Grillmaster Flash, Frank Turner, Curtis Harding und…. Frank Turner – Ein Tagebuch

Da war einiges los in Norddeutschland. Ich habe die letzten Tage in Wörter gepackt und eine Art Tourtagebuch geschrieben.

Bremen, Hannover, Oldenburg, Bremen, Hamburg – eine Nordtour

  1. November 2018 – Grillmaster Flash, Eisen, Bremen

„Stadion“, das Album von Grillmaster Flash wurde an diesem Tag bei Grand Hotel van Cleef veröffentlicht. Ich durfte die Platte bereits vor ein paar Monaten hören und das Infoblatt für das Werk schreiben. Seitdem lief „Stadion“ auf High-Rotation.

Die eigentliche Release Show spielte Grilli zwar schon vor zwei Wochen im ausverkauften Weserstadion, na gut, im Ostkurvensaal des Stadions, aber wer will das schon so genau nehmen. Ein Release Tag muss trotzdem gefeiert werden. Relativ spontan war  ein Public Listining mit Privat Talking im Eisen angesetzt. Und ich durfte durch den Abend führen. Wenn ich solche Angebote bekomme, sage ich meistens ziemlich schnell zu. Je näher das Ereignis kommt, frage ich mich häufig, warum ich mir das antue, mir immer wieder noch eine zusätzliche Aufgabe aufhalse. Dabei habe ich eh schon zu wenig Zeit. Vermutlich aus demselben Grund, weswegen ich all das aufschreiben will, weil es am Ende Spaß macht und es grundsätzlich immer besser ist, etwas zu machen, statt nur zu konsumieren. Ohne eine tolerante Familie würde das überhaupt nicht funktionieren. Dessen bin ich mir bewusst. Dankbar sowieso.

Um acht Uhr abends war das Eisen gut gefüllt. Größtenteils mit Leuten, die wirklich das Albums mit uns zusammen anhören wollten. Grilli schlürfte vom Label geschenkten Champagner. Ich trank Bier. Manch einer machte Geschenke. Meine anfängliche Nervosität hatte sich schnell gelegt und auch Grillis Antworten auf meine Fragen, zu einzelnen Songs und der Entstehung des Albums, wurden mit jeder Minute ausführlicher. In manchen Momenten entstand ein richtiges Gespräch, so wie ich es mir vorgestellt hatte. Zwischen unserem Gesabbel wurde das neue Album plus die limitierte „Pinökel“ E.P. gespielt.

Schließlich versteigerte Grilli das gerade gespielte Vinyl, dem Datum angemessen, für die Pflege der vielen Stolpersteine in dieser Stadt. Ich spielte den Auktionator und schaffte es stattliche 40 EUR einzunehmen. Dank und Grüße gehen an dieser Stelle noch mal raus und ich wünsche viel Spaß mit dieser einmaligen Platte.

Ein guter Abend war das, mit Bier und Tequila und Freunden und Bekannten.

 

  1. November 2018 – Frank Turner, Capitol, Hannover

Dunkelheit und Alkoholpegel fühlten sich wie Samstagnacht 23:02 Uhr an. In Wirklichkeit war es erst Sonntagnachmittag. Immerhin darf im Regionalzug der Deutschen Bahn Alkohol konsumiert werden. Nicht? Ach so…

Im Capitol lag die von mir Übersetzte deutsche Version von Franks Buch „The Road Beneath My Feet“ auf dem Merchtable. Einen kurzen Moment spürte ich Zufriedenheit in mir. Kommt selten vor, meistens bin ich unzufrieden, es bleibt mein Antrieb weiter zu machen. Egal mit was, Arbeit, HB-People, Leben halt.

Bevor der „skinny, half arse english country singer“ auf der Bühne stand, spielten zwei Vorbands auf. Den Abend eröffneten „Xylaroo“, ein Duo, ausgestattet mit wahnsinnig guten Stimmen. Mir persönlich würde der Folkgesang als acapella Version besser gefallen. Wie diese Musik ursprünglich einmal gedacht war und entstand. Es folgte „PuP“, die für mich wie eine dreckige Garagenversion von „Weezer“ klingen. Die Kanadier erledigten ihren Job als Einheizer vorbildlich, bretterten durch ihr Set, sprangen auf der Bühne herum und prügelten auf ihre Instrumente ein. Die gewährte halbe Stunde ging schnell vorbei.

