„Die Leute reden zu wenig und kommunizieren zu viel“ – Max Richard Leßmann im Interview

Wir haben mit dem Musiker und Vierkanttretlager-Sänger über das Debütalbum seines Solo-Projektes gesprochen.

Foto: Ingo Petramer

Nordholz/Bremen. Vierkanttretlager aus Husum sind seit zehn Jahren mit ausdrucksstarkem Indie-Rock auf den deutschen Bühnen unterwegs. Nun hat Sänger Max Richard Leßmann ein Solo-Projekt gestartet, bei dem die Musik von Madsen-Sänger Sebastian Madsen beigesteuert wurde. Stilistisch bewegen sich die Songs im Swing mit Einflüssen des französischen Chansons – erstmal ungewöhnlich, aber einen Höreindruck wert! Das zwölf Songs starke Debütalbum „Liebe in Zeiten der Follower“ ist letzte Woche erschienen. Wir haben den Musiker beim Deichbrand Festival zum Interview getroffen.

Gestern hat du dein Debütalbum veröffentlicht und gerade zum ersten Mal beim Deichbrand gespielt. Wie war´s?

Es war schön und hat sehr viel Spaß gemacht. Obwohl das Album frisch erschienen ist waren viele Leute da, die von vorne bis hinten mitgesungen haben. Das hat mich sehr begeistert und beflügelt. Es war eine schöne, positive, romantische Energie in diesem Palastzelt der Liebe.

Welche Einflüsse hast du in deiner Musik? Wenn man das Album hört, verbindet man es nicht unbedingt mit Vierkanttretlager.

Ein paar Songs von Vierkanttretlager haben gewisse Querverbindungen. In „Fotoalbum“ oder unserem Peter Sarstedt-Cover „Where Do You Go To (My Lovely)” spürt man schon die Liebe für diese Art von Musik, die ein bisschen Swing und etwas Chanson enthält. Solche Musik beschäftigt und begleitet mich schon, seit ich ganz klein bin. Als ich sechs oder sieben Jahre alt war, haben meine Eltern aus dem Kino den Soundtrack zum Film über die Comedian Harmonists mitgebracht. Die Musik hat mich wahnsinnig begeistert, es war die erste Musik, die ich richtig toll fand. Dieser Schwung, diese Energie und diese Melancholie, die ich damals noch gar nicht richtig verstehen konnte, die aber so präsent war, dazu diese Lust an Sprache.

Wie merkt man das in deinen Songs?

Mein Album ist vor allem von dieser besonderen Art zu texten inspiriert. Ich mag es, Dinge auf humorvoll und trotzdem nicht unernst anzusprechen. Ein Song ist nicht zwingend ironisch, nur weil er Humor beinhaltet. Ich spiele gerne und viel mit Sprache und bin jemand, der über die Worte zur Musik kommt.

Mit Sebastian Madsen hattest du zudem einen sehr prominenten Co-Autoren.

Ich habe die Texte, Sebastian die ganze Musik geschrieben. Außerdem hat er das Album gemeinsam mit seinem Bruder produziert. Bei ihm sind es Musiker wie die Beatles, die Beach Boys oder Frank Sinatra, die ihn musikalisch schon immer sehr beeinflusst haben, auch wenn man das bis jetzt noch nicht so richtig hören konnte. Zusammen haben wir ein Ventil gefunden, diese beiden Ströme der Inspiration zu vereinen.

Dein Album heißt „Liebe in Zeiten der Follower“. Viele junge Menschen sind immer online und ständig erreichbar. Du bist selber erst Mitte Zwanzig, wie empfindest du das?

Ich bin niemand, der das grundsätzlich abwertet, ablehnt oder gar kulturpessimistisch ist. Es lässt sich mit vielen tollen und wichtigen Dingen verknüpfen. Es braucht aber immer noch ein bisschen Eingewöhnungszeit. Jede neue Entwicklung wird oft erstmal falsch genutzt, bevor es einen positiven Weg gibt, damit umzugehen. Wenn man das alles kontrolliert nutzt, kann es für so viel Schönes und Gutes genutzt werden.

Wofür sollte man es im Idealfall nutzen?

Mich stört die Negativität und vor allem die Destruktivität. Viele Leute wollen Dinge einfach kaputtschlagen und schlechtreden. Das sollte sich besser eingrooven und die Benutzer merken hoffentlich bald, dass es ihnen besser tut, wenn sie entweder konstruktiv an Sachen mitwirken, Liebe zeigen oder schweigen.

Wie hat sich das menschliche Verhältnis untereinander verändert, seitdem man immer kommunizieren kann?

Ich habe das Gefühl, viele Leute reden zu wenig und kommunizieren zu viel. Wenn man nur noch schreibt, treten viele Missverständnisse auf. Ich bin jemand, der lieber telefoniert als schreibt. Wenn mir jemand etwas wichtiges schreibt, rufe ich immer lieber zurück. Dann weiß ich, wir werden uns richtig verstehen. In dem Moment, wenn man zwei Stimmen hört, ist es eine Art der Kommunikation, auf die wir besser trainiert sind. Wir kennen uns besser aus und hören die Zwischentöne leichter. Obwohl ich es unästhetisch finde, benutze ich im Internet viele Emojis, um Farbe und Ton des Geschriebenen irgendwie zu verdeutlichen. Vielleicht benutzen wir unsere Telefone irgendwann wieder zum Telefonieren. Die Stimme ist ja etwas Schönes, mit das Schönste, das der Mensch hat.

Um auf den Albumtitel zurückzukommen, wie hat sich die Liebe in Zeiten von Social Media verändert?

Viele Dinge sind einfacher geworden, etwa Liebesbeziehungen über eine weite Distanz zu führen. Gleichzeitig ist es komplizierter, da der Kommunikationsstrom so unendlich ist. Man schreibt viel zu viel, es nutzt schneller ab und der Zauber geht verloren, wenn man sich in Phrasen verfängt. Lieber sollte man weniger schreiben und dann am Abend im Ruhe telefonieren. Das würde so manche Fernbeziehung retten.

Wie aktiv bist du selber in den sozialen Medien?

Ich nutze sie gerne, um schöne Dinge zu zeigen und natürlich auf negative Sachen aufmerksam zu machen. Ich möchte ein positives Grundgefühl vermitteln und Liebe und Kunst verteilen. Facebook benutze ich nicht nur dafür, um Fotos oder Videos von mir zu teilen, ich schreibe da lieber manchmal Gedichte oder kurze prosaische Texte. Es ist ein tolles Medium, um Leute von Anfang an auf die Reise mitzunehmen, die man als Künstler hat. Das ist auf jeden Fall mit das Positivste, das ich dem Internet abgewinnen kann. Jeder hat eine Stimme, nur manche müssen es noch lernen, diese richtig einzusetzen.

Wie geht es mit Vierkanttretlager weiter?

Wir haben dieses Jahr zehnjähriges Jubiläum und werden am 23. Dezember unser Geburtstagskonzert im Speicher in Husum spielen. Wenn wir es zeitlich hinbekommen, wird da dazu noch eine kleine Überraschung geben. Aktuell sind wir alle sehr emsig mit verschiedenen Sachen unterwegs, aber da kommt auf jeden Fall noch was.

 


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