„Scheinbar hat in der Musik etwas überdauert“ – Muff Potter im Interview
Muff Potter haben uns im Sommer eines ihrer seltenen Interviews gegeben. Morgen tritt die Band im Hamburger Docks auf.

Bremen/Hamburg. Zwischen 1996 und 2009 haben Muff Potter sieben Alben veröffentlicht und sind mit ihrem Punkrock mit tiefgründigen Texten hervorgestochen. Im Dezember 2009 spielten sie ihr vorerst letztes Konzert, bevor neun Jahre später der Wunsch vieler Fans Wirklichkeit wurde. Ende August 2018 traten sie bei „Jamel rockt den Förster“ erstmals wieder in Originalbesetzung auf und verkündeten einige Tourdaten für 2019. Im Sommer hat uns Sänger Nagel auf dem Hurricane Festival ein Interview gegeben.
Vier Jahre nach eurer Gründung fand im Jahr 1997 das erste Hurricane Festival statt. Heute spielt ihr euer erstes Festival seit zehn Jahren und euer erstes Hurricane überhaupt. Habt ihr vor zehn oder 20 Jahren auch schon auf solchen Festivals gespielt?
Vor 20 Jahren auf jeden Fall nicht, vor zehn oder 15 Jahren sind wir schon auf einigen größeren Festivals aufgetreten. Einmal haben wir bei Rock am Ring gespielt und früher gab es das Berlinova, das auch relativ groß war, aber im Vergleich zum Hurricane dann wieder doch nicht. Hier ist es heute tatsächlich die späte Premiere für uns.
Ein Rock-Festival dieser Größe kann sich heute nicht mehr halten, ohne sich dem Mainstream zu öffnen – anders als vor zehn oder 15 Jahren. Wie siehst du diese Entwicklung? Nimmst du sie ähnlich wahr?
Das ist ein schöner Euphemismus, »sich dem Mainstream öffnen«. Das hier ist natürlich der Mainstream schlechthin! Geöffnet haben sich solche Festivals schon früher.
Liegt es an der Zielgruppe? Warum gelingt es den „alten“ Bands nicht mehr, das Festival voll zu machen?
Ich habe das Gefühl, hier sind nur alte Bands. Wir ja zum Beispiel auch. Draußen spielen gerade Idles, das ist eher die Ausnahme. Aber zum Thema Festivals fragst du den Falschen. Ich habe keine Ahnung, warum irgendwer Geld bezahlt, um auf ein großes Festival zu gehen. Das ist mir ein absolutes Rätsel, war es auch vor 20 Jahren schon. Ich möchte nicht undankbar erscheinen und wir haben wirklich Lust, hier gleich zu spielen, einfach weil es mal wieder etwas ganz anderes ist. Aber ich verstehe nicht, warum hier jemand hingeht und das Geld für eine Urlaubsreise verballert. Es ist ja nicht nur der Eintrittspreis, auch die Getränkepreise, das Essen, der Merch und wofür man hier sonst noch so Geld ausgeben kann. Die Musik wirkt da teilweise nur noch wie Hintergrundbeschallung auf dem Jahrmarkt. Wir werden es uns gleich anschauen. Wahrscheinlich werden überwiegend junge Leute vor der Bühne stehen, was ja auch cool ist. Ich frage mich da nur, warum dann Papa Roach oder Muff Potter spielen. Wo sind die jungen Bands, die spielen sollten? Das war in den Neunzigern oder Anfang der 2000er-Jahre noch anders, als generell vielleicht interessantere neue Musik herauskam, zumindest im Gitarrenrockbreich. Das Line-Up auf großen Festivals sieht heute bis auf ein paar Ausnahmen oft aus wie vor zehn, 15 Jahren.
Was müsste sich auf so einem Festival ändern, damit du selber privat hingehen würdest?