Schließlich der Turner. Lange hatte er sich Zeit gelassen, in Europa auf Tour zu gehen. So lange, dass die Songs vom (neuem) aktuellen Album „Be More Kind“, mittlerweile Hand in Hand mit den alten Hits geht. So oft lief das Album seit dem Frühling bei mir. Die meisten Textzeilen saßen jedenfalls.

Hannover ist übrigens eine kleine Stadt. Oder soll ich sagen kurze Stadt?! Normalerweise stellte sich, trotz meiner recht stattlichen 196 cm, grundsätzlich jemand größeres direkt vor mich hin. Nicht so in Hannover. Niemand schien größer zu sein. Vielleicht lag es aber auch einfach daran, dass sich spätestens ab dem „PuP“ Auftritt niemand mehr durch das Nadelöhr zwischen Bar und Mischpult durchdrängeln mochte, obwohl es vorne ziemlich luftig war.

Es folgten 90 Minuten Hits, Hits und die neuen Lieder, die auch schon Hits sind, so oft, wie ich sie schon gehört habe. Jungskracher wie „Try This At Home“ wechselten sich mit ruhigen Folksongs, wie dem Titelstück ab. Schunkellieder, wie das Letztgenannte sind mir mittlerweile lieber. Ja, ja, das Alter.

Mit Frank Turners Musik ist es seltsam. Ich mag alle seine Alben, wachse mit ihnen mit, werde älter, aber es wird mir nie langweilig. Die jüngeren Alben kann ich allesamt gut nachvollziehen und bei den Älteren schwelge ich in Erinnerungen, denke an vergangene Ereignisse, entfernte Freunde oder besuchte Konzerte irgendwo auf dieser Welt.

Erwähnte ich, dass „Redemption“ gespielt wurde?

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Redemption – Eine Erläuterung

Redemption ist das vielleicht perfekteste Frank Turner Lied. Es ist sowohl musikalisch, als auch textlich ausgereift. Die Musik beginnt zunächst leise und zärtlich, hauptsächlich durch eine akustische Gitarre getragen und baut sich Strophe für Strophe auf. Der Text ist nachvollziehbar, beinhaltete popkulturelle Verneigungen und ist (zumindest kann der Hörer davon ausgehen) durch und durch ehrlich. Vielmehr als auf dem Album England Keep My Bones, auf dem das Lied erschien, passt es thematisch auf das Nachfolgewerk Tape Deck Heart. Redemption nahm die Thematik des darauffolgenden Albums vorweg. Aber das alleine macht einen Song noch lange nicht zu einem perfekten Lied. Jeder Satz muss sitze, etwas mit dem Hörer machen, ein Gefühl auslösen, eine ganze Geschichte erzählen, ohne viele Wörter zu benutzen. Was wirklich passiert steht zwischen den Zeilen und wird nicht besungen.  Das ist Frank Turner gelungen und nebenbei liefert er bei diesem Stück noch eine beachtliche Gesangsleistung ab, indem er die verschiedenen Gefühle durch seine stimmliche Aussagekraft unterstütz.

