ARTERIALS – Constructive Summer, Gunner Rec 2018
Arterials aus Hamburg begeistern mit ihrem Debütalbum "sniffling Indie Kids" und gestandene Punkrocker gleichermaßen.

Mal ehrlich, werte Leser von HB-People.de, wenn Ihr den Begriff EMO, dieser weinerlichen, vor Weltschmerz triefenden Musik (kotz – aber lest weiter) hört, woran denkt Ihr dann? Etwa an Schachmuster Vans- und Skinnyjeanstragende Jungs, mit gefärbten Haaren und geschminkten Augen, die traurig, mit Hello Kitty Stickern beklebten Taschen, in die Gegend glotzen und sich maximal auf das nächste (beschissene) Album von My Chemical Romance „freuen“?
Oder denkt Ihr, wie ich, an eine Zeit, Mitte/Ende der 90er und die frühen 2000er, als Bands wie Texas is the Reason, Jawbreaker, Mineral oder die zehnteilige Samplerreihe The Emo Diary’s einen Sound prägten, der irgendwo zwischen Pop und Punk, Melancholie und Aufbruch, einer gesunden Härte und Sanftheit lag und einen Soundtrack für den Sommer lieferte? Denkt Ihr an Victory Records, Dischord und später an Vagrant?
Ist EMO – ein beschissener Begriff, der diese vielfältige Musik kaum widerspiegeln vermag – für Euch, ohne das früher obligatorische CORE, nicht vorstellbar, zeigt dieser Zusatz, wo diese Musik ihren Ursprung hatte, nämlich im, zu einer Machoveranstaltung verkommenden Hardcoreszene, bei der es nicht mehr um Wut und Aufbegehren ging, sondern die eigene Männlichkeit in den Vordergrund stellte. Die Kids waren eben nicht mehr United. Wer sich dauerhaft ausgeschlossen fühlt, nimmt die guten Werten mit und startet etwas Neues. Als Reaktion auf etwas schon damals Überholtes.
Zwischen diesen beiden Extremen, selbstmitleidiges Geheule von jungen Leuten und einer beknackten Prollkultur, lag für mich immer der Zauber dieser Musik. Schon melancholisch und nachdenklich, aber eben nicht selbstmitleidig. Aber auch fern ab von einem blöden Männlichkeitsgehabe, mit falschen Statussymbolen.
Wenn Ihr eine ähnliche Vorstellung habt (oder Euch überhaupt vorstellen könnt, was ich sagen will), dann, aber nicht nur dann, seid Ihr bei ARTERIALS an der richtigen Stelle! Eigentlich ist bei ARTERIALS jeder gut beraten, der auf melodiösen…, ja was eigentlich? Im weitesten Sinne Punk, würde ich sagen, steht. Jedoch trifft es Punk nicht auf den Punkt. Auf dem Album Constructive Summer steckt für jeden Geschmack die richtige Zutat drin.
Emo hatte stets die Eigenschaft, trotz der oft düsteren, nachdenklichen oder gar traurigen Weltanschauungen in den Texten, eine Sommer-, Sonne-, gute Laune-Musik zu sein. Oftmals lag es an den melodiösen Gesangsharmonien, die sich nicht selten mit lauten, störenden, verzweifelten Gebrüll abwechselten. Die Musik kann in einem Moment verträumt schön sein, nur um in nächsten Augenblick einen krachenden Ausbruch zu wagen. Dieser Sound kriegt mich seit meinen frühen 20ern, wickelt mich um den Finger, schmeichelt mir und lässt mich beglückt zurück. Aber nur, wenn es gut gemacht ist. Perfekt gemacht ist! Wie bei ARTERIALS.
Genau zwischen diesen, mir kommt es manchmal vor, als ob sich Härte und Melodie mittlerweile ausschließen, Gegensätze bewegen sich ARTERIALS, die unter anderem aus der Band No Weather Talks hervorgegangen sind. Weder die lauten Passagen werden auf die Spitze getrieben, noch die ruhigeren Momente völlig in gefälligen Pop aufgelöst. Laut/Leise beweist eine Ausgewogenheit, die Constructive Summer äußerst hörbar macht.
Durch einen simplen Trick klingt Constructive Summer*, wie aus einem Guss. Auf kurze Pausen zwischen den Stücken wird schlichtweg verzichtet Der Schlussakkord des einen Songs ist der Startschuss für den Nächsten.
Sowieso der Albumtitel*: Angelehnt an The Hold Steadys Übersong vom Album Stay Positiv, mit der Zeile, „let this be our anual reminder, we can all be somthing bigger!“ Genau dieser Umstand trifft auf das Album von ARTERIALS zu. Der Glaube an gute Musik, einer guten Zeit, daran, dass es vorwärtsgeht, auch wenn es manchmal scheiße sein kann.
Vielleicht die wichtigste Punkplatte des Jahres. Ganz sicher aber, die wichtigste Platte aus diesem Genre, aus diesem Land, seit SOULMATES Revolving! Und das will was heißen! Bäm, mehr Kompliment geht nicht. Nicht bei mir jedenfalls.
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