Bürgerschaft statt Bass und Beats

Kolumne: Veranstaltungen wie Lesungen, Konzerte und Partys sind verboten, doch Freunde der Realsatire haben die Chance in die Halle 7 zu gehen – bei freiem Eintritt

Achtung Satire – In seiner sehr, sehr unregelmäßigen hb-people-Kolumne beschreibt Kulturmanager und Podcaster Timo von den Berg vom Hensel und Bremen Podcast, die realsatirischen Perlen des Alltags in Bremen und umzu.

Die Bundesliga startet ohne Zuschauer, die Bremische Bürgerschaft muss auf ihre Fans jedoch nicht verzichten. In der Halle 7, wo sonst Craft-Beer-Messen, Punkrockkonzerte oder die Partys des Freimarkt stattfinden, feiert nun die oberste Politik des Landes sich selbst. Nicht jede und jeder Abgeordnete hält sich immer an den Mindestabstand von 1,50 Metern, doch auch im Zuschauerraum gilt, bei Erreichen des Sitzplatzes, keine Maskenpflicht mehr. Ist das Genre jetzt Comedy, Kabarett oder Realsatire – die geneigten Zuschauer*innen dürfen es selbst entscheiden. Die Party kann losgehen.

Mittwochmorgen, Punkt 10:00 Uhr startet das Spektakel zur besten Zeit für ein bierseeliges Frühschoppen. Anders als auf großen Festivals starten die Hauptacts bereits zu Beginn. Die Fernsehbeleuchtung blendet in den Augen und es wird langsam warm in der Halle. Der höchste Mann des Landes, Bürgerschaftspräsident und Master of Ceremony Frank Imhoff, tritt als erstes ans Mikrofon und übergibt direkt an den Bürgermeister Jon Bon Bovi.

Dr. Andreas Bovenschulte vergleicht den Rückgang der Wirtschaft mit einem abgebrannten Haus, das neu aufgebaut werden muss. Der Präsident des Senats erwähnt in seiner Rede zur Corona-Krise auch die Club- und die Kulturszene und stellt sich wie ein Bär vor Sozial-Senatorin Anja Stahmann, die aufgrund ihrer Rolle in der Lindenstraße von Kritiker*innn als Rassistin bezeichnet wurde.

Als nächster Topact springt Oppositionsführer Thomas Röwekamp auf die Bühne und schießt mit allem Feuer, das in ihm lodern kann, gegen die Äußerungen von Boris Palmer und nennt sie „menschenverachtend“. Genauso richtet er sich gegen Verschwörungstheorien und erntet damit den Applaus des Großteil des Saals. Die demokratische Corona-Party ermöglicht dabei Features und Kollaborationen, die ansonsten wohlmöglich an Fraktionsgrenzen zerschellt wären. Nach hinten heraus kritisierte er dann doch noch den Senat. Kleinere Acts folgen mit ihren Auftritten im Anschluss.

Partystimmung kann jedoch nicht vollends entstehen, denn der Applaus ist zwar das Brot der Künstler*innen, aber auf der Besuchertribüne nach den Regularien der Bürgerschaft verboten.

Wer also allzu hungrig nach Veranstaltungshallen, Tribüne und der großen Liveshow ist, sollte sich einen Besuch der Bremischen Bürgerschaft nicht entgehen lassen. Nun ist der Zuschauerandrang höchstens mit einer Europapokal-Partie des VfL Wolfsburg zu vergleichen, doch mit ordentlich Abstand zwischen den Sitzplätzen von Presse und Abgeordneten sowie im Zuschauerraum, wird zumindest eine Veranstaltung mit Publikum im Land Bremen ermöglicht. Demokratie bleibt für Bürger*innen erlebbar.

Zumindest ein kleiner Gedanke könnte es wert sein, in so einem Setting, auch wieder Kunst und Kultur zu ermöglichen, vielleicht sogar direkt in der Infrastruktur der Bürgerschaft. So dürfte am Abend die Halle 7 doch frei sein, vielleicht für den ein oder anderen Singer-Songwriter. Vielleicht dann sogar mit Applaus aus dem Zuschauerraum. Vielleicht könnte die Corona-Krise auch diesen besonderen Move ermöglichen und die immer wiederkehrenden warmen Worte für Kunst und Kultur, in Taten ummünzen.

 

 


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