Dieses Lied beinhaltet alles, was (große und) Frank Turner Songs ausmacht. Zunächst wäre da die bildliche, fast schon cineastisch Sprache, wie sie ein Bruce Springsteen, der diese Form des Schreibens perfektioniert hat, kaum besser hinbekommen hätte. Eine Zeile reicht aus, um den Zuhörer in eine Szenerie zu ziehen und in eine bestimmte Stimmung zu versetzten. „I was walking home to my house through the snow from the station” Turner wählte für die Eröffnungszeile eine Vergangenheitsform. Es bedeutet, unser Protagonist erinnert sich an diese Situation und alles was der Hörer in den ersten Strophen erfährt, ist bereits passiert. Der Protagonist kommt von irgendwo, vielleicht einer Party (früh morgens nach einer langen Nacht?), vielleicht vom Besuch eines Freundes oder auch einfach nur vom Einkaufen (tagsüber oder am Abend?). Vermutlich ist er alleine, jedenfalls gibt es keinen Hinweis auf eine Begleitung. Frank Turner lebt in Holloway, London. Die Holloway Road hat eine eigene U-Bahn Station, die der Protagonist verlässt, um nach Hause zu gehen. Es schneit. Vielleicht hat es gerade erst angefangen, er hinterlässt Spuren im frischen Schnee. Menschen eilen an ihm vorbei, London schläft nie und ist stets hektisch. Besonders in der direkten Nähe einer Tubestation. Der geneigte Hörer weiß jetzt, an welchem Ort der Song angesiedelt ist. Er kennt die Jahreszeit, nämlich: Winter. Und ihm ist bekannt, wo der Erzähler der Geschichte hin will. Schon die zweite Zeile zieht den Zuhörer weiter ins Geschehen. “When the Springsteen came clear in my headphones with a pertinent question”

Unser Erzähler hört Musik über einen iPod, was die Vermutung bestätigt, dass er alleine unterwegs ist. Gleichzeitig wird Springsteen erwähnt, zum einen der erste popkulturelle Verweis im Lied, andere folgen, zum Zweiten vielleicht eine Verneigung vor dem großen Meister. Warum ausgerechnet Springsteen und um welchen Song es sich handelt, den der Protagonist hört, erklärt die darauffolgende Zeile. „Oh is love really real and can any of us hope for redemption?” Diese Frage stellt sich der bereits erwähnte Bruce Springsteen in seinem wohl bekanntesten Lied “Born to Run” ebenfalls – “I wanna know if love is real. I wanna know if love is wild?” Springsteen selbst hat einmal gesagt, dass diese eine Zeile sein gesamtes Schaffen zusammenfasst und auf den Punkt bringt. Es ging immer nur um diese eine Frage und um die Suche nach einer Antwort darauf. Unser Protagonist stellt sich nun, im Schneegestöber, auf dem Weg nach Hause, dieselbe Frage. Doch statt einer Antwort darauf, spinnt der Erzähler den Faden weiter und fragt, ob einer von ihnen auf Erlösung hoffen kann. Erlösung wovon? Und wer – der Erzähler und eine weitere Person? Auflösung gibt die übernächste Zeile, die nicht in eine Vergangenheitsform gesetzt ist, als ob der Protagonist sich in diesem Moment an die Szenerie erinnert. Etwas ist noch nicht verarbeitet und beschäftigt den Helden, lässt ihn nicht zur Ruhe kommen. In diesem Moment erfährt der Zuhörer, wo der Songcharakter herkam. „Darling let me take your hand as I talk you through this“ Obwohl nichts weiter erwähnt wird blitzt ein bestimmtes Bild im Kopf auf. Zwei Menschen sitzen sich an einem Tisch gegenüber. Der eine, der männliche Protagonist, ergreift die Hand seiner Freundin und beichtet etwas. Er weiß, er wird sie verletzten. Aber er hat keine andere Wahl und beschreibt ihr seine Gefühle und wie einsam er sich in ihrer Gegenwart fühlt. Vielleicht das schlimmste, was jemand einem anderen Menschen sagen kann. Der Sänger Tom Liwa hat es mit seiner Band Flowerpornoes einmal passend formuliert: „Niemand hört gerne zu, wenn ein anderer ihm erzählt, ich wäre an jedem Platz der Welt, lieber als hier. Und nur um es dir zu sagen, hier, bei dir“. Unser Erzähler schließ resigniert: „I don’t think I can do this”. Was genau er nicht tun kann, bleibt zunächst unklar. Ist es das Schlussmachen oder das Weitermachen? Gerade das offenlassen der letzten Tatsachen, lässt dem Hörer Raum für eigene Interpretationen.

