Der Sonntag beim Hurricane Festival: Junge Hypes und ältere Rockmusik

Nina Chuba und Edwin Rosen sorgen nachmittags für Jubelstürme, bevor drei langjährig erfolgreiche Rockbands das diesjährige Hurricane Festival zum Abschluss bringen.

The 1975, Foto: Jörg Kröger

Scheeßel. Das war das 25. Hurricane Festival – mit dem Schlussakkord der Ärzte endete das Spektakel auf dem Eichenring nach vier Tagen und über 100 Konzerten. An einem heißen und durchgehend sonnigen Tag ist bereits ab der Mittagszeit Programm bevor die Abreisewelle startet. Die Füße schmerzen, die Ohren klingeln, doch das tut der Euphorie und der friedlichen und ausgelassenen Stimmung keinen Abbruch. Texte von Florian Weyers (flo) und Marcel Kloth (mak).

12:00 Uhr: Razz auf der Forest Stage: Seit fast zehn Jahren feiere ich diese Band, in meinen Playlisten zählt sie zu den absoluten Dauerbrennern – Ehrensache also, heute pünktlich zur Eröffnung der Hauptbühne mittags schon mittig vor eben jener zu stehen. Das sehen zum Glück noch mehr Leute so, es ist für den letzten Tag und die frühe Uhrzeit gut besucht. Die Band aus Berlin mit Wurzeln im Emsland präsentiert Indie-Rock mit elektronischen Einflüssen und sorgt für einen denkbar angenehmen Start in den Tag. (mak)

12:30 Uhr: The Pale White auf der River Stage: Wenn man nicht gerade meinen Hautton hat, ist am vierten Festivaltag auf jeden Fall niemand mehr blass oder weiß, sondern rot oder gebräunt von Sonne und/oder Staub. Einen besseren Ton trifft das Brüderpaar Adam und Jack Hope und ihr alter Freund Tom Booth, bei denen es sich musikalisch um geradezu hymnische Stücke voll knalliger Riffs und fantastischer Melodien dreht. Hochwertiges musikalisches Programm zum entspannten Warm-Up, obwohl das bei fast 30 Grad auch nur im übertragenen Sinne erforderlich ist. (mak)

13:00 Uhr: Palaye Royale auf der Forest Stage: Letzter Festivaltag und die Band aus Las Vegas liefert genau das richtige Level an Energie, volle Power! Als wären alle Besucher*innen vor der Bühne mit Solarzellen ausgestattet, laden sie ihre Batterien beim Schwitzen und Abfeiern wieder auf. Brennend wie die Sonne schmettern Palaye Royale ihre Songs in die Menge und kühlen die vordersten Reihen mit Wasserpistolen. Insgesamt ein Auftritt, der einen starken Eindruck bei mir hinterlässt. Ich freue mich, sie schon hoffentlich bald wieder live sehen zu können. (flo)

13:45 Uhr: Nina Chuba auf der River Stage: Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie die Massen zur River Stage strömen, wenig später klärt es sich auf: Der Auftritt von Nina Chuba wurde eine Dreiviertelstunde vorgezogen und auf die größere River Stage verlegt – die vernünftige und richtige Entscheidung. Noch nie an diesem Wochenende war es dermaßen eng davor, Nina Chuba ist eben DER Hype-Act in der deutschsprachigen Musikwelt aktuell. Für den gemeinsamen Song „Mondlicht“ kommt Majan nach seinem gerade abgeschlossenen Konzert auf der Bühne nebenan schnell rübergeflitzt, und auch der Über-Hit „Wildberry Lillet“ darf im 45-minütigen Set natürlich nicht fehlen. (mak)

14:15 Uhr: Betontod auf der Forest Stage: Festivaltage mit Punk-Rock – 4 von 4. „Grad aus dem Tourbus gepurzelt“, wie sie selber sagen, sind sie zurück auf dem Hurricane. Bedeutet also: Moshpits, Staub aufwirbeln und springen, mitgröhlen, Crowdsurfing. Eigentlich hatten sie extra vor Beginn ihres Sets noch Wasserzerstäuber angefordert. Stattdessen übernehmen die Fans das mit gelegentlichen Würfen mit Wasser aus ihren Festivalbechern. (flo)

