Klavier-Gabi halt´s Maul – hier kommen NËST!

Heute schon Klavier-Musik gelauscht? Wer jetzt lacht sollte dringend seine Ohren spitzen, denn was sich hier im Post-Rock-Pelz verkleidet, ist ein Meisterdebut der Bremer Band NËST!

Mit ihrem Musikvideo „Nearly Faded“ veröffentlichen NËST den ersten Song aus ihrem Debut-Album, das am 1. Juni 2018 erscheinen wird und liefern damit einen weiteren Beweis: die Bremer D.I.Y.-Musikszene erfreut sich bester Gesundheit!

Viel unterschiedlicher könnten die musikalischen Hintergründe der einzelnen Musiker des Trios nicht sein. In Bands wie Schwarz auf Weiss, Dogs On Catwalk, Teenage Music International, The Corneel Canters Quartet, The Cheeks, T.N.P. Trio, Matt & Basti Kinderlieder, Mizanthrop, Minion, T.N.P. Trio, The 6th Son Of Anderson Lee, Mueca, Allein, Cula Blob und Freak Out haben sie insgesamt mehr Genres beackert, als die meisten Plattenläden Rubriken aufweisen. Doch wer jetzt denkt, dass ihm ein hippes Cross-Over aus Death-Metal, Ska, Alternative-Rock, Deutschpop und HipHop die Frisur umfönen wird, irrt gewaltig.

Der Mittelpunkt des Trios ist zweifelsfrei Sören Tesch. Tauchte er in der Vergangenheit zumeist in begleitender Funktion an den Tasten auf,  würde sein Klavierspiel hier gleich mehrere Gitarren ersetzen, wären NËST eine Postrock-Band. Ihre Songstrukturen und Soundflächen lassen sogar einen Vergleich zu Post-Rock Bands zu. Bedächtig bauen sich die Tastenwelten ein Melodiegerüst,  das wie im Song Caravan Ghosts schließlich durch ein treibendes Schlagzeug und Bass zum Kopfnicker ausartet. Einmal darauf eingelassen, vergisst man schnell, dass hier gar keine Gitarren zu hören sind, denn es rockt trotzdem. Doch das ist nur die halbe Wahrheit, denn zur ganzen Wahrheit gehört auch die jazzige Seite des Trios. Immer wenn man gerade denkt zu wissen, wie NËST funktionieren, kommt mit dem nächsten Song auch gleich die nächste Erlebnisreise auf einen zu. Dabei bleibt es fast unbemerkt, mit welcher kompositorischen Qualität sie zu Werke gehen, da die Spielfreude dem kompletten Album eine Jugendlichkeit verleiht, die genreübergreifend funktioniert. Sieben Songs benötigen sie, um eine Album-Spieldauer von über 36 Minuten zu erreichen. Und wir möchten keine Minute dieses Albums vermissen, denn mit „Nearly Faded“ legen NËST ein außergewöhnliches und sehr gelungenes Debut-Album mit einer ungewöhnlichen Instrumentierung vor.

Wir haben uns mit NËST über die Entstehung ihres Debut-Albums, ihre weiteren Planungen und die Musikszene in Bremen unterhalten:

Ihr habt mit „Nearly Faded“ den ersten Song Eures Debut-Albums als Video herausgebracht. Musikalisch höre ich darin Post-Rock-Elemente sowie Jazz-Elemente in einem Mix, den ich bislang so noch nicht gehört habe. Seht Ihr Euch eher in der Jazz-Ecke oder in der Rock-Ecke?