Für mich ist das einfach überhaupt nichts. Mir widerstrebt die ganze Ästhetik eines Festivals. Es widerstrebt mir, wie man da behandelt wird. Das ist teilweise wie im Securitybereich am Flughafen. Ich finde es einfach unangenehm, auch die ganze Zirkusatmosphäre. Aber das ist mein privates Ding. Ein musikalisch interessantes Programm und mehr Diversität würden sicher helfen. Aber ein Mainstream- und Kommerz-Festival muss funktionieren und es muss sich irgendwie rechnen. Dann spielen halt wieder die Toten Hosen oder Fanta Vier. Das fand ich früher schon schrecklich, und jetzt ist es der tausendeste Aufguss. Zudem sind es nur Männer, es spielen fast keine Frauen.
Fühlt ihr euch der neuen Populärmusik ein Stück weit verbunden oder hört ihr selber eher die älteren Bands von früher?
Wir werden natürlich auch älter. Es wäre jetzt gelogen, wenn ich sagen würde, dass es bei mir keine Rolle spielt. Ich bin natürlich nicht mehr genau so enthusiastisch dabei wie mit zwanzig. Vieles habe ich bereits live gesehen und vieles kommt mir bekannt vor. Das heißt, ich entdecke nicht mehr fünf neue Lieblingsbands im Jahr, sondern vielleicht eine oder zwei. Aber ich interessiere mich schon für aktuelle Musik. Die Idles da draußen, sowas interessiert mich. Aber natürlich hätte es mich genauso interessiert, mir dieses Wochenende The Cure anzuschauen, leider passt das zeitlich nicht. Das ist vielleicht meine längste Lieblingsband, die fand ich schon als Elfjähriger gut.
Ist der Hype um neue und erfolgreiche Bands heute größer und schnelllebiger, also weniger nachhaltig?
Das kann schon sein, aber ich fühle mich nicht wohl in der Rolle, darüber zu reden oder das zu beurteilen. Als wir Muff Potter 2009 aufgelöst haben, habe ich es als totale Befreiung empfunden, nichts mehr mit der Musikindustrie zu tun zu haben. Ich habe diesen ganzen Zirkus der Labels und Agenturen zuletzt als wahnsinnig dumm und oberflächlich empfunden. In den letzten Jahren habe ich natürlich immer Musik gehört und Musik gemacht. Aber ich war gerade in der ersten Zeit nach der Auflösung wirklich froh, aus diesem Zirkus raus zu sein und andere Dinge zu machen, mich aufs Schreiben zu konzentrieren – und dann auch wieder sehr viel auf Tour zu sein, auch auf Festivals, nur halt ganz anders, mit einem Buch in der Hand. In der Zwischenzeit ist es in der Musikindustrie bestimmt nicht besser geworden. Das wäre merkwürdig, denn eigentlich ist in der Zwischenzeit nichts besser geworden.
Trotzdem steht ihr jetzt für einige Konzerte wieder zusammen auf der Bühne.
Wir machen das jetzt einfach und das ist das Schöne daran, jetzt wieder mit Muff Potter zu spielen. Es ist uns alles ein bisschen angenehm egal. Wir sind nicht hier, um ein neues Album zu promoten oder irgendetwas zu verkaufen. Die Anfrage kam einfach und wir dachten, es wäre interessant, das mal wieder zu machen. Dafür haben wir unsere Shows sehr genau ausgewählt. Wir hatten sehr viele Anfragen und haben uns für acht oder neun Open Air-Auftritte diesen Sommer entschieden. Insgesamt sind das zwei lange Wochenenden und zwei einzelne Shows, einfach so aus Bock und um zu schauen, wie es sich anfühlt. Ich empfinde es als angenehm, mir über bestimmte Sachen, die ich nicht so wahnsinnig interessant finde, nicht mehr den Kopf zerbrechen zu müssen.
In den letzten zehn Jahren hat deutschsprachige Musik an Popularität gewonnen, sowohl im Mainstream als auch in der Nische. Woran liegt es deiner Meinung nach?
Das ist schwer zu sagen. Eine ganz spontane Hypothese ist, dass die Welt immer unübersichtlicher wird oder es sich für viele Leute zumindest so anfühlt. Diese globalisierte Welt könnte dafür sorgen, dass Leute sich auf kleinste gemeinsame Nennen beziehen. Natürlich auch im negativen Sinne: Religion, Nationalismus, das Landlust-Phänomen, dieses ganze Sich-zurückziehen-wollen ins Private und ins Kleine. Vielleicht spielt es da mit hinein, dass es für die Leute beruhigend sein könnte, Musik zu hören, die in der Muttersprache gesungen wird.