15:15 Uhr: Wanda auf der River Stage: Ihren größten Hit „Bologna“ feuern sie direkt als erstes. So überwältigt von der Resonanz des Publikums, fällt Sänger Michael vor diesem auf die Knie. Dicht gefolgt vom Ausruf: „Hurricane ist scheiße geil!“. 2016 waren Wanda zuletzt auf dem Festival. Damals war noch Keyboarder Christian Hummer mit dabei, der leider im vergangen Jahr verstarb. Aber „es muss weiter gehen“, so der Sänger weiter, „Sie bauten eine Bühne, verpflichteten fünfeinhalb Wiener, die saufen und rauchen, wie Arschlöcher und brachten Amore.“ Wanda haben so eine Freude zu spielen und wollen am liebsten gar nicht von der Bühne. (flo)

15:30 Uhr: Edwin Rosen auf der Wild Coast Stage: Der nächste Act mit beeindruckendem Hype, diesmal wie geplant in der Zeltbühne. Diese füllt sich schon 45 Minuten vor Konzertbeginn rasant, schließlich verkauft der 25-jährige gerade alles in Windeseile aus, auf dem sein Name steht. Der Stuttgarter kombiniert als Vorreiter der „neuen, neuen deutschen Welle“ Synthie-Pop mit New Wave und Post-Punk. Das wird gefeiert angenommen und wer die Augen schließt oder den Sound nur hört, der wäre überrascht – denn Edwin steht nur mit Synthies und Bassgitarre auf der Bühne. (mak)

16:00 Uhr: Frank Turner auf der Forest Stage: Der Hurricane-Dauerbrenner! Niemand spielte häufiger in Scheeßel als der britische Punk-Sänger, der heute wie gewohnt in den charakteristischen, weißen Hemden und mit seiner Band „The Sleeping Souls“ auf der Bühne steht. Einmal mehr eine gelungene Platzierung in der kräftigen Nachmittagssonne, die eingefleischten Fans feiern vorne, während es sich etliche Leute dahinter auf dem Boden gemütlich machen oder einen der rar gesäten Schattenplätze aufsuchen. Musik zwischen Folk-Rock und dem Grund, weshalb sein aktuelles Album „Hardcore“ im Titel trägt. Am Ende surft er auf den Armen der Fans ganz vorne. Eine Stunde Sprünge, Schweiß und Spaß! (mak)

16:15 Uhr: 01099 auf der Mountain Stage: Techno/Rave hat den Mainstream erreicht. Es sind die größtenteils “four on the floor“-Beats zu denen man mit den Knien einfach mitwippt, die eine große Menge an Fans vor die Mountain Stage zieht. Einfache Texte über Drogen, deren Rausch, die Gefühle unter deren Einfluss und das Flüchten vor der Polizei. Hier und da sind Hip-Hop- und Trap-Einflüsse. Damit treffen sie auf eine junge Zielgruppe im Alter zwischen 20 und 30. (flo)

17:00 Uhr: Clueso auf der River Stage: Der Sänger ist Anwärter für die größte Live-Band des Festivals – und für den Auftritt mit der größten Hit-Dichte auch. Es ist erstaunlich, wie viele Songs des Erfurters man selbst als Gelegenheitshörer*in kennt. Auf der Bühne sehen sie eine achtköpfige Gruppe inklusive stimmungsvollem Bläser-Trio – von den „37 Grad im Paradies“ sind wir zwar noch ein Stück entfernt, die gleiche Stimmung transportieren sie aber und es fühlt sich mindestens genauso heiß an. Aus der letztjährigen Staffel von „Sing meinen Song“ bringt er „Auf & Ab“ von Montez in sein eigenes Gewand. Eine La-Ole-Welle bei „Zusammen“ über den ganzen Platz mündet im Regen aus Konfettischlangen, bevor er mit dem Clueso-Klassiker „Gewinner“ den passenden Schlusspunkt setzt. (mak)

17:45 Uhr: Kaleo auf der Forest Stage: Blues-Rock aus Island läutet am frühen Abend die letzten Stunden des Festivals ein. In isländischer Heimatsprache schaffen Kaleo eine nachdenkliche Atmosphäre und rocken danach wieder die Bühne. „Way down we go“ können alle Fans mitsingen. Obwohl Sänger JJ Julius Son augenscheinlich technische Probleme mit der Gitarre hat und für kurze Zeit hinter der Bühne verschwindet, wissen seine Bandkollegen die versammelten Fans musikalisch weiter zu unterhalten. Und so verfliegt die Stunde an Zeit einfach so dahin. (flo)

