Heute vor 15 Jahren erschien Magic von Bruce Springsteen – Eine Wiederentdeckung

Magic von Bruce Springsteen wurde vor 15 Jahren veröffentlicht und galt zu diesem Zeitpunkt als bestes Springsteen Album seit dem berühmten Born In The U.S.A. Und tatsächlich klingt Magic heute noch genauso frisch, wie es vor 15 Jahren der Fall war.

Handelte The Rising von den Ereignissen um und der Verarbeitung nach dem 11. September, so setzt Magic sich fünf Jahre später mit den Folgen der beiden Kriegen der USA in Afghanistan und vor allem Irak auseinander. In dem überraschend rockenden „Radio Nowhere“ geht es um eine Person, die in einer apokalyptischen Welt auf der Suche nach weiteren Überlebenden ist. Inspiriert wurde das Stück von dem Cormac McCarthy Roman „Die Straße“, in dem ein Vater versucht, seinen Sohn in einer zerstörten Welt den richtigen Weg zu weisen. Da Springsteen aber ein großer Romantiker ist, vermischt er in „Radio Nowhere“ diese Thematik mit der simplen Unternehmung, auf Konzerten eine „Rock’n’Roll Verbindung zu seinem Publikum herzustellen. „I want a thousand guitars / I want pounding drums / I want a million different voices speaking in tongues”

Deutlich düsterer geht es dann schon in dem Titelstück zu. Dabei beginnt „Magic“ zunächst recht harmlos. Ein Zauberer führt seine Tricks vor, eine aus der Hand verschwundene Münze, die wieder hinter dem Ohr des Zuschauers auftaucht oder die im Ärmel versteckte Karte. Alles billige Tricks, die aber zumindest die Aufmerksamkeit von Kindern oder einfältigen Menschen erwecken. In der zweiten Strophe erhöht sich die Kompetenz des Magiers, in dem er sich angekettet aus einer Kiste im Fluss befreit. Doch nun folgt Springsteens Aufforderung, nicht alles zu glauben, was wir sehen. Genauso wie der Zauberer mit Tricks arbeitet, tun es die Politiker, um die Bevölkerung zu täuschen. Die USA sind mit falschen Behauptungen von angeblichen Massenvernichtungswaffen in den Irak eingedrungen, wo Tausende von Menschen ihr Leben verloren und (damals noch nicht absehbar) den Islamischen Staat erst erschaffen haben. Als Metapher dient in der dritten Strophe der wohl größte Trick unter Zauberern, das Zersägen der (Jung-)Frau. Die Frau, die an dieser Stelle in Stücke geteilt wird, steht stellvertretend für die amerikanische Gesellschaft, durch die bereits vor 15 Jahren ein Riss ging. Und plötzlich verschwindet der kindliche Charme aus dem Stück. Ein Feuer brennt unten an der Straße, welches näher kommt. Die Empfehlung lautet, alles liegenzulassen und nur das mitzunehmen, was gefürchtet ist. Der Grund ist nur aus Angst und Hass ziehen manche Politiker ihre Legitimation. Und das war schon lange vor Donald Trump so. Schließlich ziehen die Menschen an in Bäumen aufgeknüpfte Menschen vorbei, was einerseits die (verlorene) Freiheit symbolisiert, andererseits natürlich an den Billi Holiday Song „Strange Fruit“ erinnert.

Jedoch geht es auf dem Album bei weitem nicht nur schwermütig zu. Im Gegenteil, „I‘ll Work For Your Love“ ist ein romantischer Lovesong, in dem ein Mann schwört, für die Liebe der Kellnerin Theresa alles zu tun. „I’ll work for your love / What others may want for free / I’ll work for your love”. Auch “Girls In Their Summer Close” strotzt vor Romantik, wenn es heißt: „And the girls in their summer clothes / In the cool of the evening light / The girls in their summer clothes / Pass me by.” Und Springsteen wäre nicht Springsteen, wenn er nicht in so einem leichten Song ein paar Hinweise verstecken würde, zumindest könnten folgende Zeilen so interpretiert werden: „Frankie’s Diner’s / Over on the edge of town / Neon sign spinning round / Like a cross over the lost and found“, dann weckt das Erinnerungen an den Song „Darkness On The Edge Of Town“, als der Protagonist an eben jenen Ort steht, an dem seine Träume verloren gehen oder gefunden werden.

Vordergründig schlägt „You’ll Be Coming Down“ in eine ähnliche Richtung wie die beiden zuvor genannten Lieder. Das Stück kann durchaus als Lovesong gesehen werden, allerdings hat der Song eine weitere Ebene, die sich an das Überthema des Albums, die Auseinandersetzung mit der amerikanischen Gesellschaft, während sich das Land in zwei Kriegen befindet. Das Stück erzählt von einem Mädchen, welches dem Erzähler unrecht getan hat, und er warnt sie nun vor ihrem bevorstehenden Untergang. („What comes around goes around“) Das Stück kann jedoch auch als Metapher für den amerikanischen Traum und Idealen wie Schönheit und Reichtum interpretiert werden. Es könnte obendrein als eine Metapher für den Irakkrieg und (den damals wie heute Übertriebenen) Patriotismus stehen. Im ersten Vers bezieht sich Springsteen auf „weiße Rosen, blaue Augen und rote Morgen“ und symbolisiert damit die Farben der amerikanischen Flagge, welche zum Ende des Albums noch einmal eine warnende Bedeutung zukommen wird.

