What the Musikrezension nochmal?

Über Musik lässt sich streiten – über die Rezensenten aber auch! Nachdem das Musikmagazin INTRO ihr baldiges Ende bekanntgegeben hat, stellt sich die Frage: Was wird uns fehlen?

So hilfreich Musikrezensionen bei der Kaufauswahl des nächsten Albums sein können, so umstritten sind sie auch häufig bei den betroffenen Musikern. Gerade ist auf slate.com zu diesem Thema der Artikel „When Critics Could Kill“ erschienen. Der Artikel setzt sich mit Rezensionen mit einem Ranking von „0.0“ des Musikmagazins und Meinungsgiganten Pitchfork und deren Auswirkungen auseinander. Getroffen hat es  dabei relevante Künstler wie beispielsweise Liz Phair, Sonic Youth, Jet, Trav Morrison (The Dismemberment Plan), Robert Pollard (Guided By Voices) und hoffnungsvolle Newcomer wie beispielsweise Black Kids gleichermaßen. Nachgefragt bei den von dem Verriss geplagten Künstlern, reagierten diese sehr unterschiedlich auf die Interviewanfrage. Während Thurston Moore (Sonic Youth) eher gelassen mit Worten wie „modern internet humiliation stories“ reagierte, hielt Morrison seine Schützende Künstlerhand über das von Liz Phair veröffentlichte “Schundstück” und gab sich immer noch sehr angefressen über die im Jahre 2004 veröffentlichte Rezension seines Soloalbums. Bei Newcomern können solche negativen Rezensionen jedoch auch weitreichendere Auswirkungen haben. Wie schwer die Rezension von Pitchfork im Falle der Band Black Kids für das rasche Ende der Band ausschlaggebend war, ist rein spekulativ.

Doch auch die Intro hat sich diesbezüglich nicht zurück gehalten. So schrieb Dirk Siepe beispielsweise über das richtungsweisende Album  „Watch Out!“ der Band Alexis On Fire:

„Ganz eklatant treten die Defizite von Alexisonfire beim balladesk begonnenen „It Was Fear Of Myself That Made Me Odd“ zutage. Spätestens hier wird deutlich, dass auch der Schlagzeuger nicht in der Lage ist, den orientierungslosen Haufen zusammenzuhalten. Hier werden Hardcore-, Metal- und alle möglichen Rock-Fragmente ansatzlos miteinander verbunden und mit dem Vorschlaghammer in Form gepresst. Doch mehr noch als das Stückwerk-Songwriting nervt auf Dauer die unoriginelle, streng jambische Vokalakrobatik.“

Über das wahrscheinlich beste Album der Hamburger Band Modulok, die sich in Hörweite von hiesigen Underground-Größen wie Sometree tummeln, hieß es in der Intro beispielsweise:

„Terrified Of Heights“ ist bestenfalls der Duplo-Express, der sich müde schnaufend durch das Legoland schiebt. Hier wird im Kleinen nachgebaut, was bei anderen einst eine große Vision war. Und dann überfährt diese Trantüte von einem Schaffner mitten auf freier Strecke auch noch die ersten beiden Silben der in Anspruch genommenen Genrebezeichnung Indie-Rock, um die vielen breitbeinigen Balladen nicht aus dem Tritt zu bringen“.

Auf Nachfrage von hb-people.de ob diese Rezension der Band geschadet hat, weicht Malte Stock von Modulok mehr oder weniger mit der Aussage aus „Ich lese schon lange keine Musikmagazine mehr, ich klicke mich vielmehr so durchs Netz über Labelseiten etc., wo die Musik ja eher kompromisslos abgejubelt wird und davon lasse ich mich viel eher anstecken“.

 

Doch was reitet eigentlich Rezensenten sich derart negativ über das künstlerische Schaffen öffentlich zu echauffieren?