Die zweite Strophe wird eröffnet mit: „Well I tried so hard to not turn into my father.” Ein immer wieder kehrendes Thema in Turners Frühwerk, beginnend mit dem Lied Fathers Day vom Debüt Album Sleep is for the week. Frank hat aus seiner, nennen wir es angespannten, Situation zu seinem Vater nie einen Hehl gemacht. Schon bei unserer ersten Begegnung sprachen wir über unsere Väter und die Fehler, die sie gemacht haben. Ein seltsames Gespräch, weil wir uns überhaupt nicht kannten, überraschte mich Franks Offenheit. Auf der anderen Seite fühlte ich mich verstanden und mutig genug ebenfalls etwas zu meinem Vater zu sagen. Es gibt im Prinzip nur zwei Arten von Männern, die einen eifern ihren Vater nach und werden genauso. Der gleiche Lebensweg, oftmals derselbe Beruf , ein Haus in der Nachbarschaft und fast täglich Telefonate. Die anderen jedoch kämpfen ein Leben lang dagegen an. Wenn jemand ihnen sagt, sie wären genauso wie ihr Vater, nehmen sie es nicht als Kompliment, sondern als Beleidigung. Sie versuchen eigene Entscheidungen zu treffen und einen anderen Weg zu finden. Nur um irgendwann festzustellen, dass der Vater immer ein Teil von ihnen bleiben wird und sie sich nicht wehren können. Nicht alle Gewohnheiten und Charakterzüge können abgeschüttelt oder übertüncht werden. Eine Zeitlang klappt das vielleicht. Aber ganz sicher nicht für immer. Darum fragt sich der Held: „But if I only ever skip all his choices will I ever choose better?“ Und gibt gleich darauf die Antwort: “Oh the sad truth is the grass it will always seem greener.“

Die Versuchung lauert überall! Jeder der einmal länger von seinem Zuhause weg war, weiß wie einsam es in der Fremde sein kann. Die Freunde und die Familie sitzen zusammen und erleben gemeinsam etwas. Und obwohl du dir diese Situation selber ausgesucht hast, neue Länder und Städte entdeckst und jeden Abend jede Menge interessante Menschen kennenlernst, schmerzt die Einsamkeit. Eine Sehnsucht nach Wärme und Nähe entsteht in dir. Du willst gar nicht Sex haben. Eine schöne Frau, an deren Hintern du dich, unter einer kuschligen Bettdecke, reiben kannst genügt schon. Der Duft ihrer Haare beruhigt dich. Die weiche Haut, über die du streichelst wärmt dich. Ihr leises Röcheln beim Schlafen vertreibt deine Einsamkeit. Obwohl du weißt, dass deine Freundin zuhause auf dich wartet, lässt du dich trotzdem auf einen Flirt, ein Abenteuer ein. Und natürlich schlaft ihr früher oder später miteinander. Du bist ein Mann und sie ist eine Frau und ihr wolltet beide von Anfang an das Eine. Auch wenn es sich später als Fehler rausstellen sollte.

„So I left you alone in a restaurant in London in winter.” Nun verdichten sich die anfänglichen Vermutungen. Die Szenerie spielt tatsächlich in London und der Protagonist beendet die Beziehung zu seiner Freundin. Es fällt ihm schwer. Aber zu viel ist Vorgefallen, als das er zurück oder gar so weiter machen könnte. Er steht auf, zahlt womöglich noch, indem er ein paar Pfundscheine auf den Tisch wirft, dreht sich um und lässt sie alleine am Tisch zurück.