Ganz konkret um den Irakkrieg geht es auch in „Livin In The Future“. Ein Brief kommt an und ein junger Mann wird eingezogen und von seinen Lieben getrennt, für irgendeinen Krieg, den Politiker unbedingt wollten, die von der Waffenlobby bei ihrem Wahlkampf unterstützt wurden. Die Einberufung kam überraschend und die Zukunft passiert genau jetzt, selbst wenn noch nichts passiert ist, der junge Mann weiß nun, was auf ihn zukommen wird. Ironischerweise setzt der junge Mann mit einem Schiff, das auf den Namen „Liberty“ hört über, in das, was sich als Hölle herausstellen wird (und bereits in dem Song „Devils & Dust“ drei Jahre zuvor thematisiert wurde). Wie immer in einem Krieg, dies muss der junge Mann schnell feststellen, geht etwas Rechtschaffenes verloren. Aber all das ist eben noch nicht passiert. Die fröhliche Melodie mit dem prominenten Saxophonsolo will nicht so recht zu den düsteren Texten passen, aber trotzdem funktioniert das Lied gerade deswegen als etwas Hoffnungsvolles.

Einen ähnlichen Ton legt das weihnachtlich-anmutende „Your Own Worst Enemy“ an den Tag, bis „Gypsy Biker“ die gegenteilige Geschichte erzählt. Wer in den Krieg geschickt wird (und darin nicht stirbt), wird irgendwann zurück nach Hause kommen. Genau das passiert den Protagonisten in „Gypsy Biker“ und müssen sich gegenüber manchen Menschen rechtfertigen, andere heißen sie (als Helden) willkommen. Die Rückkehrer fahren mit ihren Motorrädern in die Wüste und gedenken ihren verlorenen Kameraden. „To the dead, well it don’t matter much about who’s wrong or right / You asked me that question, I didn’t get it right / You slipped into your darkness, now all that remains / Is my love for you, brother, life’s still unchanged / To them that threw you away, you ain’t nothing but gone.”

Selbst wenn die Thematiken des Krieges sich durch das gesamte Album zieht, so bilden die letzten drei Stücke auf „Magic“ die Kernstücke der Platte. Der Titel „Last To Die“ bezieht sich auf ein Zitat von Senator John Kerry auf den Vietnamkrieg im Jahr 1971. Das Zitat kommt direkt in einer Zeile des Liedes vor. „Who’ll be the last to die for a mistake / The last to die for a mistake.” Es ist gut möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich, dass Springsteen hier eine direkte Verbindung zwischen den (Fehler, des) Vietnamkrieges und dem (Fehler, des) Irakkrieges besteht. Das Stück ist (abermals, dem Stück „Devils & Dusts nicht unähnlich) ist aus der Sicht eines Soldaten geschrieben, der auf den Krieg (und den Tod) blickt.

Vielleicht dieser, vielleicht ein anderer Soldat kehrt in seine Heimatstadt (und -Land) zurück und findet diese(s) in einem ihm unbekannten Zustand. Die Zeiten nach dem 11. September hat das Land verändert und einen Riss durch die Gesellschaft gezogen. Es gibt allerdings Werte, für die (das gute) Amerika steh(t)en. Amerika ist noch immer das Land der Freien, indem jede:r eine Chance erhält. So zumindest die romantische Vorstellung, die zwar meilenweit entfernt von der Realität ist, aber dennoch immer wieder in Erinnerung gerufen werden muss, weil es Werte sind, die es zu verteidigen gilt. Werte, die den Unterschied machen. „Everybody has a reason to begin again / My father said, „Son, we’re lucky in this town / It’s a beautiful place to be born / It just wraps its arms around you / Nobody crowds you, and nobody goes it alone“ / „Your flag flying over the courthouse / Means certain things are set in stone / Who we are, what we’ll do and what we won’t“.”

Schließlich kommen dem Soldaten in „Devils Arcade“ die Erinnerungen an den Krieg zurück, die langsamen Pokerspiele mit dem Leutnant, der Tod, die Waffen und diese drückende Wüstenhitze. Auf einmal ist all das wieder präsent, auch das Gefühl des Vermissens einer geliebten Person. Hiermit endet das offizielle Album.

Bis heute gehört „Magic“ sicherlich zu den erwachsensten und besten Alben von Bruce Springsteen. Die Musik ist ausgewogen und pendelt zwischen E-Street-Band Rock (Radio Nowhere), leichten Sommerpop (Girls In Their Summer Clothes), Mid-Tempo Rocker (Livin In The Future) und melancholischen Balladen, wie der Bonussong „Terrys Song“.

Das Lied ist Springsteens gestorbenen Leibwächter gewidmet und stellt Vergleiche von monumentalen Bauten mit eben jenen Terry her. „Well, they built the Titanic to be one of a kind / But many ships have ruled the seas / They built the Eiffel Tower to stand alone / But they could build another if they please / Taj Mahal, the pyramids of Egypt are unique, I suppose / But when they built you, brother, they broke the mold.”

 

 


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