Im Kabarett ist eh egal

Der depressiv-moralisierende Moritz Neumeier begeistert das Bürgerhaus Vegesack. Mutige Poenten auf Konsens- und Tabuthemen, viel Erwartbares und großartige Lacher auf höchstem Niveau.

Das Ende ist nah: Für die Spezies Mensch, wenn man Moritz Neumeier in seiner Show „Am Ende ist eh egal“ Glauben schenkt und für die diesjährige Veranstaltungssaison, wenn man auf die aktuelle Entwicklung des Virus schaut. Es war ein herrlicher Abgesang mit vorausgegangener „Triggerwarnung für alles Mögliche“.

Bremen-Zentrum war am Freitagabend nach Bremen-Nord gekommen, um sich den links-urbanen „Filter-Bubble-Humor“ eines Schleswig-Holsteiner Landkindes, das über die Metropolen Hamburg und Bremen ins niedersächsische Dorf gezogen ist, anzuschauen. Eine Entwicklung vom Schulbus-Fahrer zum Dorfschulvater mit ganz viel Moral und Zeigefinger, aber eben auch mit der Verletzlichkeit und Selbstironie eines starken Typens, der mit lackierten Fingernägeln und in Strumpfhose sowie Herren-Rock offen über seine Depression, seine Familie und die ihm angelasteten Morddrohungen spricht. Er feiert das Gendern, die Gleichberechtigung, die Selbstbestimmung des Einzelnen und lässt die Halle dennoch vor Lachen beben. Neumeiers Kinder und seine Kindheit, der Klimawandel und Pimmelmenschen waren die Themen des Abends. Er schafft es, Pädophilie und Vergewaltigung anzusprechen und wechselt dabei gekonnt wieder zurück auf die Zwergfellebene, ohne dabei geschmacklos zu sein. Das ist ganze große Kunst, die so neben ihm wohl kaum ein Zweiter beherrscht.

Neumeier, der den bekannten Weg des erfolgreichen Poetry Slammers, zum schlauen Stand Upper, zum relevanten Jüngere-Leute-Kabarettisten gegangen ist, hielt sich in seinem Programm an die gängigen Humor-Regeln: Ein bisschen Erschüttern und drumherum ganz viel Einvernehmlichkeiten. Auch der ehemalige Übergangs-Bremer gab dem Publikum, was es hören wollte. Viel Erwartbares, viel Konsens und dennoch feingeistigen Gags. Das ist kein Verriss, vielmehr die Erkenntnis des Alterns und dass Neumeier nun wirklich im Politischen Kabarett angekommen ist und dort zu den ganz Großen gehört. Ein Mann, ein Mikrofon, ein Echtholz-Barhocker als Ablagefläche und ein gutes Programm, dazu etwas Licht und mehr braucht es nicht für 90 Minuten Unterhaltung mit Haltung. Insgesamt war es eine Show wie im Fußballstadion: Du weißt was passiert, das Spiel hat seine Längen und dennoch sind es die einzelnen Szenen und Kabinettstückchen des enfant terribles, die begeistern. Neumeier, der Meister des Timings, der Stimmmodulation und der gespielten Kleinstdialoge, brachte die Halle immer wieder zum Schreien.  Er schafft es, im Konsens-Kabarett mit seinen bösen Punchlines die Grenzen zu überschreiten und setzt damit Maßstäbe und herzhafte Lacher.

Der Künstler selbst wirkt inzwischen sehr abgearbeitet an sich, der Welt und seiner Familie. Die Jugendlichkeit des Stand Ups weicht inzwischen der geistigen Schwere. Was dem 33-jährigen Haupt-Act derweil etwas abhandengekommen ist, brachte sein Support und Busfahrer Hinnerk Köhn in den Abend. Der 27-Jährige, der aus dem Podcast „Normale Möwe“ bekannt ist, starte schelmisch-spritzig und machte damit Lust auf mehr von ihm.

Alles in allem war es ein Abend, der genauso rund ums Sielwall-Eck, im Schlachthof oder in der Neustadt hätte stattfinden können. Den Booking-Künsten vom Kulturbüro Nord war es wieder einmal gelungen, dass Vegesack für einen Abend aussah als sei es das viel beschworene „neue Viertel“. Das war Bremer Völkerverständigung der lustigen Art.


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