Barack Obama & Bruce Springsteen – Renegades, 2021

Zwei der bekanntesten Männer der westlichen Welt haben sich im Sommer 2021 in ein Studio gesetzt, geplaudert und das Ganze als Podcast veröffentlicht. Nun gibt es eine abgetippte Form - ein Buch - der Gespräche, von denen tatsächlich etwas gelernt werden kann.

Was ich an Springsteens Texten immer mochte, war sein unbedingter Glaube an die ursprünglichen amerikanischen Werte. Jeder Mensch ist gleich und eine gewisse Freiheit ist garantiert. Die Wirklichkeit mag anders aussehen (das ist auch ein Thema in diesem Buch – der Unterschied zwischen dem amerikanischen Ideal und der amerikanischen Wirklichkeit). Wahrscheinlich haben diese Werte, die niedergeschrieben wurden, zu keiner Zeit der Wirklichkeit standgehalten. Der Niedergang der USA als globale und alles bestimmende Weltmacht zieht sich bereits seit Jahrzehnten und beschleunigte sich nach 9/11 weiter. Politische Fehler folgten auf Fehler. Dagegen war auch Obama nicht gefeit, der zumindest wie Springsteen an universelle Werte glaubt, aber von der politischen Realität eingeholt wurde und sich angepasst hat, ja anpassen haben müssen.

In dem Springsteen Song „We Take Care Of Our Own”, welcher kurz vor der zweiten Amtszeit Obamas veröffentlicht wurde, erinnert Springsteen den Präsidenten daran, was er versprochen und einzulösen hat: “I’ve been knockin‘ on the door that holds the throne / I’ve been lookin‘ for the map that leads me home / I’ve been stumblin‘ on good hearts turned to stone / The road of good intentions has gone dry as bone,” textet Springsteen in dem Lied und spricht damit den damaligen Präsidenten (zumindest mit) an.

Jahre später sind beide Männer befreundet und nahmen im Sommer 2021 gemeinsam einen Podcast auf, in dem sie über ihre eigene (Lebens-)Geschichte, aber auch über die Lage ihres Landes sprechen. Diese Gespräche liegen nun in Buchform, angereichert mit privaten Fotos, Redemanuskripten und Songtexten vor.

Die Gespräche führen immer auf die Frage zurück, was bedeutet es, ein Amerikaner zu sein, damals wie heute. Was hält das Land zusammen, was muss besser, was muss anders werden. Immer wieder kommen die beiden auf den Vietnamkrieg und der Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre zu sprechen, aber auch Reagan, Nixon und Trump sind Teil ihrer Unterhaltung und ganz klar der Feind, weil sie das Land in ihren Augen zurück geschmissen haben. Springsteen und Obama selber stehen dabei natürlich auf der richtigen Seite der (auch zukünftigen) Geschichte. Bei aller Empathie für die beiden Männer vergessen sie aber, dass sie zu den 50% der Amerikaner sprechen, die ähnlich ticken, die eine ähnliche Biografie und einer daraus resultierenden Weltanschauung haben. Es sind die Bewohner der Küsten, die demokratischen Staaten, die Gutgebildeten und die Jungen, die mit ihren Werten und Idealen übereinstimmen. Ganz sicher aber nicht die Trumpwähler.

Dennoch bieten sich beide Männer als moralischer Kompass an. Springsteen hat dabei den Vorteil, nie politische Verantwortung getragen zu haben. Er konnte immer der Träumer, Mahner und Warner sein, während Obama Entscheidungen treffen musste, die Auswirkungen auf das gesamte Land, manchmal sogar die ganze Welt hatte. Sehr schön manifestiert sich dieser Widerspruch in der Geschichte, wie Springsteen sich vor dem Wehrdienst und damit dem Vietnamkrieg gedrückt hat und Obama in diesem Zuge versucht, Krieg im Allgemeinen zu verurteilen und gleichzeitig den Balanceakt zu vollbringen, trotzdem das Militär und seine Angehörigen zu loben. Ansonsten werden Obamas politischen Entscheidungen nie konkret angesprochen oder gar (wie noch in dem Song) kritisiert. Es kommt zu keinen Vorwürfen seitens Springsteens an den Freund, noch rechtfertig sich der Ex-Präsident.