18:45 Uhr: The 1975 auf der River Stage: Vielseitiger Indie-Rock in der angenehmen Abendsonne. Die einstige Schülerband transportiert leichte und sommerliche Klänge, von Balladen bis zu temporeichen Stücken ist im 75-minütigen Set alles vertreten. In meinen Augen probiert Frontmann Matthew Healy nur dem Rockstar-Image etwas zu verkrampft gerecht zu werden – der Flachmann und die Weinflasche werden zelebriert. Ob sie gefüllt waren, bleibt offen. Zudem beschweren sie sich, dass sie ihren Auftritt beim Southside am Freitag abbrechen mussten, da die parallel spielende Band zu laut gewesen sein – ein Blick in den Timetable des Schwesterfestivals beweist, dass die nicht die ganze Wahrheit gewesen sein kann. Insgesamt gibt’s aber leichtfüßige Tunes und entspannte Vibes. (mak)

19:00 Uhr: Auf der Wild Coast Stage im Zelt hätte eigentlich der Franzose Mezerg spielen sollen. Sein Auftritt fiel leider ersatzlos aus, da sein Flug von Paris nach Hamburg gestrichen wurde und er somit nicht rechtzeitig zur Show am Eichenring sein konnte. (flo)

19:30 Uhr: Queens of the Stone Age auf der Forest Stage: Auch sie starten mit einem ihrer Klassiker „No One Knows“ in ihr Set. Es ist zwar noch immer voll im vorderen und hinteren Bühnenbereich, aber man merkt, dass nicht mehr ganz so viele Festivalbesucher*innen, wie an den Vorabenden geblieben sind. Dennoch haben sich eine hohe Anzahl an Fans aus verschiedenen Generationen, die einfach auf richtig guten Rock stehen vor der Forest Stage versammelt. Während die Menge weiter zu „Make It Wit Chu“ mitsingt, steigen über dem Gelände mehrere Heißluftballons auf. Szenen, die im Kopf bleiben. Placebo “drücken“ sie dann auf der Nachbarbühne “das Gitarrengriffbrett in die Hand“. Wenn man sich fragt, wie man als Rocker vor einer Menschenmenge und Fernsehkameras “stilvoll“ die Bühne verlässt – dann hängt man eben die Gitarre an die Kamera. (flo)

20:45 Uhr: Placebo auf der River Stage: Der vorletzte Act des Festivals. Die Müdigkeit der Besucher*innen ist in den Gesichtern zu lesen. Und auch die großen LED-Leinwände scheinen schlapp zu machen. Immer wieder mal flackern sie auf und erwecken den Anschein Teil der Bühnenshow zu sein, welche sich im Rücken der Band abspielt. Ein bisschen alte Schule bieten die Briten mit „Every You Every Me“ und passend zum 20-jährigen Jubiläum ihres Albums „Sleeping with Ghosts“ spielen sie auch Songs, wie „Special Needs“ und „The Bitter End“. Im Kontrast zu den Queens of the Stone Age, sind für Placebo typisch die Melodien länger gezogen und legen sich auf das Bett aus effektvollem Keyboard und Gitarrenriffs. Inzwischen als Duo unterwegs bleiben Placebo druckvoll und mit Liebe zum Detail und bieten tolle 70 Minuten Show mit ihrer Musik. In der 20-minütigen Zugabe präsentieren sie ein Cover von Tears for Fears „Shout“. Ein würdiger letzter Abend fürs Hurricane 2023. (flo)

22:00 Uhr: Die Ärzte auf der Forest Stage: Zum Abschluss wird es nochmal richtig voll vor der größten Bühne, die zu diesem Zeitpunkt als letztes noch bespielt wird. Die Ärzte sind nach elf Jahren zurück als Headliner und performen kurzweilig, humorvoll und wortgewandt. Bela, Farin und Rod spielen Songs aus 40 Jahren und hauen sehr lange Ansagen raus – gehört zum Stil der Band und lässt die zwei Stunden etwas schneller füllen, es ist das längste Set des gesamten Festivals. Für die Ärzte offenbar aber noch nicht lang genug, denn bereits zehn Minuten früher starten sie hinter dem Vorhang mit ihrer Musik. Oder besser gesagt: Vor zwei Vorhängen, denn mit dem ersten Drop fällt zwar der erste, als Gag kommt aber ein weiterer zum Vorschein. Mit dem Klassiker „Westerland“ beginnt die selbsternannte „beste Band der Welt“ ihr Konzert – im Laufe des Abends wollen sie die bisher größte Staubwolke durch Moshpits beim Konzert der Donots am Freitag noch toppen. Zur Stimmung der Band trägt garantiert auch der als Amp getarnte Getränkekühlschrank hinter Rod bei. Danke Hurricane, es war mal wieder ein Fest. Wir sehen uns im nächsten Jahr! (mak)

Seht euch hier unsere Bildergalerie des Tages an:

 


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