Nun wird die Musik dringender, der Gesang lauter und verzweifelter. „Adam Trask is on my back and in my ears”, Wird die dritte Strophe eröffnet. Der zweite Popkulturelle Verweis. Adam Trask ist eine der Hauptpersonen von John Steinbecks Magnus Opus Jenseits von Eden. Die Brüder Adam und Charles wachsen in der Geschichte auf einer Farm kurz nach dem amerikanischen Bürgerkrieg auf. Der Vater bevorzugt seinen nachdenklicheren und introvertierten Sohn Adam, obwohl dieser seine Liebe ablehnt. Gleichzeitig kämpft der athletische und kräftigere Bruder Charles um die Aufmerksamkeit seines Dads und wird ständig enttäuscht. Aus Eifersucht erschlägt Charles seinen Bruder beinahe. Die Erste von vielen Parallelen zu der biblischen Geschichte von Kain und Abel. Erst Jahre später, nach einer langen Odyssee von Adam, vertragen die Brüder sich wieder. Bis die hinterhältige Frau Cathy auftaucht, die aus Eigennutz Adam Zwillinge unterjubelt, die Kinder nach der Geburt abstößt und Adam schließlich verlässt, der sich daraufhin vollständig aus dem Leben zurückzieht. Die Kinder Caleb und Aron wachsen im brüderlichen Wettkampf um die Zuneigung des Vaters auf. Der, wie sein eigener Vater, den einen Sohn (Aron) gegenüber den anderen (Cal) bevorzugt.

Der Kreis zur Eröffnungszeile der zweiten Strophe schließt sich mit dem Adam Trask Vergleich. Der Protagonist ist eben doch ein Ebenbild des Vaters geworden und verletzt andere Menschen. Das wird dem Held nun auf bittere Art und Weise bewusst. „And the sound comes clear and brings the awful truth. That I can’t stand what I’ve done to you”. Der erste Satz bezieht sich wiederum auf die erste Strophe, in der Turner noch erwähnt, dass der Protagonist sich auf das Rauschen eines Tapes konzentriert. Plötzlich wandelt sich der Sound und wird als klar beschrieben. Die Erkenntnis kommt über den Charakter, er hat einen großen Fehler gemacht. Er kann mit seiner Entscheidung nur schwer leben. Und er stellt fest: „Today should have been our anniversary.” Mindestens ein Jahr ist seit dem Ereignis im Restaurant vergangen. Noch immer denkt der Protagonist an diesen besonderen Menschen. Längst ist er wieder auf Reisen, steht aber noch immer (oder schon wieder?) neben sich. „And I’m far way and I’m far apart.“ Er denkt an sie und weiß, was er ihr angetan hat: “And you’re back home with a broken heart.” Der Held beantwortet die gestellten Fragen aus der ersten Strophe und weiß nun endlich: „And loves is real and I can’t escape, I only ever have myself to blame.“ Die Erkenntnis kommt aber zu spät. Das macht den Charakter zu schaffen. Er leidet, weiß um seine Fehler. Ihm ist bewusst, es gibt keinen Weg zurück. Die Musik und der Gesang bauen sich bis zu dieser Stelle weiter auf. Frank presst diese Zeilen raus, als ob er ein Schreien unterdrücken will, aber die Wut und Trauer muss dennoch raus. Das Keyboard untermauert dieses Gefühl, indem er auf einen einzigen Akkord einhämmert. Dadurch wird das dringende Gefühl noch verstärkt.  “These failures shift and shake me in the night, Like a fever I can’t break try as I might. Wake me darling I need you take me home.” Er vermisst sie, er braucht sie. Doch sie ist nicht mehr da. Am Ende bleibt dem Protagonisten nur noch auf Erlösung zu hoffen, von der er überzeugt ist, dass sie irgendwann kommen wird. In welcher Form und wann wird nicht erläutert.

Die Musik kühlt sich wieder etwas ab. Die letzte Strophe behandelt, im Gegensatz zu der bisherigen emotionalen Sicht, eine nüchterne Betrachtungsweise. „So if each of us is made up of a tally of mistakes and successes.” Interessanterweise bezieht der Held nun seine Freundin mit ein, indem er festhält, dass wenn beide Seiten ihre Erfolge und Fehler aufzählen würden, dieser Moment im Restaurant, seine Gesamtsumme nach unten ziehen würde. (Then my hour in that restaurant makes my score less than impressive) Indirekt macht er sie zumindest mitverantwortlich. Gleichzeitig schwindet in dieser Strophe der Anteil Selbstmitleid, der durch den Song mitschwebt und wird durch eine Art Selbstverantwortung ersetzt. Der Held versucht sich einzureden, dass Schaden wieder gut gemacht werden kann, wenn er nur erkannt wird. Zumindest erhofft er sich, eine etwas bessere Punktzahl auf seiner imaginären Liste zu erreichen. „But each can be redeemed with the courage with which he confesses.” Deswegen gesteht er sich am Ende ein: “So darling I miss you, your music and your musk and your kisses.”

Frank Turner bedient sich im Text von Redemption im Wesentlichen auf zwei Motive und zieht hierfür Verweise heran. Zu einem wäre anfangs das Springsteen Zitat, umgewandelt in eine Frage, um es auf die eigenen Bedürfnisse anzupassen. Andererseits bezieht er sich indirekt auf die Geschichte von Kain und Abel, indem er den fiktiven Charakter Adam Trask erwähnt, der ihn im Nacken sitzt, weil der Protagonist, mit ziemlicher Sicherheit Frank Turner selbst, sich ihm verbunden fühlt. Ein Kernmotiv der Geschichte von Jenseits von Eden, ist die zurückgewiesene Liebe. Charles bettelt um die Liebe seines Vaters und wird abgewiesen, während Adam die Liebe des Vaters zurückweist. Das Spiel wiederholt sich später bei Adams eigenen Kindern, bis einer von ihnen durch die Mitschuld seines Bruders stirbt. Schlussendlich vergibt Adam aber seinen nunmehr einzigen Sohn und findet kurz vor seinem eigenen Tod seinen Frieden, seine Erlösung.
In dem Song werden die Verhältnisse umgedreht. Sie liebt ihn, aber er serviert sie ab. Erst als es zu spät ist, und er merkt, dass er einen Fehler gemacht hat wünscht er sich sie zurück, doch es ist zu spät. Die Erlösung wird erst noch kommen, wenn der Verlust verarbeitet wurde.
Das Stück wird von Frank nur sehr selten live gespielt, was als weiterer Hinweis auf Authentizität gelten kann. Das Lied zählt zu den direktesten und offenkundig ehrlichsten Songs im Repertoire des englischen Künstlers. Und obwohl es nie eine Single war oder zu einem Höhepunkt im Liveset werden konnte, gehört es doch mit zum Besten, was Frank Turner jemals produziert hat.
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Auf der Rückfahrt konnte ich die Finger nicht vom Bier lassen. Kurz bevor der Zug in Bremen einfuhr kam der Schaffner noch mal durchs Abteil. Er hatte meinen Platz praktisch schon passiert, als er abrupt stehen blieb und fragte: „Was ist das denn?“
Ich starrte auf das Dosenbier in meiner Hand und blickte den Schaffner blöd an.
„Alkohol ist verboten.“
„Ich trinke ja nicht“, lallte ich.
Er schaut mich verwundert an. „Und was ist das?“
„Habe ich gerade gefunden“, nuschelte ich. Was anderes fiel mir nicht ein. Ich guckte noch einmal so dämlich ich konnte und war fest überzeugt mit dieser Masche durchzukommen.
Der Schaffner schüttelte den Kopf und wendet sich ab. Spiel, Satz, Sieg, und das in meinem Zustand. Ich musste ins Bett.

  1. November 2018 – Curtis Harding, Kulturetage, Oldenburg

Auch nach dem Gig in Oldenburg, konnte ich nicht sagen, wie dieses Konzert zustande kommen konnte. Von den ausverkauften Konzerten in Paris und London, schlug Curtis Harding an einem Montag in Oldenburg auf. Das kann schon ein Schock sein. Zwar war die Kulturetage nur mäßig gefüllt, aber wie gesagt, es war ein Montag im November, was soll da erwartet werden. So gesehen, machten alle Beteiligten das Beste aus der Sache. Damit meine ich das Publikum, welches Lust auf das Konzert hatte, aber noch mehr die Band, die anfangs etwas gelangweilt und wenig inspirierend wirkte.