Ihr habt euch von Anfang an politisch geäußert und Projekte unterstützt. Jetzt ist die Politik mehr in den Mainstream eingezogen. Auf einer Veranstaltung wie dem Hurricane werden viele Ansagen gemacht. In der Masse geht das immer leichter als im eigenen Alltag. Wir bringt man diese Haltung am besten hinaus auf die Straße und ins tägliche Leben?
Zunächst einmal, indem man ein politischer Mensch ist und sich mit bestimmten Themen auseinandersetzt, die sich größtenteils gar nicht für eine kurze Ansage auf einem Festival eignen. Viele Sachen sind natürlich viel komplexer. „Ich finde die AfD doof und ihr findet die AfD auch doof – jetzt ist alles gut bei uns“ – so einfach ist es natürlich nicht. Man kann politisch viel machen und sich organisieren oder coole und wichtige Gruppen mit Arbeitsleistungen oder Geld unterstützen, Sea Watch zum Beispiel. Und natürlich: Meinung sagen. Wenn dein Onkel AfD wählen will, dann geh hin und sag ihm, warum er das lassen sollte. Viele Leute haben ja tatsächlich überhaupt keine Ahnung von Politik. Wer AfD oder CDU wählt, wählt ja ganz oft auch gegen seine eigenen Interessen, Arbeiter zum Beispiel, oder Frauen.
Wie wichtig wäre denn Politik als fester Bestandteil von populärer Musik?
Es ist natürlich nicht in erster Linie Politik, denn es geht ja nicht darum, ein Parteiprogramm zu haben. Aber interessante Musik kann natürlich immer auf das reagieren, was um die Musiker herum passiert. Es ist sogar ein Produkt dessen. Ich habe zwar schon lange keinen Songtext mehr geschrieben, aber mir als Texteschreiber geht es darum, wach zu sein, die Antennen auszufahren und zu gucken, was um mich herum los ist. Mich zu fragen: Was passiert hier gerade? Habe ich dazu etwas zu sagen?
Als ihr euch aufgelöst habt, war ich gerade 13 Jahre alt, ich habe euch erst später nach und nach entdeckt. Von vielen Fans der ersten Stunde, die jetzt in eurem Alter sind, habe ich aber gehört, sie haben das Gefühl, ihr wärt nie wirklich weg gewesen. Könnt ihr euch das erklären?
Das kann ich nicht erklären. Ich finde, wir waren sehr lange weg. Neun Jahre ist eine echt lange Zeit. Wir waren selbst völlig überrascht davon, was da passiert ist, als wir diese Tour bekanntgegeben haben. Die Konzerte waren in fünf Minuten ausverkauft und wurden teilweise hochverlegt. Später haben Freunde zu uns gesagt, das sei doch klar gewesen. Aber das stimmt nicht, es war vorher überhaupt nicht klar, es hätte auch ganz anders laufen können.
Schwer zu sagen, ob eine Band nach so langer Zeit überhaupt noch Leute interessiert.
Vor allem spielen wir jetzt vor viel mehr Leuten als auf unserer Abschiedstour. Diese Band hat offenbar an Popularität gewonnen, obwohl sie in der Zwischenzeit nicht im Radio gelaufen ist. Sie hatte auch keine wahnsinnigen Download-Zahlen oder Spotify-Plays. Klar haben wir einige wirklich große Fans von früher, aber der große Ansturm auf die Tickets war überhaupt nicht klar oder offensichtlich.
Die Riesenfans, denen es sehr viel bedeutet, machen ja nicht unbedingt die Markthalle in Hamburg voll. Warum habt ihr in den letzten zehn Jahren so an Popularität gewonnen?
