Bitume – Kaputt (Rookie Records, 08.11.2019)

Gereifter Punkrock in unruhigen Zeiten: Bitume bringen mit „Kaputt“ eine Platte mit Breite und Tiefgang heraus

Die vier Oldenburger und Bremer von Bitume stehen seit nun 19 Jahren für knüppeldicken Punkrock mit schlaueren Texten und einem dicken Brett Wucht im Sound. Ähnlich wie Pascow gehören sie nicht nur zu den alten Helden des Punks, sondern zudem zu den Equipen, die ihre Fans auch bei Liebhabern anderer Rockgenres finden. Die Art des Sounds spricht aufgrund seines Drucks auch Fans von Hard Rock und Stonerrock an, ohne sich in Soli zu verlieren. Trotzdem wimmelt es nur so vor fetzigen Gitarren.

Seit Freitag, 8. November 2019, steht mit „kaputt“ nun das achte Studioalbum von Bitume bereit. Ihr Label, Rookie Records, zählt dabei zu den großen Adressen des Genres, mit Bands wie Pascow, Love A oder dem Beatsteaks-Turbostaat-Projekt „Ninamarie“. Der Albumtitel „kaputt“ klingt fatalistisch. Sänger Christian Maasland sieht jedoch die Stärken, die in der Zerstörung liegen. So ist die Dekonstruktion, die notwendige Bedingung für Neuanfang. Terminlich könnte so ein Werk nicht besser veröffentlicht werden, als am Tag vorm 30-jährigen Mauerfall.

Der Klang der vier Jungs, die ihre Musik mit etwas Unbehagen als Deutschpunk beschreiben, hat sich in den letzten Jahren verbreitert. Die absolute Geschwindigkeit und Wucht in zum Beispiel „Punkrock Motorcity“ ist immer noch vorhanden. Es wird aber durch nachdenklichere Elemente, Kinderchöre, Ska-Einflüsse, Bläser und sogar mal eine leichte erfrischende Hip-Hop-Attitüde ergänzt. So viel Altersweisheit, bei gleichzeitiger Indie-Frische, hatte Bitume noch nie und das ohne den geilen 90er-Jahre-Punkrockwumms zu verlieren. Zudem lohnt es sich bei „kaputt“ auf die Texte zu achten. Maasland schreibt die Zeilen seit zwei Dekaden. Diese Erfahrung aus den vielen Auf- und Abstiegen des Lebens kann man hören und fühlen. Im „Lied gegen mich“ fragt er, ob er es im Spiegel sei, dieser alte Mann mit grauem Bart? Ein Lied gegen den Moment, den er „retro-melancholisch“ nennt. Im Titeltrack feiern sie das kaputte Leben: „Dein Leben, es ist kaputt, es ist alles, wirklich alles ist kaputt.“ Immer wieder sind es die Fragen nach der Vergänglichkeit, die sich durch die Lieder ziehen.

Dazu wird die Weite der See in den Songs „Atlantik“, „Flieg kleine Möwe“ und „Hinfallen aufstehen“ besprochen. Die alten Männer und das Meer, ein Bild das auf dem Werk ein herrlich melancholisches Gefühl von Norddeutschland im Herbst vermittelt. Ähnlich wie bei Turbostaat kann man den rauen Wind fast spüren.

Besonders begeistern die hymnenartigen Stücke auf der Platte. Der Track „Abgesang“ ist dabei keineswegs eine Bankrotterklärung, sondern eher ein Aufruf auf die Straße zu gehen und das Heft des Handelns selbst in die Hand zu nehmen, nur melancholischer und nicht ganz so platt wie in Farin Urlaubs „Deine Schuld“. Kinderchöre bauen zum Abschluss des Liedes das Zusammenspiel der Bitume- Familienväter mit der Lebenssituation ihrer Kinder auf: Fridays for future, aber auch das Erstarken der Rechtspopulisten können Themen sein, die in den Song interpretiert werden können.

Die beiden Stücke „Kammerflimmern“ und „Atlantik“ wurden extra für das Vorgängerwerk „aku“, auf dem sich die Band ihren lauten Stücken in akustischen Unplugged-Versionen widmete, geschrieben. Auf „kaputt“ werden sie nun in der verzerrten Fassung aufgenommen.
Gerade dieser Umweg, diese etwas andere Art der Beschäftigung mit den eigenen Liedern, hat der Band gut getan. Zum einen, weil sie dem Publikum und sich selbst zeigen konnten was für gute Musiker die sind, zum anderen, weil sie damit noch einmal an musikalischer Breite gewonnen haben, was auf kaputt hör- und spürbar ist.
Titelliste:
01. LIED GEGEN MICH
02. ABGESANG
03. HINFALLEN AUFSTEHEN
04. IDYLLE AUS GLAS
05. MARATHONMANN
06. ATLANTIK
07. ZEIT VERSCHWENDEN
08. KAMMERFLIMMERN
09. KAPUTT
10. GROSCHENLOGIK
11. SCHMALER GRAT
12. AM ENDE DEIN ICH
Tourdaten:
09.11.19 Oldenburg, Updreihn an de Utfahrt Festival
13.11.19 Wilhelmshaven, KLING KLANG (+ The Clowns)
23.11.19 Bremen, Heartbreak Hotel
27.12.19 Oldenburg, DIE Flänzburch (Release Party)
24.01.19 Köln, Sonic Ballroom
25.01.19 Oberhausen
06.03.19 Hamburg, Astra Stube Musikkultur e.V.
21.03.20 Münster, Heile Welt (+ Blenden)
16.05.20 Visbeck, Rockt Festival

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