Bei aller Liebe

Ein Tourabschluss als Full-Album-Show: Muff Potter sind im Kulturzentrum Schlachthof aufgetreten.

Muff Potter im Schlachthof. Foto: pfa

Bremen. Da sind sie wieder! 13 Jahre nach dem letzten Album „Gute Aussicht“ und dem Abschiedskonzert im Dezember 2009, haben Muff Potter Ende August ihr neues Album „Bei aller Liebe“ veröffentlicht. Nachdem sie bereits im letzten Herbst im Rahmen des Club100 Open Airs in Bremen vor dem Pier2 spielten, folgte nun also die erste Clubshow nach weit mehr als einem Jahrzehnt in der Stadt. Am Samstag spielten Muff Potter den Abschluss zur Tour des Albums, auf dem sie in aktuellen Realitäten vielleicht relevanter denn je, auf jeden Fall aber textlich und musikalisch nach wie vor hochintelligent sind.

Den Abend im gut besuchten Kulturzentrum Schlachthof eröffnet die Post-Punk-Gruppe Messer aus Münster. Die Band um Sänger und Autor Hendrik Otremba erzeugt einen düsteren Sound mit prägnantem Bass und kryptischen Texten. In den letzten zehn Jahren hat die kreative Band vier Alben veröffentlicht, ein weiteres befindet sich gerade in der Produktion, sodass die Besucher*innen einen recht exklusiven Vorab-Eindruck bekommen.

Muff Potter beginnen mit dem Album-Opener „Killer“, einem für ihre Verhältnisse ruhigeren Song. Es folgt die erste Single „Ich will nicht mehr mein Sklave sein“ und schließlich „Flitter & Tand“ mit seinen markanten Gitarren-Riffs und eingängigen Drums. Sänger Thorsten Nagelschmidt bringt in diesem Song zynisch das „Weiter, immer weiter“ der Arbeitswelt auf den Punkt: „Wir sind die freisten Menschen, die wir kennen.“ Generell schafft es die Band, politische und gesellschaftliche Themen in gut gewählten Worten prägnant zu benennen. Die ersten drei Stücke sind genau die Album-Titel, insgesamt werden sogar alle zehn Songs von „Bei aller Liebe“ an diesem Abend gespielt.

Das Thema „Arbeit“ hatte Nagel vorab schon in seinem letzten Roman verarbeitet. Jetzt wird bei diesem Thema sogar zur Interaktion aufgerufen, höchst selten im Hause Muff Potter. „Niemals mehr zur Arbeit gehen“ als feierlichen Chor im grandiosen „Ein gestohlener Tag“. Zelebrierte Prokrastination als Gegenentwurf zu den zuvor angesprochenen Themen, bevor der achtminütige Song im berstenden Post-Punk-Finale wiederholend endet: „Turn on / Tune in / Drop out / Sign out / Fuck off!“

Die beiden Autoren-Kollegen als Sänger der heute auftretenden Bands singen gemeinsam „Hammerschläge, Hinterköpfe“, der Titel ist ein Zitat aus einem Roman Otrembas. Neben den zehn aktuellen Albumsongs spielen Muff Potter insgesamt neun Titel der vorherigen fünf Alben. Die Stimmung im Innenraum des Schlachthofs ist ausgelassen, bei „Gute Aussicht“ gibt es sogar erste Moshpits, die sich später wiederholen sollten. Laut bandinterner Zählung ist es das 670. Konzert für Muff Potter, eine ihrer ersten Shows spielten sie 1995 im Magazinkeller im gleichen Gebäude wie heute. Mit Bremen verbinden sie ebenfalls, dass ihre Musik in den 90er-Jahren im Studio Bremen-Nord gemastert wurde, auch ihr jetziges Werk haben sie dort aufgenommen. Zudem hat Nagel hier in der Buchte 1996 den jetzigen Muff Potter-Gitarristen Felix Gebhardt kennengelernt, der 1,5 Jahre in Bremen gewohnt hat.

Einen der wohl besten Muff Potter-Songs aller Zeiten haben sie sich für die Zugabe aufgespart. Für das erschütternde „Nottbeck City Limits“ bekommen sie für einen Song sogar Verstärkung an der Gitarre. Das neunminütige Manifest beginnt als Spoken Word-Track und beschreibt fesselnd und detailreich die Ausbeutung osteuropäischer Arbeiter*innen in der Billigfleisch-Produktion von Tönnies in Rheda-Wiederbrück, ganz in der Nähe des Kulturguts Haus Nottbeck, in dem die Band weite Teile ihres Albums geschrieben hat. Der Song ist verstörend und bewegend und der beste Beweis, wie relevant und wichtig Muff Potter auch fast 30 Jahre nach ihrer Bandgründung nach wie vor sind.

Seht euch hier unsere Konzertfotos an:

 


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