Eine emotionale Ausnahme bildet das Kapitel „American Skin“ – in dem es um Hautfarbe und Rassismus von den 70er bis zu #BLM Bewegung geht. An dieser Stelle hinterfragt Obama sich und fragt, ob er nicht mehr hätte erreichen können, gar müssen. So richtig kann er diese Frage nicht beantworten. Beim Lesen ist aber deutlich zu spüren, wie nahe Obama dieses Thema geht und er sich eine Gesellschaft wünscht, die schon weiter ist.

Das Interessante an „Renegades“ ist, dass die Gespräche ständig und vor allem fliesend zwischen politischen und privatem wechseln. Das Private und die eigenen Lebenserfahrungen sind eben immer zu einem Teil politisch, wie Springsteens Verweigerung, sich in den Krieg schicken zu lassen. Aber auch seine Freundschaft zu dem E-Street Band Saxofonisten Clearance Clemons spielt in diese Kategorie. Beide Männer arbeiten ihre Lebensgeschichte auf, die von emotional entrückten Vätern geprägt ist. Einen Umstand, den sie bei ihren eigenen Kindern anders handhaben. Von diesem Punkt leiten die beiden ab, wie es um das Selbstverständnis von amerikanischen (westlichen) Männern bestellt ist, denen immer noch eingeredet wird, sie müssten hart sein, dürften keine Gefühle zeigen und müssen eine Attitüde an den Tag legen, sich alles nehmen zu können, was sie wollen. Prominent wurden diese Passagen bei der Veröffentlichung in dem Magazin STERN und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als Vorabdruck freigegeben, dabei handelt es sich bei diesem Kapitel eher um eins der schwächeren Abschnitte im Buch. Beide Männer geben zu verstehen, dass ihre (jeweilige) Ehefrauen sie stark geprägt haben und dass Männer keine Angst vor starken, selbstbewussten Frauen haben brauchen. Interessanter wäre es an dieser Stelle gewesen, Michelle Obama und Patti Scialfa selber zu Wort kommen zu lassen. Es wäre sicherlich interessant gewesen zu erfahren, wie die beiden Frauen über ihre Männer denken.

Ebenfalls spielt Musik in diesem Buch (und im Leben der Männer) eine große Rolle. Beide sind Fans von Listen und erstellen fortwährend welche. Die besten Songs, die größten amerikanischen Idole und Helden. Springsteen berichtet im Plauderton aus seinem Schaffen, und Obama gibt sich als großer Musikfan mit einem großen Wissen über die amerikanische Popkultur zu erkennen, der gerne unter der Dusche singt.

Wer das politische Geschehen in den USA verstehen will, erfährt in „Renegades“ in einem lockeren Plauderton eine Menge Zusammenhänge, die helfen, dieses Land besser zu verstehen. Obama bezeichnet die USA an einer Stelle als ein großes Experiment, in dem jeder Menschen, unabhängig von Hautfarbe, Religion oder Geschlecht ein Zuhause finden kann. Dieses Experiment sehen beide als bedroht an. Ihnen ist bewusst, dass die USA für viele Menschen nie der perfekte Ort war, der es hätte sein sollen. Aber beide geben nicht auf, universelle Werte und eine gemeinsame Kultur zu betonen. Dieses Buch soll Menschen vereinen, nicht nur in den USA, überall auf der Welt.

Am Ende versichern sich beide Freunde, sie hätten etwas Neues gelernt. Und das ist etwas erhabenes, wenn neue Einsichten den eigenen Horizont durch ein simples Gespräch erweitern. So erging es mir beim Lesen auch. Ich habe etwas gelernt.

 


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