Offenbar trifft diese Band einen Nerv. Scheinbar hat in der Musik etwas überdauert, was so viel Gehalt hat, dass es jetzt noch Leute berührt. So kommt es mir zumindest vor, wenn wir spielen und ich mir das Publikum anschaue. Es sind nicht nur viele Menschen, man sieht ihnen auch an, dass es ihnen viel bedeutet. Die Leute gehen ab oder sind ergriffen. Ich glaube, dass Muff Potter eine sehr eigenständige Band ist. Natürlich haben wir das Rad nicht neu erfunden und wir spielen auch keine völlig außergewöhnliche Musik. Es wird eher die Kombination aus dieser Form von Musik, Text, Auftreten und der Art und Weise sein, wie diese Band zusammenspielt. Ich kann mir vorstellen, dass es von solchen Bands momentan einfach nicht so viele gibt. Es gibt so viele perfekte langweilige Streberbands da draußen. Muff Potter kommt mir dagegen vor wie der Working-Class-Underdog Wir sind eine laute und hart arbeitende Band – eine Band, die ackert und bei der auch mal ein Ton danebengeht. Darauf bin ich irgendwo auch stolz. Es macht mir Spaß, mit den anderen zusammen zu spielen. Diese Wucht begeistert mich an meiner eigenen Band.
Wie fühlt es sich heute an, nach zehn oder sogar nach zwanzig Jahren wieder die eigenen Songs zu singen?
Es fühlt sich größtenteils gut an. Mit Sicherheit gibt es auch ein paar Songs, auf die wir keine Lust haben. Diese Songs spielen wir dann einfach nicht. Wir haben mehr als genug Auswahl. Zudem war diese Band nie wirklich groß. Wir hatte nie den einen Radiohit, den man auf eine Art als Band natürlich immer gerne hätte, weil man gehört werden möchte und Leute ansprechen will. Aber das Gute daran ist, dass wir kein Best-Of-Programm haben bzw. selbst bestimmen können, was unser Best-Of-Programm ist. Wir spielen einige frühere Singles nicht, weil wir einfach andere Songs gerade lieber spielen. Eine schreckliche Vorstellung, Status Quo zu sein und über Jahrzehnte jedesmal wieder „Rockin‘ All Over The World“ in der Zugabe bringen zu müssen.
Viele Bands auf dem Festival sind durch zwei oder drei Hits bekanntgeworden. Zu Muff Potter würden wahrscheinlich jedem drei andere Songs einfallen.
Das hat uns früher, vor allem gegen Ende, teilweise in den Wahnsinn getrieben. Ich hatte keine Lust mehr, in einer Band zu spielen, die sieben Platten hat. Du kannst nie die perfekte Setliste spielen, immer fehlt jemandem irgendwas. Aber wir wollen selbst bestimmen, was wir spielen. Ich gucke mir als Musikliebhaber auch lieber eine Band an, die meinen Lieblingssong vielleicht ausspart, bei der ich dafür aber das Gefühl habe, sie haben eine Connection zu ihrer eigenen Musik und wollen das gerade auch spielen und quälen sich nicht am Ende noch ihre drei Hits raus, um den Fans einen Gefallen zu tun.
Gibt es Songs, die für euch jetzt eine ganz andere Bedeutung haben als früher?
Es gibt manche Songs, bei denen ich überhaupt nicht damit gerechnet habe, die aber ganz plötzlich einen Bezug zur jetzigen Zeit bekommen. Einen Song wie „Das seh ich erst wenn ich‘s glaube“ haben wir damals nur ganz selten gespielt. Der ist nach dem Album schnell wieder aus dem Set geflogen. Heute frage ich mich, warum das so war. Vielleicht passt es zu deiner Frage von vorhin, weil es eine Aussage ist, die man so auf einem Festival treffen kann und die vielleicht auch bei manchen Leuten hängen bleibt. „Es gibt kein gutes Leben ohne Blasphemie“ – das ist auch ein Slogan aber nicht so plakativ wie „„Ich finde alle Nazis doof und die AfD ist auch doof“. Die Aussage aus dem Song geht vielleicht etwas weiter. Ich habe ihn damals schon als guten Song mit gutem Text wahrgenommen, aber mit der irrsinnigen Rückkehr der Religionen hat er für mich noch eine ganz andere Wucht bekommen.
Muff Potter spielen nach langer Pause ihr letztes momentan bekanntes Konzert am Samstag, den 30. November im Hamburger Docks. Es sind noch Restkarten an der Abendkasse erhältlich.
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