Bremen, alte Lady

Eine Zeitreise durch sechs Alben und mehr als zwei Jahrzehnte: Kettcar sind am Sonntag im Pier2 aufgetreten.

Kettcar

Bremen. „In Städten mit Häfen haben Menschen noch Hoffnung“ – diesen Satz von Bernd Begemann zitiert Kettcar-Sänger Marcus Wiebusch regelmäßig, wenn er mit seiner Band in Bremen auftritt. Zuletzt waren die Hamburger Ende Januar 2020 im Pier2 zu Gast, kurz bevor eine Bandpause eingelegt werden sollte und eine Pandemie Konzerte sowieso unmöglich machte. Am Sonntag gab es somit den ersten Bremen-Auftritt nach mehr als vier Jahren – im Gepäck hatten Kettcar ihr frisch erschienenes, erstes Nummer-Eins-Album „Gute Laune ungerecht verteilt“ sowie Stücke aus mehr als zwei Jahrzehnten Bandgeschichte.

Kettcar sind mit Bremen und besonders mit Veranstalter Olli Brock eng und langjährig verbunden, trotz Sympathien für konkurrierende Hamburger Fußballclubs schauen sie vorher das Spiel des FC St. Pauli in dessen eigens dafür früher geöffneten Kneipe Malenchen am Sielwall. Wie später auch die Partie des SV Werder, geht das Spiel allerdings verloren, sodass sich die Freude eher auf den musikalischen Teil des Tages beschränkt. Dieser beginnt mit einem 40-minütigen Support-Set von Kochkraft durch KMA, einem recht speziellen Elektro-Punk-Quartett. Das Synthie- und Gitarren-Gewitter sowie der recht eskalative Rave-Punk passen leider nicht wirklich zum über die Jahre mit der Band gealterten Kettcar-Publikum. Somit sorgt die Band mit textlich wie musikalisch ungemütlichen, teils radikalen Tönen eher für Irritation und nur vereinzelt für Begeisterung.

Ein Highlight ist dafür die gemeinsam mit den Bremern von Team Scheisse veröffentlichte Single „Mein Hund heißt wie du“, für die Sänger Timo Warkus eigens auf die Bühne kommt. Bereits am 4. Mai dürfen Kochkraft durch KMA beim bereits ausverkauften Konzert der Bremer Punk-Gruppe im Pier2 ebenfalls eröffnen – an diesem Abend wird ihre Performance garantiert auch etwas mehr Anklang beim Publikum finden.

Kettcar eröffnen vor einem weißen Banner im Albumcover-Stil mit „Auch für mich 6. Stunde“, dem Opener des neuen Albums „Gute Laune ungerecht verteilt“. Auf dem Banner laufen teilweise Videoprojektionen, vor allem mit Szenen aus den Musikvideos, zur Untermalung der musikalischen Live-Darbietung. Die fünfköpfige Hamburger Band stellt ganz klar nicht nur ihr neuestes Werk in den Fokus, üben sich ganz im Gegenteil in völligem Understatement. Die Spitzenposition wird überhaupt nicht erwähnt, stattdessen finden sich nur fünf neue Songs auf der Setliste – ebenso viele wie vom 2002er-Debütalbum „Du und wieviel von deinen Freunden“.

Es ist eine mit Geschichten und Anekdoten gespickte Zeitreise durch alle sechs Studioalben. Klassiker wie „Money Left To Burn“, „48 Stunden“ und „Im Taxi weinen“ mischen sich mit neueren Stücken wie „Sommer 89“, „Benzin und Kartoffelchips“ und „Ankunftshalle“ – vom neuen Album werden die vier Singles gespielt, sowie das geniale „Kanye in Bayreuth“ über die moralische Frage, ob man Werk und Autor trennen kann. Kettcar sind großartige Geschichtenerzähler, in ihren Songs wie auf der Bühne. Sie vermitteln eine Haltung, ganz direkt, ohne große Show und ohne erhobenen Zeigefinger. Einfach durch großartige Texte mit lyrischer Kraft und Dringlichkeit.

Zum Intro der Zugabe „Trostbrücke Süd“ erscheint auf der Leinwand kein Video einer Busfahrt durch Hamburg, sondern es läuft ein von unserem Redakteur Pascal Faltermann aufgenommenes Video der Straßenbahnfahrt von Herdentor bis Hauptbahnhof. Wenn Kettcar an diesem Abend eine Erkenntnis mitbringen, dann dass nicht alles schlecht ist und die Fans im Pier2 die Welt trotz allem gemeinsam zu einem besseren Ort machen können.

Seht euch hier unsere Konzertfotos an:

 


Mehr Beiträge aus" Musik" zur Startseite

Bremen, alte Lady teilen auf: