Vier Tage drehte sich alles um Musik
Am vergangenen Wochenende war auch unsere Redaktion wieder beim Reeperbahn Festival um neue Musik zu entdecken, zu netzwerken und spannenden Vorträgen zu lauschen. Außerdem gab es Überraschungsauftritte von Liam Gallagher und Death From Above.

Hamburg. Es ist Mittwoch. Wir machen uns auf den Weg nach Hamburg, das Wetter ist gar nicht mal so scheiße. Auf dem Heiligengeistfeld ist in diesem Jahr das neue Village aufgebaut, auf dem wir uns Bändchen und Ausweise abholen. In dem Village gibt es außerdem an allen Tagen Musik von den Bazookas in ihrem umgebauten amerikanischen Schulbus, diverse Musiker auf der Terrasse des Fritz-Kola Containers, sowie leckeres Essen und Promotion. Wir machen uns erstmal zum Treffen des Festival Kombinats in der Washington Bar auf. Hier treffen sich verschiedene Veranstalter von Festivals um zu netzwerken, Probleme zu besprechen oder etwa die neue Kampagne Take A Stand von Yurope vorzustellen und bekannt zu machen. Unser musikalisches Programm fängt mit ÄTNA in der bereits vollen Prinzenbar an, eine junge Band, die man mit ihrem Poprock auf dem Radar haben sollte. Danach versuchen wir es zu den „Wunderkindern“ von Vök aus Island, die wohl bei einigen auf dem Zettel standen. So schaffen wir es leider erst zu den letzten beiden Songs in die Spielbude. Also ging es weiter in das Mojo, das quasi unterirdisch bei den Tanzenden Türmen eine sehr spannende Location ist. Als Headliner des Abends spielten hier die Leoniden, die einen verdammten langen Festivalsommer auf dem Zettel hatten und auch hier ihre Songs gewohnt energiegeladen performen.

Am nächsten Tag finden wir uns mittags im Schmidt’s Theater ein, wo Melvin Benn von Festival Republic interviewt wird. Wer den Herren nicht kennt: Er hat sich ein kleines Festival-Imperium aufgebaut. Festival Republic ist beispielsweise beteiligt an Reading/Leeds, Latitude, Download, Lollapalooza Berlin, V Festival oder das wireless. Seine Geschichte begann mit dem Reading, das 1988 pleite war. Zusammen mit dem Glastonbury war es das einzige Festival in England, Melvin Benn war einige Jahre selber Gast. Im Jahr 1989 übernimmt er dann das Festival, es ist erstmals ausverkauft. Er ändert ein wenig die Strategie, vor allem das Booking. „They were doing the booking wrong“, erklärt Benn den Zuschauern. Und so begann die lange und spannende Geschichte von Festival Republic, mittlerweile einer der prominentesten Festivalpromoter in England und Europa. Im Anschluss gibt es das jährliche Revue der Festivalsaison. Wie immer war es für viele, vor allem durch das Wetter, ein sehr anstrengendes Jahr. Stephan Thanscheidt von FKP Scorpio berichtet außerdem von wiederholten Problemen der sexuellen Belästigung beim schwedischen Bravalla. Das Festival wird im kommenden Jahr pausieren und dann hoffentlich wiederkehren. Das Summerjam in Nordrhein-Westfalen berichtet zudem von Problemen durch die aktuellen Nachrichten um den Terror. Das Reggae-Festival hat ein sehr internationales Publikum und verkaufte in diesem Jahr rund 5.000 Tickets weniger. Melvin Benn hatte indes kein nennenswertes Problem bei seinen Festivals – einzig beim Lollapalooza gab es Probleme bei der Abreise, die schnell durch die Medien gingen. Wie auch schon im letzten Jahr heißt es wieder, dass auch für die kommenden Saison der Kampf um die Headliner schwer wird. Es gibt immer mehr Festivals im Osten und vor allem der USA, „they are popping up like Starbucks“ sagt Thanscheidt. Der Festivalmarkt sei nicht gesättigt, so lange man eine gute Idee hat, merkt Melvin Benn an, der in 2018 vermutlich ein weiteres Event in UK etablieren möchte.

Nach den beiden Interviews geht es erstmal an die frische Luft und in Richtung Lattenplatz, direkt vor dem Knust. Denn die Hamburger Band Kettcar hat hier ein kostenloses Konzert für 18 Uhr angekündigt. Es wird mächtig voll, die Band spielt Klassiker der Bandgeschichte und Songs aus dem neuen Album „Ich vs. Wir“. Im Anschluss gehen wir in das Terrace Hill und sehen mit Antje Schomaker eine gut gelaunte Hamburger Singer/Songwriterin, die hier bereits eine große Fanbase hat. Gut eine Stunde geht es um Liebe, Gefühle und Tanzen. Als Pendant zu der eher ruhigen und verträumten Musik zieht es uns nun in das Knust, wo die Briten von Arcane Roots mächtig aufdrehen. Erst eine Woche vorher erschien das aktuelle Album „Melancholia Hymns“, das heute natürlich stark präsentiert werden soll. Uns erinnert die Band sehr stark an die ersten Biffy Clyro Alben und verlieben uns während des Auftritts in diese tolle Band. Während die Band auf der Bühne von Anfang an eine sportliche Präsenz zeigt, dauert es ungefähr bis zur Mitte des Sets, bis auch hier der Moshpit eröffnet wurde und die ersten Songs mitgesungen werden. Großartige Band, von den Jungs wird man noch hören. Arcane Roots! Der heutige Abschluss mit Maximo Park wird dann wieder ruhiger. Das Docks ist mittlerweile proppevoll und mal wieder Einlassstop. Dies soll an diesem Wochenende übrigens mehrfach passieren, vor allem am Freitag und Samstag. Maximo Park selber können heute nicht viel Begeisterung auslösen, das Docks wird mit dem Set immer leerer. Die Hochzeiten der Band scheinen vorbei, die Energie ist raus. Über Songs wie „Boxes from Boxes“ oder „Our Velocity“ freut man sich dann aber doch, zumindest für ein paar Sekunden. Gute Nacht.
Es ist Freitag und heute wird es mächtig voll auf der Reeperbahn. Zu dem Festivalpublikum mischen sich nun merklich feierwütige Jugendliche, Fußballfans und Oktoberfest-Pilger. Wir finden uns in Angie’s Nightclub erneut zur Mittagszeit ein und lauschen dem Interview mit Matthias Hörstmann, der sich in Deutschland ebenfalls ein kleines Imperium aufgebaut hat. Mit seiner Unternehmensgruppe HUG leitet er unter anderem das Lollapalooza Berlin, Splash, Melt!, Melt! Booking, 11 Freunde, Intro, Festivalguide und diverse andere Unternehmen der Medienbranche. Er erzählt von den Anfängen der Intro. Früher war er selber viel als DJ unterwegs und organisierte Konzerte im Raum Bremen/Münster/Osnabrück. Durch ein Gespräch an der Theke entstand die Idee der Intro als Promoplattform für die eigenen Events – der befreundete Discobesitzer zahlte die Kosten der ersten drei Ausgaben. Im Jahr 2004 übernahm er dann das Melt! Festival, dass mittlerweile vor dem Aus stand. Es passte gut zu seinem Ansatz mit der Intro, auch wenn er noch nie zuvor auf dem Festival war. Zusammen mit dem ersten Veranstalter ging es dann weiter, dieser wollte jedoch zwei Wochen vor dem Event absagen. Hörstmann war jedoch überzeugt – wir machen weiter! Im Laufe des Gesprächs erzählt Hörstmann viele Anekdoten, wie er das erste Konzert von Monster Magnet veranstaltete und die Band bei seinen Eltern auf dem Bauernhof schlief. Der Vater fand es ganz toll und hat sich gut mit der Band unterhalten.

Erste musikalische Station an diesem Tag sind Client Liaison im Molotow. Funky Elektro-Pop Marke Australien boomt nicht erst seit die Parcels die Szene betreten haben. In Australien Headliner auf den großen Bühnen schickt sich Client Liaison an, jetzt auch die Welt mit ihrem Synthie-Funk zu erobern. Sänger Monte Morgan und Produzent Harvey Miller haben ein ausgesprochenes Faible für Musik, die zwischen Miami Vice und Queen, also in den 1980ern angesiedelt ist. Das überträgt sich auch auf Mode, Frisur und Stilbewusstsein. Client Liaison ist ein Duo, das einfach Spaß macht. Vor allem, weil es sich selbst nicht ganz so bierernst nimmt. Schnell noch ein Kaltgetränk und ab in die Bahn rüber zum Übel & Gefährlich. Hier stehen To Kill A King auf der Bühne im vierten Stock des Hochbunkers. Die Band ist wegen der Komplexität der Songs unter anderem mit Grizzly Bear, The National und Frightened Rabbit verglichen worden. To Kill A King stehen für eine große Bandbreite. Akustische Songs finden sich in ihrem Programm genauso wie Stücke, die von einer E-Gitarre dominiert werden oder Songs mit Synthesizern und Bläsern im Arrangement. Dann geht es wieder hoch in den fünften Stock, ins Terrace Hill, zu Fazardaze aus Neuseeland. Erste Songs der Sängerin, Songwriterin und Gitarristin Amelia Murray entstanden noch im heimischen Schlafzimmer. Inzwischen ist aus diesen Anfängen ein Bandprojekt geworden, das sich Fazerdaze nennt. Zu Fazerdazes Songs kann man über eine bunte Blumenwiese tanzen oder sich an einem menschenleeren Strand wegträumen und alles um einen herum vergessen, eben ideale Begleiter für die melancholischen und verträumten Momente des Lebens. Jetzt aber schnell mit der Bahn zurück zum Spielbudenplatz. Inzwischen dürfte auch der letzte mitbekommen haben das es sich bei dem geheimen Headliner der Warner Music Night um Liam Gallagher handelt. Nach über einer Stunde anstehen endlich drin. Viele mussten an diesem Abend leider draußen bleiben, Einlassstop. Liam Gallagher, früher Sänger von Oasis und dann Chef seiner eigenen Band Beady Eye, ist einer der ganz großen britischen Rockstars. Am 6. Oktober kommt sein erstes Soloalbum „Wall Of Glass“ heraus und Teile aus diesem will er exklusiv während des Reeperbahn Festival präsentieren. Am Ende war es dann aber wohl doch wieder der Klassiker „Wonderwall“ aus Oasis-Zeiten der das Publikum am meisten beeindruckt. Theoretisch hatten wir an diesem Punk unsere Liste für den Tag abgearbeitet, wäre da nicht noch die Kurznachricht „Death From Above 1979 – Molotow – 01:30″ gekommen. Da es eh auf ein Feierabendbier ins Molotow gehen sollte also schnell weiter. An der Schlange konnte man schon erahnen das es auch hier zeitnah zum Einlassstop kommen wird. Am Ende sollten es wohl die wenigsten Besucher zum kanadieschen Duo rein schaffen. Zwischenzeitlich aufgelöst sind Jesse F. Keeler und Sebastien Grainger seit 2011 wieder zusammen auf Tour. Ihr Punk ist gekennzeichnet durch die Verwendung von wenigen Instrumenten und Effekten. Laut, warm, voll… so müssen Clubkonzerte sein! Für alle die nicht mehr rein gekommen sind, die Jungs kommen am 02. März 2018 zusammen mit At The Drive In erneut nach Hamburg in die leicht größere Alsterdorfer Sporthalle.

Die Nacht war kurz, Reeperbahn Festival Tag vier ist angebrochen. Einige Wegbegleiter des Wochenende haben bereits die Heimreise angetreten. Auch für uns geht es erst mal Richtung Hafen. War man am ersten Tag noch hungrig auf Neuentdeckungen, schleicht sich so langsam die Müdigkeit ein. Einfach nur auf der Mauer am Fischmarkt sitzen und Schiffe beobachten. Was für eine Ruhe und auch am vierten Tag spielt wieder das Wetter mit. Klar, man muss beim Reeperbahn Festival auch nicht zelten. Irgendwie findet man immer einen Schlafplatz in Hamburg. Gegen Abend geht es dann noch ein letztes Mal Richtung Spielbudenplatz, frühzeitig einen guten Platz für Portugal. The Man im Docks sichern. Auch bei ihnen sollte es an diesem Abend wieder einen Einlassstop geben. Zunächst betrat jedoch der 21 jährige Singer-Songriter Tom Grennan aus London die Bühne. Aus ihm hätte auch etwas ganz anderes als ein Musiker werden können. Der Brite war in jungen Jahren bereits auf dem Sprung zur Fußball-Profikarriere, doch die Sehnsucht nach der Musik war irgendwann stärker. Der Jogginghose ist er jedoch treu geblieben, denn zum Umziehen fehlte an diesem Tag die Zeit. Melodisch, gefühlsbetonte Songs auf der Gitarre komponiert und auf sympathische Art mit Band vorgetragen. Weiter ging es mit dem Musikprojekt Oscar & The Wolf um den belgischen Musiker Max Colombie. Seine Musik ist höchst ungewöhnlicher, puristisch angelegter, experimenteller Elektro-Pop, dann aber auch wieder Dream-Pop mit bis ins Barocke hinein arrangierter Opulenz. Von diesem jungen Mann wird noch zu hören sein. Mit Portugal.The Man konnte man eine der herausragenden Indie-Rock-Bands der vergangenen 15 Jahre zum Reeperbahn Festival locken. Mit dabei haben sie neue Songs aus ihrem achten Album „Woodstock“, das im Juni erschien. Portugal.The Man stammt ursprünglich aus Alaska, hat sich aber inzwischen in der lebendigen Szene von Portland/Oregon angesiedelt. Das Quintett um Gitarrist John Gourley und Bassist Zachary Carothers ist immer an Experimenten interessiert und hat im Laufe seiner Karriere nicht nur einige Besetzungswechsel, sondern auch eine Reihe stilistischer Kehrtwendungen hinter sich.
Der Vorverkauf für das Reeperbahn Festival 2018 vom 19. bis 22. September hat bereits begonnen.
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