Wir sehen uns wohl am ehesten in der glücklichen Position der musikalischen Freiheit, eher in der Mitte des Genre-Kreises. Auf dem aktuellen Album entstanden über die Hälfte der Songs zwar in einem eher smooth-jazzigen Kontext, wurden dann aber im Rahmen der Produktion nochmal  aufgedreht, angerockt und durch schräge Gehirnwindungen gejagd. Dies war weder gewollt, noch geplant. Es ergab sich einfach. Wir wollen uns ganz bewusst alle Wege freihalten und uns nicht an ein spezifisches Genre binden. So können wir unseren Freiraum schützen. Unsere Musik ist primär das Ergebnis dessen, was sich gerade ergibt. Es kann auch gut passieren, dass wir die Songs mal in einer eher jazzigen, ruhigen Auslegung spielen und beim nächsten Gig das Pedal voll durchtreten.

Von welchen 10 Künstlern würdet ihr sagen, dass sie Euch beeinflusst haben?

Im Bezug zu unsere aktuellen Musik schaut man natürlich schon mal zu den Großen in der modernen Pianoszene rüber. E.S.T., Tingvall Trio,Michael Wollny, Ludovico Einaudi & Chilly Gonzales sind hier häufiger mal auf Rotation.

Als Musiker zogen wir unsere Inspirationen, bedingt durch unseren unterschiedlichen musikalischen Background, aus den verschiedensten Ecken. Sören hat seine Base eher in Soul, Funk und Ska, Matt kommt aus dem Metal und Lars aus der Alternative & Punk Ecke. Da ist von Lauril Aitken über Gojira bis John Zorn alles vertreten. Einen großen Einfluss auf unseren Sound hat aber auch die Tatsache, wie wir in der Vergangenheit Musik gemacht haben. Sören und Matt kommen aus einem eher kompositorischen Umfeld, Lars war meist auf offenen Sessions zu finden. Und so gestaltet sich dann auch Einfluss entsprechend der Leuten, mit denen man mal gezockt hat. Und da ist vom klassischen Musikprofessor bis zum Jazz-Rock Hippie alles vertreten. Zu viele, um sie an dieser Stelle zu nennen. Aber großen Dank an alle.

 Wie kann man sich den Entstehungsprozess eines Songs bei Euch vorstellen?

Die Grundkompositionen entstehen meist auf Session-Basis. Irgendwo sein und Musik machen. Mal kollektiv im Proberaum oder unterwegs, mal durch die Köpfe Einzelner. Danach arbeiten wir die Songs in unserer kleinen Butze daheim am Rechner aus. Wir lassen die Produktion immer „im Haus“ und ziehen alles DIY durch. Für dieses Album hat Lars die Produktion und Gestaltung übernommen und in vier Schritten gearbeitet. Im ersten Schritt arrangierten wir die Tracks grob und erschlossenen uns so erste Eindrücke zur Stimmung und den möglichen Grooves des Songs. Dadurch ergab sich dann auch ein Gesamteindruck der Lieder als großes Ganzes, wodurch z.B. die Trackreihenfolge, als auch die visuellen Grundlagen geschaffen werden konnten. Es entwickelte sich eine Art Grundhaltung zum Projekt. Anschließend wanderten die Idee dann in den Rekorder. Hier begannen wir anhand des Arrangements mit den Drums und erarbeiteten dann die Bass- und Pianospuren aufbauend zum Grundskelett. In diesem Punkt entstanden häufig noch gravierende instrumentale Veränderungen zum ursprünglichen Arrangement. Wir wollen und können, bedingt durch unsere produktive Unabhängigkeit und die dadurch zur Verfügung stehende Zeit, die Chancen & Möglichkeiten des Experimentierens voll ausnutzen. Dabei geht es uns nicht um eine möglichst progressive und vertrackte Spielweisen, sondern um Songdienlichkeit und Flow. Sobald alle Instrumente im Kasten waren, wanderte das ganze Projekt mit fertiger Tracklist in den Mix, wo wir dann nochmal ggf. einige Samples und Loops einpflegten.Sobald dann der Mix erledigt war, ging es im Proberaum an die Liveumsetzung. Wie sich dieser Prozess in Zukunft gestalten wird ist aber offen. Gut möglich, dass wir uns eines schönen Tages auch mal irgendwo einschließen und alles in OneTakes, gemeinsam direkt aus der Session heraus, einspielen.

