Attacken, Angst und Aufmerksamkeit

Nicholas Müller liest im Tower Musikclub aus seinem Bestseller "Ich bin mal eben wieder tot" und spricht auch über Masturbationsgespräche, Morphindämmern und Hirntumor.

Nicholas Müller. Foto: pfa

Bremen. Es ist still. Sehr leise und still. Selten war es wohl so ruhig im Tower Musikclub. Es ist nicht das normale Konzert- und Partypublikum anwesend. Es wird gesessen. Rotwein gibt es aus Cola-Rum-Gläsern. Ein angestrahltes Skelett steht auf der Bühne. Ein Beamer wirft ein Bild an die Wand, daneben ein alter Schultisch. Nicholas Müller kommt auf die Bühne. Er stimmt den Song „Wände“ von Spaceman Spiff an. Er singt: „Es kämpft sich ganz gut mit gebrochenen Armen, ein gebrochener Wille schlägt dich zu Brei.“ Dann erst kommt die freundlich, leicht zurückhaltende Begrüßung des ehemaligen Sängers von Jupiter Jones, dem jetzigen Frontmann der Band von Brücken und neuerdings Buchautor.  Nicholas Müller litt und leidet unter Angst- und Panikattacken. Darüber hat er das Buch „Ich bin mal eben wieder tot“ geschrieben und wie es ist, mit der Angst zu leben.

Zehn Millionen Menschen in Deutschland leiden unter einer Angsterkrankung und Panikattacken, klärt der 36-Jährige sein Publikum auf. Wenn jemand hier im Tower Angst oder Panik habe, könne er sich an seinen „lieben“ Begleiter am Merch-Stand wenden. Aber das habe er auf seiner Lese-Tour erst zweimal erlebt. So mit Rettungswagen und Hubschrauber, sagt Müller. Es klingt, als könnte es auch ironisch gemeint sein.

Er leitet seine Lesung ein mit: „Die beinahe obligatorische Frage meiner Generation stellte Nick Hornby: »Bin ich traurig, weil ich Popmusik höre oder höre ich Popmusik, weil ich traurig bin?“ Und dann erzählt Müller viel von sich, wie ihn alle Nicki nannten, auch wenn das nicht zu seiner Figur passte. Wie es in seiner Jugend im Eifler Hof war, nachdem das Töff Töff geschlossen hatte, von Masturbationsgesprächen im Kloster. Von seiner Kindheit, vom Schulverweis.

Dann kommt er zu der „Sache“. In vier Akten erzählt und liest Müller wie seine Mutter die Diagnose Mama-Karzinom (Brustkrebs) in der Küche der Familie verkündete. Wie sie dann lebte, „so gesund wie sie sein kann“. Als noch eine Heilung im Raum stand, feierte die Familie ständig im Garten, auf der Terrase mit „Spanferkel in Dauerrotation“. Sie genossen das Leben. Dann war es die Oma, der das halbe Gesicht herunter hing. Es war kein Schlaganfall, sondern ein tischtennisballgroßer Hirntumor an nichtoperabler Stelle, woran die Großmutter verstarb. Dann wurde der Krebs bei der Mutter stärker und metastasierte in die Lunge. Müller betäubte sich mit Marihuana, seine Mutter spracht nur noch in einem Morphindämmern.

Im finalen Akt ging es um den Tod der Mutter und wie Müller davon morgens um 5 Uhr von seinem Vater erfuhr. Es folgten die Trauerfeier, die erste Panikattacke, das Krankenhaus. Mit heftigen Worten, deutlichen Schilderungen und genauen Beschreibungen geht der Musiker auf seine Attacken und Ängste ein. Pause.

Nach der Unterbrechung singt Müller den Song „Skinny Love“ von Bon Iver. Und er sing: „And I told you to be patient. And I told you to be fine. And I told you to be balanced. And I told you to be kind.“

Zwischen den bedrückenden Schilderungen und den depressiven Worten macht Müller immer wieder Hoffnung. Er sagt: „Die Angst ist irgendwann genervt, wenn sie nicht mehr die Aufmerksamkeit bekommt, die sie gerne hätte.“ Er spricht über  Genusstherapie und wie die Menschen und er selbst verlernt haben, zu genießen und im Moment zu leben. Er geht auf seine Therapie ein, auf Körper- und Emotionstherapie, auf einen Stuhlkreis, seine Schuldgefühle und seine Tränen. Die Klinik wird bei ihm zum Zauberberg.

Zum Abschluss stellt er sich vor den Bühne und singt ohne Mikrophon den Song „Trusty and true“ von Damien Rice. Ein Song, mit dem er vor allem verbindet, dass man sich selbst lieben sollte. Auch wenn da die Angst ist.


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