 

Bei großen Musikmagazinen wird es hoffentlich einzig und allein der eigene musikjournalistische Anspruch sein, der Bewertungen wie „0.0“ notwendig erscheinen lassen. Häufig fällt in diesem Zusammenhang auch die Aussage, dass es sich große Musikmagazine nicht leisten können, Alben relevanter Künstler einfach nicht zu besprechen, da eine gewisse „Vollständigkeit“ sowohl von der Leserschaft als auch von den Plattenlabels erwartet wird, die meist die zu rezensierenden Alben kostenlos zur Verfügung stellen. Musiker und Fans lassen solche Rezensionen jedoch häufig ratlos und verärgert zurück. Als ich selbst über ein Album meiner Band Sätze wie „Die Platte bis zum Ende durchzuhören ist eine Qual, man möchte Goerlich immer zurufen ´Halt doch endlich die Klappe´“ gelesen habe, stellten sich mir die Fragen:

 

Wozu sind Rezensionen eigentlich da? Und warum schreibt jemand überhaupt über etwas, was ihn offensichtlich nicht erreicht oder gar egal ist?

 

Damals recherchierte ich sogar ob die Rezensenten selbst Musiker sind und falls ja, wie die denn so klingen. Nicht um zu einer Retourkutsche auszuholen, sondern weil es mich einfach interessierte, wo ein Rezensent die Motivation herholt. Irgendwann habe ich mich auch bei Negativrezensionen andere Künstler für die Künstler und die Schreiberlinge gleichermaßen interessiert. Dabei hatte ich für mich vier Stereotypen ausgemacht:

 

Der Freigeist

Der Freigeist hat alle Freiheiten über Musik zu schreiben. Er überlässt es gerne auch mal komplett seinem Musikgeschmack, ein eigentlich gut gemachtes Album mit „0.0“ zu bewerten, da der Musikdienstleister sich unterstanden hat, an seinem Durst nach dem neuen Sommerhit vorbei zu komponieren. Auf Konzerten sagt er auch gerne Sätze wie „War mir immer klar, dass das eine große Band wird, habe ich schon vor 8 Jahren drüber geschrieben“. Er verschweigt allerdings, dass er sie damals in Grund und Boden rezensiert hat, da er um seine Schwäche „morgens mit dem falschen Bein“ aufzustehen weiß. Positiv: er ändert seine Meinung stetig und man kann an seinen Rezensionen seinen aktuellen eigenen Zufriedenheitsstatus rauslesen.

 

Der Alleskenner

Er kennt einfach Alles. Bekommt er ein Album auf den Tisch sucht er sich sofort eine oder mehrere Referenzwerke, mit denen er dann das vorliegende Album vergleicht. Er erkennt in der Regel sehr schnell, welcher Band der vorliegende Künstler nacheifert und an welchen Stellen es mit der Umsetzung gehapert hat. Ob der Künstler sich mit der von ihm erkannten Referenz identifizieren kann oder nicht, ist ihm egal, denn wenn der Künstler das anders sieht, dann kennt er halt einfach nicht genug, nicht einmal die Idole seines von ihm auserkorenen Genres.

 

Der Trendsetter

Der Trendsetter erkennt sofort ob das Werk des Künstlers „oben“ mitspielen kann. Er hat in der Regel sehr gute Kontakte zu „Entscheidern der Musikindustrie“ und weiß genau, auf welchem Feld in nächster Zukunft das Gras wächst und wo nicht. Er sieht ein Album als Modeprodukt und fühlt sich von allem gelangweilt, was nicht „die Farben der Saison“ beachtet. Er sieht sich dabei gerne als „Retter der Musik“, denn er leistet einen wichtigen Beitrag, dass Musik nicht stagniert, sondern sich stetig weiterentwickelt. Wer bei Aussagen wie „Gitarrenmusik hat keine Zukunft“ keinen Beifall klatscht, gehört natürlich zu den Ewiggestrigen.

 

Der Schleifer

Der Schleifer ist in der Regel selbst Musiker und stürzt sich in Themen wie „Komposition“ und „musikalisches Handwerk“. Bei ihm hat man häufig den Eindruck, dass seine Rezension nicht an den Musikhörer, sondern vielmehr an die Band direkt adressiert ist. Dabei wird gerne Ausdrucksstärke mit musikalischer Unzulänglichkeit verwechselt. Über die „Haltung einer Band“ hat er sich meist noch nie Gedanken gemacht, schließlich kommt dieses Thema auch im  „Peter Busch“-Gitarrenbuch nicht vor. Recherchiert man die Werke seines musikalischen Schaffens, stößt man meist auf schulbuchmäßiges Gemucke ohne eigene Identität oder er verliert sich ganz selbstironisch in „der schlechtesten Band X der Stadt Y“, bei der das „Herunterrutschen eines Schlagzeugs auf einer sehr langen Treppe mit maximal 3 Mikrofonen aufgenommen“ den Höhepunkt darstellt. Den Schleifer sieht man übrigens selten auf Konzerten, eigentlich nur, wenn sie für Lau sind.

Doch neben den negativen Rezensionen finden sich auch immer wieder richtige Perlen. Häufig sind es die Wenigschreiber, die sich mit dem Album eines Künstlers intensiv auseinander setzen und das musikalische Schaffen sogar ohne wahlloses Name-Dropping hervorragend beschreiben können. Einige schaffen das sogar auf amüsante Weise, denn nur wenige „Produkte“ lassen so viel Interpretationsspielraum wie Musik.

Als das Onlinemagazin Rote Raupe 2013 vom Netz gegangen ist, fehlten nicht nur ihre häufig sehr guten Rezensionen, sondern auch ihre Rubrik „Restgeräusch Sessions“. In den Sessions hatte Rote Raupe Bands live vorgestellt. Was KEXP und Audiotree in den USA in vorbildlicher Weise vormachten, konnte Rote Raupe nicht retten. Es ist der Kampf den jedes Musikmagazin kämpft: entweder Geld verdienen oder über Musik schreiben, beides geht nicht. So auch im Falle des Intro-Magazins. Das Intro finanziert sich größtenteils aus den Anzeigenschaltungen der Plattenfirmen. Da jedoch auch hier die Umsätze eine immer engere Budgetierung notwendig machen, fließen auch diese Gelder nicht mehr so üppig. Das Intro-Magazin stand eigentlich immer in der Kritik von den großen Plattenfirmen finanziell zu abhängig zu sein und damit keinen echten unabhängigen Musikjournalismus betreiben zu können. Doch das gilt letztlich ein Stück weit für alle Musikmagazine. Würde die Visions eine deutsche Band mit einem Hammeralbum auf das Titelbild bringen können, ohne dass eine entsprechende Plattenfirma im Hintergrund steht? Machen wir uns nichts vor, die Musikmagazine können meist nicht einmal ihre Rezensenten für ihren Aufwand entschädigen. Natürlich spielt auch Geld hier eine Rolle, will man zukunftsfähig bleiben. Und da kommen wir zur nächsten Frage: Wie wichtig sind Musikmagazine heute überhaupt noch?

 

„Das Internet hat den Musikmarkt demokratisiert“ – wirklich?

 

Heute kann jede Band ihrer Musik über die sozialen Medien Gehör verschaffen. Soweit Demokratie – soweit so gut.  Doch das Erreichen einer Hörerschaft in den Weiten des Internets wird von Tag zu Tag schwieriger. Längst zahlen Bands für ihre Reichweite auf Facebook, und längst zahlen Bands Geld an erfolgreiche Blogger, damit ihr Werk im Hintergrund beim „Fingernageldesign mit Pfiff“-Video läuft. Ich möchte dem Fingernagelstylisten sicherlich seinen guten Musikgeschmack nicht absprechen, aber möchte ich Musik auf diese Art und Weise entdecken? Nie war Musik einfacher verfügbarer als heute und genau da liegt das Problem: wer selektiert künftig für mich?

 


Mehr Beiträge aus" Musik" zur Startseite

What the Musikrezension nochmal? teilen auf: