„Sehnsucht, Liebe und Exzess“ – Milliarden im Interview

Morgen veröffentlichen Milliarden ihr neues Album „Schuldig“ und treten abends im Bremer Club100 auf.

Foto: Christoph Voy

Berlin/Bremen. Nach einigen Singles in den letzten Monaten, erscheint an diesem Freitag das dritte Studioalbum der Berliner Rockband Milliarden. Um aktuell nicht auf das Live-Gefühl zu verzichten und die neuen Songs auf die Bühne zu bringen, gibt es abends ein Release-Konzert – und das sogar in Bremen! Im neuen Club100 im Pier2 findet das erste Konzert statt, für das es online natürlich auch kurzfristig noch Tickets gibt. Wir haben mit Johannes Aue via Zoom über den ungewöhnlichen Entstehungsprozess, den Albumtitel „Schuldig“ und die kommende Plexiglas-Tour gesprochen.

Nach 2,5 Jahren veröffentlicht ihr Freitag euer drittes Album „Schuldig“. Wie beschreibst du das Album – für sich alleine stehend, aber auch im Kontext der anderen beiden Platten?

Das Album ist ein weiterer Schritt in die musikalisch richtige Richtung. Wir wollten im Songwriting und in der Suche eines neuen Produzenten einige Dinge anders machen, beispielsweise beim Sound nur auf uns hören und das Gefühl aus dem Proberaum in den fertigen Songs beibehalten. Es gibt einen dreckigeren Sound und das räumliche Bandgefühl bleibt spürbar. Zum anderen gibt es eine geradere Linie, was den Inhalt betrifft.

Um welche Themen geht es inhaltlich auf „Schuldig“?

Wir haben unsere eigene Weltanschauung verarbeitet. Als übergeordnetes Thema steht natürlich die Liebe und große Emotionen, die in uns herrschen. Mit Songs wie „Die Fälschungen sind echt“ beziehen wir uns außerdem auf frühere Songs wie „Betrüger“. Sehnsucht, Liebe und Exzess. Das ist es! So würde ich es beschreiben!

Der Entstehungsprozess fiel in eine von verschiedensten Krisen geprägte Zeit. Wie hat sich das im Songwriting bemerkbar gemacht?

Mit dem Songwriting haben wir schon im Herbst 2019 angefangen und in den darauffolgenden Wochen hatten wir fast alle Demos in der Pipeline. Als Live-Band rechnen wir so, dass es schön wäre, bis zum Frühjahr einer Festivalsaison ein Album zu haben, da man sonst viel weniger gebucht wird. Wir waren schnell relativ weit mit  unseren ersten Ideen und der Suche eines neuen Produzenten. Dann kam leider der erste Lockdown um die Ecke und alles, was wir bis dahin schon gemacht hatten, haben wir mit der Zeit in Frage gestellt, weil wir es nicht sofort raushauen konnten. Wenn man zu viel hinterfragt, kann eine innerliche Krise entstehen. Insgesamt war es trotzdem  nicht schlecht für uns, dass es länger gedauert hat. Es hat uns noch mehr darauf schauen lassen, was wir überhaupt sagen wollen und welche Songs auf das Album sollen. Es hat aber sehr viel Unruhe in uns hervorgerufen, weil der Arbeitsablauf von Album schreiben, auf Tour gehen usw. durchbrochen wurde.

Wie hat eure Zusammenarbeit in dieser Zeit ausgesehen?

In der Zusammenarbeit mit Ben  hat sich durch die Krise nicht viel geändert. Wir hängen jeden Tag zusammen rum und testen  uns permanent. Wir hatten zur Anfangszeit von Corona tatsächlich beide Corona und wissen bis heute nicht, wo wir uns das hergeholt haben. Ich habe immer noch daran zu zehren, der Geruchs- und Geschmackssinn ist noch nicht vollständig wieder da. Ben und ich waren also zur gleichen  Zeit krank und haben hinterher zu zweit weiter an den Songs gefeilt. Die Instrumentals von Findan, Florian und Philipp an Schlagzeug, Gitarre und Bass, also die groben Gerüste des Albums, haben wir schon letzten Winter in Berlin aufgenommen. An den Feinheiten haben wir jetzt zu zweit tatsächlich fast ein Jahr lang rumgefrickelt. Wir hoffen, das pure und reine Gefühl aus dem Proberaum jetzt möglichst echt verpackt zu haben. Ich bin gerade sehr glücklich darüber. Die neuen Songs ballen richtig und wir wollen damit so schnell wie möglich auf die Live-Bühne. Unsere Tour wurde zweimal verschoben und aktuell sind die Konzerte für das Frühjahr 2022 geplant.

„Schuldig“ ist die erste Veröffentlichung auf eurem eigenen Label „Zuckerplatte“. Warum habt ihr euch für diesen Schritt entschieden?

Die ersten beiden Alben haben wir in Hamburg mit einem tollen Produzenten und zusammen mit Universal herausgebracht. Nach einem Belegschaftswechsel sind die Leute gegangen, mit denen wir zusammengearbeitet haben. Mit den neuen Leuten hat es nicht ganz gefunkt. Es gab kein böses Blut, aber die Trennung nach einigen Jahren gemeinsamer Arbeit war für beide Seiten nachvollziehbar und in Ordnung. Danach haben wir erstmal die Songs für unser neues Album geschrieben und schließlich stellte sich die Frage, ob wir zu einem neuen Label oder es selber probieren möchten. Wir haben ein tolles Booking, einen super Manager und viele liebe Leute um uns herum, sodass wir die Entscheidung getroffen haben, selbst ein Label zu gründen.