 

„Wir möchten einfach zusammen Musik machen. Das treibt uns an.“ NËST

 

Ihr verzichtet auf gängige Songstrukturen. Was treibt Euch beim Komponieren an?

Bedingt durch den Fakt, dass wir keine Texte haben, gestaltet sich der Inhalt der Songs schlussendlich eher im Kopf der Hörenden. In der Komposition war es uns daher wichtig, zuerst unser Song-Szenario, bzw. unsere Gedankenwelt zu Allem musikalisch zu zeichnen, und ab diesem Moment dem Hörenden zu überlassen, der dann dieses Bild für sich interpretieren kann. Wir möchten, dass die Zuhörer und wir sich mit den Gedanken zur Musik auseinandersetzen können. Und wenn dafür bei Zeiten ein abweichendes Muster zu INTRO-A-B-A-B-C-B-B-ENDE nötig ist, dann ist das so. Kommt aber auch mal vor, dass wir uns mit dem Arrangement im klassischen Piano Pop Bereich bewegen. Da legen wir uns nicht fest. Wir folgen nicht dem Anspruch, Musik für Musiker zu machen. Ebenso wenig geht es darum, die Musik so zugänglich wie möglich zu halten. Wir möchten einfach zusammen Musik machen. Das treibt uns an.

Ich finde, dass sich Eure Musik auch sehr gut als Filmmusik eigenen würde. Für welchen Film hättet Ihr gerne die Filmmusik gemacht?

Oh, da gäbe es Einige. Terrence Malick oder Gaspar Noe Filme würden schon flashen. Das ist aber natürlich Wunschdenken. Es wäre dennoch super, wenn sich eines Tages mal die Chance für eine Filmkooperation ergeben würde. Also, liebe Filmschaffend- let´s go! Bis dahin kann jeder seinen eigenen Film zu unserer Musik abspielen.

 Im Soundgefüge könnte man sich auch hier und da eine Erweiterung durch beispielsweise eine Gitarre oder Trompete vorstellen. Seht ihr Euch als eingeschworenes Trio oder könnt Ihr Euch auch vorstellen die Band künftig zu erweitern?

Erweitern werden wir unser Trio in der Grundkonstellation eher nicht. Im Moment kommen wir so sehr gut durch den Tag. Allerdings ist es denkbar, dass wir für einzelne Songs oder Projekte mal jemanden einladen, um an der Sache mitzuwirken. Unsere Haltung ist es, befreit Musik zu machen. Und sofern wir uns nur dann befreit fühlen, wenn jemand mit dem Saxofon oder einem Glockenspiel seinen Teil dazu beiträgt, dann ab dafür. Wir haben auch noch einen großen Berg verschiedenster Instrumente in unseren Reihen, die bisher noch nicht für zum Einsatz kamen. Mal sehen. Vielleicht machen wir ja eines Tages auch mal ´ne Rave Platte mit Querflöte und dadaistischen Raptexten.

 Wenn Ihr Euch einen Gastmusiker frei auswählen dürftet, wen würdet ihr Auswählen und warum?

Wir sind immer offen für Inspiration und Kooperation. Ob das jetzt Frank Zappa (gewesen) wäre oder Marion Mustermann ist eigentlich egal. Solange man sich eingrooven kann, kommt immer irgendwas heraus das Bock macht. Für viele unserer persönlichen Wunschgäste müssten wir allerdings einige Gräber öffnen und Tote erwecken.

Wie seht ihr die Bremer Musikszene? Habt Ihr  Bands mit denen ihr netzwerkt oder gar gegenseitig musikalisch beeinflusst?

