklich aus den alten (zerfledderten?) Heften? Oder hast du multimediale Unterstützung?

Gut, dass du fragst. Es heißt ja in der Unterzeile zu dem Programm „Linus Volkmann liest aus Jugendmagazinen der letzten 30 Jahre“. Das ist aber natürlich eine Verkürzung. Eigentlich lese ich kaum aus Heften, sondern zeige viel eher Ausrisse und Skurriles – und erzähle dazu Geschichten oder liefere Kontexte. Es ist eine Art „Show & Tell“. Kleinteilig und bunt, aber mit einer erzählerischen Klammer, damit zu einer Seltsamkeit von Doktor Sommer mehr rumkommen möge als nur die vordergründige Pointe.

03 – Jugendzeitschriften zeichnen sich ja durch eine eher unpolitische Haltung aus. Im Gegensatz zu deinem journalistischen Schaffen. Wie erklärt sich dein Interesse an Jugendzeitschriften und dessen Inhalt? Und wo ist bei dir eine Abgrenzung zwischen dem Programm und deiner journalistischen Arbeit zu erkennen?

Diese Jugendmagazinstudien, das hat mich auch überrascht, sind sehr viel politischer, als man vielleicht denkt. Fat-Shaming, Übergriffserfahrungen, binäre Sicht auf Geschlechter tauchen genauso auf wie Armut, Gewalt, Skins in der Jugendkultur. Bei manchen Themen staunt man, dass sie schon früher verhandelt wurden, bei manchen Themen dagegen erschrickt man sich, wie sie einst ganz selbstverständlich verhandelt wurden. Auch solche Aspekte spare ich nicht aus und damit empfinde ich das Programm auch nicht als unpolitisch.

04 – Du positionierst dich insbesondere gegen den um sich greifenden Antisemitismus (auch und gerade in linken Milieus). Woher nimmst du deine Motivation dafür?

Okay, der Themenswitch ist auch mal eine Ansage, aber natürlich sage ich auch gern dazu etwas: Für mich haben Popkultur, aber auch linke oder queere Szenen immer auch etwas Utopisches. Sie bieten eine Möglichkeit, emanzipatorischer mit anderen zusammen zu agieren, als es der reguläre Alltag in der tristen BRD so hergibt. Umso härter hat es mich getroffen, wie diese Zusammenhänge sich nach dem 7.10.
positioniert (oder auch nicht positioniert) haben. Gerade Musiker*innen, die sich zu jedem „gefälligen“ Konflikt für ihre Empörung mit Likes zuscheißen lassen, blieben still. Da es nicht mehr so gefällig lief. Eine hart bittere Erkenntnis, dass alle nur so lange „Nie wieder!“ fordern und Stolpersteine polieren, so lange es dafür Applaus gibt. Sicherlich ist die Lage vor Ort sehr komplex, aber man muss kein*e Nahost-Expert*in sein, um sich gegen sowas wie „Rape is resistance“ zu positionieren. Und wer schweigt, wenn jetzt Jüd*innen überall auf der Welt und auch in Deutschland konkret bedroht und ausgeschlossen werden, der*die hätte auch vorher die Fresse halten können.

05 – Wie reagierst du auf Kritik und Anfeindungen, die aus deinem Engagement sicherlich bei bestimmten Gruppierungen hervorgerufen wird?

Ich habe mich immer politisch positioniert und besitze ja auch kein unüberschaubares Heer an zufälligen Follower*innen. Ich weiß noch, was los war, als Helene Fischer einst den progressiven Hashtag #wirsindmehr (nach den Ausschreitungen in Chemnitz) unauffällig unter ein Foto mischte. Diese ganze rechte Zombiearmee trollte los. Ähnliches hat ja auch Roland Kaiser erlebt, als er sich gegen PEGIDA
aussprach. Sowas passiert mir natürlich nicht. Die Quote von Hass-Mails und Anfeindungen liegt zumindest weit unter den Nachrichten, die sich bedanken, dass man sich nicht so alleine fühle, wenn ich mal etwas Solidarisches poste. Aber echt bedrückend, dass die Leute schon auf mich zurückgreifen müssen, weil es einfach sonst so verdammt wenige mit Öffentlichkeit tun.

06 – Kam es auf deinen Lesungen schon mal zu Störungen aufgrund deiner Position und wie reagierst du darauf (oder würdest darauf reagieren)?

Das Jugendmagazin-Thema bietet halt null Aufhänger für Nahost und da ich nicht wirklich Politaktivist oder eine TV-Fresse bin, fehlt mir schlicht die Bedeutung, als dass ich als Plattform für solche Schreierei genutzt werden würde.

07 – Ein sonniger Samstagnachmittag vor deiner Lesung in Bremen. Wie verbringst du deine Zeit?

Ich besuche die Geburtshäuser von den „Musikern“ der Gruppe Dimple Minds und lege eine Blume vor dem Rum Bumpers ab, weil ich lange großer Fan von Slime war. Dann sprühe ich random an eine Wand „Buntentorsteinweg bleibt!“. Mehr Bremen-Kolorit fällt mir nicht ein. Außer vielleicht noch ein Besuch am Grab von Willi Lemke.

08 – ¾ des Jahres sind fast rum. Zeit schon mal vorläufige Bilanz zu ziehen. Du als Popjournalist – bisheriges Album des Jahres (und warum)?

Tolle Musik gibt es zum Glück immer – egal wie verfahren die Lage drumrum ist. Gut, wenn bald AfD und die Putin-Vasallen von Wagenknecht die Regierung bilden, dann dürfte es auch mit Kultur eng werden. Umso mehr Gründe, aus dem Hier und Jetzt noch was mitzunehmen. Ich liebe zum Beispiel „Alles muss repariert werden“ von der Antilopen Gang. Eine Doppelalbum, halb Hip-Hop, halb Punk. Aber auch geil: Die, Achtung, Bremer Band H.i.T. Deren Debüt-EP kann ich wirklich empfehlen. Ekstase, Style und Tempo.

Vielen Dank!

Linus Volkmann „liest“ am 14 September im Lagerhaus aus 30 Jahren Jugendzeitschriften. Das verspricht ein bunter und vermutlich auch lustiger Abend zu werden.

 


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