Plant ihr, auch Alben anderer Künstler auf eurem Label zu veröffentlichen?

Klar, das wollen wir auf jeden Fall tun! Aktuell sind wir natürlich noch sehr mit uns beschäftigt. Aber in freien Minuten gibt es schon die wildesten Diskussionen, welches Bandmitglied welche Band momentan geil findet oder für sich entdeckt hat und wen man gerne auf dem Label haben möchte. Gerade sind es noch Wunschgedanken und Träumereien. Aber es wird auf jeden Fall in diese Richtung gehen.

Lass uns über den Titel „Schuldig“ sprechen. Als Titel ist er vielsagend und ein Stück plakativ. Wofür steht die Schuld in diesem Kontext?

Der erste Song, unser wichtigstes und liebstes Stück auf der Platte, heißt „Schuldig sein“. Dieser Song erklärt gut, welches Gefühl da in uns abgeht. Ich will nicht zu viel erklären, weil sich beim Hören jeder eine eigene Meinung bilden kann und soll. Wichtig am Umgang mit dem Wort „Schuldig“ ist uns, dass es in diesem Fall nicht negativ behaftet ist. Es ist mehr der Wunsch und die Sehnsucht frei sagen zu können, ich bin schuld an meinem Leben, meinem Umfeld und meinem Weg, den ich noch vor mir habe. Wenn ich etwas ändern möchte, muss ich selber einen Schritt weiter gehen  und eine Tür eintreten, wie es der Song selber auch sagt. Dazu gehört alles, was das Leben schön oder traurig macht und der eigene Ansporn zu gucken, wer bin ich, wo stehe ich, was will ich vom Leben und wo will ich noch hingehen. Aber positiv! Ja, schuldig!

Freitag tretet ihr im Club100 in Bremen auf. Welche Erfahrungen habt ihr bisher mit Streaming-Konzerten gemacht?

Es ist unsere erste Show in diesem Rahmen und wir sind echt aufgeregt. Wir spielen nach langer Zeit endlich wieder live mit unserer Band. Letztes Jahr haben wir uns gegen Online-Konzerte entschieden, weil wir uns nicht danach gefühlt haben und wir dachten, jetzt ist die Zeit, kurz mal zu sich zu kommen. Wir haben erstmal abgewartet. Jetzt herrscht zu unserem Albumrelease immer noch diese Situation vor, das hätten wir vor einem Jahr niemals gedacht. Zur Veröffentlichung wollten wir natürlich etwas auf die Beine stellen. Es war uns wichtig, einen schönen Moment  und einen besonderen Raum herzustellen. In diesen Überlegungen hat uns Olli Brock, mit dem wir schon lange befreundet sind, eingeladen, unser Release im Bremer Club100 zu feiern.

Was wird deiner Meinung nach die größte Herausforderung eines Streaming-Konzerts?

Es wird sehr ungewohnt, gerade für uns als leidenschaftliche Live-Band, ohne Menschen vor der Bühne zu spielen. Niemand gibt uns so Energie zurück, die uns zusätzlich pusht. Wir machen aus der Show aber einen einmaligen Livestream und haben uns dazu entschieden, den Mitschnitt nicht permanent online stehen zu lassen. Auch wenn es digital ist, wollen wir in diesem Moment live zusammen mit den Zuschauern etwas kreieren.

Normalerweise geht es für eine Band nach dem Albumrelease relativ schnell auf Tour. Wie sehen eure nächsten Wochen aus?

Wir planen gerade ganz spontan eine Plexiglas-Tour mit 1:1-Konzerten in der kommenden Woche. Gerade bauen wir mit Freunden und Helfen wie Tischlern oder Innenarchitekten einen Van um, den wir von Prom Ride aus Berlin bekommen haben. Wir durften die Bänke und die Rückwand ausbauen und haben eine Trennwand mit einem Loch in der Mitte für eine Plexiglasscheibe eingebaut. Wir verkleiden den ganzen Innenraum auf der einen Seite zu einem Fanraum mit gemütlichem Sessel und auf der anderen Seite zu einer kleinen Bühne für Ben und mich. Dort sitzt jeweils eine Person für 15-20 Minuten. Es wird alles so getaktet, dass sich die Leute nicht begegnen und sich niemand um den Bus versammelt. Wir werden alle Corona-Regeln einhalten und versuchen, Menschen mit unseren Songs in einer Akustik-Version glücklich zu machen.

Wie können Fans bei diesen Shows dabei sein?

Wir haben einen Aufruf gestartet und noch bis Freitag können Fans bei Facebook oder Instagram kommentieren, in welcher Stadt sie wohnen und mit ein bisschen Glück ein Konzert bei uns gewinnen. Wir planen danach eine Route und fahren eine Woche lang unterschiedliche Städte ab und spielen Konzerte. Das ist für uns ein Weg, in dieser Corona-Zeit und der kalten Jahreszeit trotzdem etwas zu reißen, was uns ein kleines bisschen Tour-Feeling beschert.

Besucht einfach die Social Media-Kanäle von Milliarden, um euch noch bis Freitag für die Plexiglas-Konzerte zu bewerben.

Das Livestream-Konzert im Club100 im Pier2 findet am Freitag, 5. Februar ab 20:00 Uhr statt. Der Auftritt wird in hochwertiger Übertragungsqualität durch bis zu neun Kameras, einen Kamerakran und hochmoderne Ton- und Lichttechnik zu euch nach Hause übertragen. Tickets gibt es online für zehn Euro.

 


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