Bremen und das Umland bietet eine wahnsinnig interessante, abwechslungsreiche und kreative (Musik)Kulturlandschaft. Es gibt viele innovative Köpfe in unserer Region. Bedingt durch die Tatsache, dass wir als Band noch sehr frisch „am Markt“ sind, müssen wir uns erst in die Netzwerke einklinken, bzw. neue erschließen. An erster Stelle sollte aber natürlich immer der generelle gegenseitige Support an sich stehen. Wichtig ist, dass jeder kreative Gedanke auch seinen Weg nach draußen finden sollte. Wenn wir diesen Pfad als Band oder Personen supporten können, dann immer gerne. Es ist wichtig, dass eine kollektive Haltung zur Sache, überhalb jeglichen Genres, besteht. Grüße gehen an dieser Stelle raus an Mörser, Stun, Rhonda, Velvetone, Rausz, Jakob Heymann und alle die anderen Künstler, Veranstalter & Bands, denen wir im Laufe unserer Zeit begegnen durften und begegnen werden. Big up! Support your local … .

 

„Natürlich könnten wir durch „Externe“ die Qualität anheben und bessere Möglichkeiten nutzen, müssten dafür aber Teile unserer Freiheit aufgeben.“ NËST

 

 Ihr habt Eure Musik und Video selbst im Stile einer D.I.Y.-Band selbst produziert.  Wird darauf weiter Euer Fokus liegen oder soll es mit dem neuen Album auch auf große Livetour gehen?

Der Fokus auf DIY soll bleiben. Die Tatsache, immer frei und unabhängig arbeiten zu können, ist unser größtes Gut als Band. Da wir die Möglichkeiten haben, musikalisch und visuell auf eigenem Grund wandern zu können, nehmen wir gerne den holprigen Pfad und verzichten auf die Annehmlichkeiten einer Reiseleitung. Natürlich könnten wir durch „Externe“ die Qualität anheben und bessere Möglichkeiten nutzen, müssten dafür aber Teile unserer Freiheit aufgeben. Die einzige Ausnahme bildet aktuell Friedel Muders mit seinem Label Fuego. Friedel ist in seiner Haltung aber ganz bei uns, lässt uns machen und supportet unsere Visionen. Ein Zustand, für den wir uns unglaublich dankbar schätzen. Für mögliche Konzerte wird die Zeit zeigen, was sich aus dieser Haltung heraus ergibt. Aber natürlich möchten wir viel live spielen. Und ebenso wollen wir uns vor den Ideen und Visionen anderer Menschen nicht verschließen. Wichtig ist schlussendlich, dass es menschlich passt und man das gleiche Ziel verfolgt. Wir werden aber nicht zu Gunsten häufigerer Konzerte unsere Ideale vernachlässigen. Der Rest muss und wird sich entwickeln. DIY schließt ja die Möglichkeit einer Tour nicht aus. Es wird nur eben nicht einfacher.

 Arbeitet Ihr schon am nächsten Album? Wenn ja: wird die Musik in etwa gleich bleiben, oder wollt Ihr auf jedem Album anders klingen?

 Wir sind eigentlich immer in Rotation mit neuen Ideen. Ein neues Projekt im System ist bereits angelegt. Allerdings noch in einer frühen Phase seiner Entwicklung. Es gibt grobe Ideen darüber, wohin die Reise gehen kann. Allerdings hat die Vergangenheit gezeigt, dass oftmals alles anders kommt als erdacht. Darauf freuen wir uns. Den definitiven Willen, am bestehenden Sound festzuhalten, gibt es nicht. Ebenso ist es nicht die unabdingbare Realität, dass alles anders sein muss. Uns ist wichtig, dass es irgendwann ist. Wir sind in erster Linie froh, gemeinsam als Freunde  Musik machen zu können. Der Rest ist sekundär und  immer ein Ergebnis, – kein Plan.

NËST findet Ihr unter www.nest-band.de und unter www.facebook.com/nestbandofficial. Mehr Infos über das Album findet Ihr demnächst auch bei ihrem Label FUEGO unter www.fuego.de.

 Am 15.06.2018 werden NËST in der Wassermühle in Barrien ihr Live-Debut geben.


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