Curtis Harding ist sicherlich einer der interessantesten Figuren im aktuellen Soul. Eine begnadete Stimme, Songschreiber, Gitarrist, klingt er sowohl wie aus den 60er entsprungen, als auch absolut auf der Höhe der Zeit. Die Band ist gut eingespielt, aber so lustlos, wie ihr Chef, der die übergroße Sonnenbrille und den Lammwollewintermantel das gesamte Konzert über nicht ablegte. Trotzdem ist keine Schweißperle auf seiner Stirn zu erkennen. Kommuniziert wird weder auf der Bühne, noch mit dem Publikum. Seltsamerweise macht das Konzert trotzdem Spaß, weil die Songs einfach stark sind, irgendwo zwischen Gospel, R&B, Psychedelik, Blues und Schmalz. Damals, in der Blütezeit des Souls, gab es die süßen Popsongs auf dem Label Motown oder die progressiveren Bands von Stax Records. Curtis Harding verbindet beide Elemente auf seinem letzten Album „Face The Fear“, mit einer unheimlich Geschick.

Schließlich tauten Harding und seine Bands im letzten Drittel des Konzerts doch noch auf. Der Sound wurde voller und dichter. Hardings beiden größten Hits folgen hintereinander. Und am Ende lächelte der Sänger sogar kurz. Kurz dachte ich, die Zugabe wird er sich schenken, dann kam die Band doch nochmal für einen langen Jam raus. Stilecht verlässt Curtis die Bühne zuerst, bevor seine Band ihm folgt.

Die Kinder schlafen bei den Großeltern. Es war fantastisch keinen Zeitdruck zu haben und auf niemanden Rücksicht nehmen zu müssen. Zuhause noch mal „Face The Fear“ gehört und einen Absacker getrunken. Und was noch viel besser war, bis zum nächsten Morgen durchgeschlafen. Da soll ja noch was kommen.

 

  1. November 2018 – Frank Turner, Aladin, Bremen

Es ist unglaublich schön zu sehen, wie Musik Menschen verbindet. Ich traf auf diesem Konzert so viele Leute, die ich lange nicht gesehen hatte. Jeder einzelne wurde in den Arm genommen. Wenn man älter wird, bleibt das leider nicht aus. Viel zu selten sehe ich die Menschen, die ich mag. Sogar gute Freunde treffe ich nur selten, weil sie keine Zeit haben oder ich keine. Früher telefonierten wir immerhin regelmäßig, nun werden nur Kurznachrichten geschrieben und selbst für die lässt sich manch einer sich mehrere Stunden Zeit. Da lob ich mir Gunnar, von Gunner Rec, der sich vor der Show telefonisch meldete, damit wir zusammen zur Show hingehen. (Ich glaube, er wusste einfach den Weg nicht.)

Frank Turner Konzerte verbinden und ich glaube, ich könnte praktisch mit dem gesamten Publikum befreundet sein, den Frank Turner hat schlichtweg keine Arschlöcher als Fans. Alle tranken, aber niemand zu viel, es wurde getanzt, aber es artet nicht in einem unübersichtlichen und harten Pogomob aus, in dem es nur darum geht der Stärkere zu sein. Sogar der Circle Pit wirkte harmonisch.

Die Konzerte waren ansonsten „same, same, but different“ – Keine Unterschiede bei „Xylaroo“, PuP gefielen mir etwas besser als in Hannover und Frank Turner würfelte sein Set ganz gut durcheinander. Die aktuellen Stücke und die Hits behielten ihren festen Platz, aber dazwischen wurden im Vergleich mit Hannover viele andere Lieder gespielt. So fand die Reiseballade „Journey of the Magie“ seinen Weg in das Set und der wohl beste Frank Turner Song überhaupt: I AM DISAPPEARED! Moment, sagte ich so was ähnliches nicht schon mal? Egal, es ist wie es ist. Und für ein weiteres Songeassy habe ich (leider) wirklich keine Zeit. Allerdings wurde THE ROAD nicht gespielt, und ich glaube, es ist meine allererste Show ohne diesen Song, der doch viel für Frank bewegt und geöffnet hat. THE BALLAD OF ME + MY FRIENDS ist Gunnar gewidmet, der mir kurz vorher erzählt hatte, dass er gerade die Übersetzung von mir liest, in dem er auch vorkommt. Zuvor traf ich meine Freundin Ina an der Bar, die das Buch jetzt gerade liest. Es ist schön so etwas zu hören und tut gut. Wenn die Leute daran Freude haben, hat sich die Arbeit gelohnt.

