Bruce Springsteen – Born to Run, Die Autobiografie, Heyne 2016

Bruce Springsteen veröffentlicht mit Born to Run eine beeindruckende Autobiografie, die sehr viele Einblicke in sein Privates zulässt.

Born to Run von Bruce Springsteen

Die Einen verehren Springsteen dafür, dass er es in seinen Liedern schafft, die Sorgen, Sehnsüchte und Ängste der so genannten kleinen Leute in Worte zu fassen. Seine Kritiker hingegen werfen dem Sänger vor, als Multimillionär gar keine Verbindung mehr zur Arbeiterklasse zu haben. Gerade für letztgenannte Gruppe lohnt sich dieses Buch besonders, da es beschreibt, wie Springsteens Beweggründe, seine Herkunft und seine eigenen Sorgen in den Liedern auf ein Gesellschaftliches Ganzes gehoben wurden. Gespeist wurden seine Lieder stets, aus seinen Erinnerungen an die eigene Kindheit. Die Mutter Büroangestellte bei einer Anwaltskanzlei, der Vater bei Ford am Fließband.

Die Ankündigung einer Autobiografie verwunderte anfangs vielleicht etwas. Springsteens Leben ist bereits bestens dokumentiert. Erst vor wenigen Jahren erschien eine (die Erste) autorisierte Biografie. Nun liegt dieselbe Lebensgeschichte noch mal vor. Dieses Mal mit Springsteens eigenen Worten. Und genau dieser Umstand, die geschriebene Ich-Perspektive, lässt den Leser näher an Springsteens Leben heran. Fast schon im Plauderton berichtet er von seiner Kindheit, seiner Herkunft aus einem Arbeiterhaushalt und seinen Eltern, einer Italienerin und eines Iren. Es folgt die musikalische Explosion, nachdem der junge Bruce zum ersten Mal Elvis im Fernsehen gesehen hat, die ersten musikalischen Gehversuche und schließlich die ersten Bands, Konzerte und Touren, bis hin zum ersten Plattenvertrag.

Zu diesem Zeitpunkt ist bereits ein Drittel des 670 Seiten starken Werkes vergangen. Nach etwa der Hälfte ist der Leser beim Durchbruchsalbum Born to Run aus dem Jahr 1975 angekommen, welches von allen Alben in diesem Buch am ausführlichsten beschrieben wird. Springsteen nimmt sich Album für Album, und die darauf unweigerlich folgende Tournee vor. Das Problem an Springsteens Leben ist, dass es so reichhaltig ist, dass selbst dieses dicke Buch nicht ausreicht, um alle Fassetten seines Schaffens zu durchleuchten. Deswegen werden nur die Inspirationen zu den wichtigsten Liedern kurz angerissen und mehr darauf eingegangen, wie das gesamte Album wirken sollte. Zwischen den Kapiteln, die sich mit der Musik auseinandersetzten, gibt es Passagen, in denen Springsteen persönlich wird. Er berichtet über das komplizierte Verhältnis zu seinem Vater, welches sich alle paar Jahre besserte, nur um dann wieder von ihm enttäuscht zu werden. Springsteens Vater litt Zeit seines Lebens unter Depressionen und Schizophrenie. Diese Krankheit liegt im Erbgut der Springsteens und übertrug sich auch auf den Sohn Bruce. Schon lange Zeit spürte Springsteen diese dunkle Seite in sich, versuchte sie zu unterdrücken, bis eines Abends, in den frühen 80er Jahren, sie Vollendens ausbrach. Es folgten Jahre der Therapie und Einstellung auf Medikamente. Ein Kampf der laut Springsteen noch immer ausgetragen wird. Erst die Liebe zu seiner Frau und seinen Kindern konnten ihn retten. Dafür musste Springsteen aber zunächst lernen andere Menschen an sich ranzulassen. Zu diesem Zeitpunkt fing Springsteen an, über andere Menschen zu schreiben. Auf seinen frühen Alben, geht es hauptsächlich um die persönlichen Gefühle und Geschichten des Sängers. Ab den 80er, nach der Lektüre der Geschichten und Bücher von John Steinbeck und eines intensiven hören von Countrymusik von Hank Williams oder Folk von Woody Guthrie begann Springsteen mehr oder weniger fiktive Geschichten in seinen Liedern zu verarbeiten. 

Das letzte Drittel des Buches gehört dann zu der stärksten Phase. Zunächst beschreibt Springsteen seine erste, gescheiterte Ehe, spricht nur gut über seine Ex-Frau, verliebt sich in Patti Scialfa, wird Vater von drei Kindern und muss schließlich den eigenen Vater beerdigen, gegen den Springsteen so oft angesungen hatte und mit dem er sich vor der Geburt seines ersten Sohnes versöhnte. In diesem Teil des Buches verabschiedet sich Springsteen vom reinen Erzählstil und der Aneinanderreihung von Fakten und Ereignissen, sondern philosophiert über das Leben, macht sich und den Leser an manchen Stellen Mut, so wirkt es jedenfalls, gibt Lebenseinsichten von sich und erschafft fast schon eine wunderschöne Prosa, wenn er über die Geburt seiner Kinder und die Liebe zu seiner Frau schreibt.

An einer Stelle schreibt Springsteen: „Wir eifern denen nach, deren Liebe wir wollten und nicht haben konnten.“ Wahrscheinlich unterbewusst bildet Springsteen mit diesem Satz eine Verbindung zu John Steinbecks Vater/Sohn Epos „Jenseits von Eden“, in dem die Brüder Charles und Adam Trask um die Liebe ihres Vaters kämpfen, so wie Bruce Springsteen es auch tun musste und wie er es bei seinen eigenen Kindern unbedingt vermeiden will.  

Viele Fakten waren bereits vorher bekannt, manche Ereignisse aus dem Buch, vor allem die, die in der Kindheit liegen, können bestimmten Liedern zugeordnet werden. Besonders aus der Zeit zwischen 1975 und 1985, also zwischen den beiden Erfolgsalben „Born to Run“ und „Born in the U.S.A.“, die bereits in der Vergangenheit bestens aufgearbeitet wurde, gibt es wenig Neues zu erfahren und darum umfasst das Buch diese zehn Jahre auf nur etwa 250 Seiten. Tiefere Einblicke in Springsteens Gefühlswelt bietet hingegen die Erinnerungen an die eigene Kindheit und die Zeit ab den späten 80er Jahren hin bis zur kurz abgerissenen „High Hopes“ Tournee vor drei Jahren.

Insgesamt sieben Jahre hat Springsteen an diesem Buch gearbeitet, immer wieder Passagen geschrieben, manches verworfen, anderes aus seinen Erinnerungen hervorgeholt. Diese Autobiografie funktioniert, wie einer seiner Songs. Es ist eine Geschichte, über einen Mann, der auszog, um ein ehrliches und einfaches Leben zu führen, mit all seinen Tiefs (Depressionen, verlorene Liebe, Auseinandersetzung mit dem Vater) und den Hochs (beruflicher Erfolg, Ehe, Kinder). Springsteen ist angekommen und trotzdem noch immer auf der Suche.   


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