Normalerweise werde ich auf Konzerten meistens betrunken. Auf Frank Turner Shows ist es hingegen umgekehrt. Ich nüchtere aus, weil ich nichts verpassen will. Wenn mir niemand ein Bier mitbringt, bleibe ich auf meinem Platz stehen und genieße die Show. Ich muss auch nie pinkeln und wenn doch, halte ich bis zum Ende aus. Endlich bin ich in meinem Leben einmal diszipliniert.

Bei den Zugaben sprang Frank nicht nur ins Publikum, ließ sich bis zur Bar über die Köpfe der Fans tragen, um auf dem Tresen stehend FOUR SIMPLE WORDS zum Besten zu geben, im Anschluss suchte er sich eine Dame aus dem Publikum und legte einen Walzer aufs Parkett.

Nach der Show erzählte Matt Nasir (Keyboards) das er mich immer sofort im Publikum erkennen würde. Fine ich cool, werde ich demnächst testen. Auf dem Rückweg mit Gunnar hat der Burger King beim Hansa Karee geschlossen. Dabei wollte ich so gerne einmal zu Fuß durch den Drive In. Ist aber auch egal, ich bin eh zu dick und der 1,99 Deal hätte die Lage nicht gerade verbessert. Es war spät und ich musste ins Bett. Am Donnerstag wartet eine Firmenveranstaltung und ich muss fit bleiben.

  1. November 2018 – Frank Turner, Michelle Records, Hamburg

Aus Potsdam kam Jan am Hamburger Hauptbahnhof an. Er ist mein ältester Freund und wir haben uns schon wieder Monate nicht gesehen. Mit ihm ist es, wie immer, es fühlt sich an, als ob wir uns vor zwei Tagen zuletzt gesehen haben. Keinerlei Distanz oder Fremde herrscht zwischen uns.

Wir suchten unsere Unterkunft für eine Nacht und dann ging es direkt weiter zu Michelle Records. Als ich in Hamburg gearbeitet hatte, verbrachte ich dort jede zweite Mittagspause und schleppte bei fast jedem Besuch irgendwas mit raus. Und wenn es nur eine (der wirklich günstigen) 7“ war. Die Besitzer haben einmal den Vorstandsvorsitzenden der HSH Nordbank keine CD verkauft, weil er für den Verlust von Millionen EUR verantwortlich und Mitverursacher der Finanzkrise war. Das fand ich eine sehr coole Aktion, fast wie in High Fidelity, nur in echt. Solche Plätze und Orte brauchen wir viel mehr.

Der Laden war brechend voll, selbst draußen standen die Leute dicht gedrängt vor dem Schaufenster, welches heute ja das Showfenster war. Als das kurze Konzert begann entstand draußen fast so was, wie eine besinnliche Stimmung, weil kein Mucks zu hören war, damit die Musik von drinnen auch in der Kälte ankam. Es hatte etwas Weihnachtliches an sich. Meine Nebenleute tranken Tee aus Pappbechern, Jan und ich blieben beim Dosenbier. „Going Nowhere“ von der neuen Platte wurde gespielt, ein tolles Stück. Aus Gründen, die ich mir nicht erklären kann, wünschte ich mir Schnee herbei. Dann machten wir uns auf zur Sporthalle.

  1. November 2018 – Frank Turner, Sporthalle, Hamburg

Ach Frank, “your are not an artist, you are something more, you are a connector”. Wieder treffe ich Leute, die ich ewig nicht gesehen habe. Allen geht es gut und die meisten scheinen sich gefunden zu haben. Das ist beruhigend zu sehen, denn das war nicht immer offensichtlich, mancher ließ sich bloß mehr Zeit, um anzukommen. Vielleicht sind sie deswegen alle Frank Turner Fans geworden?

„Xylaroo“ wirkten auf der großen Bühne der Sporthalle heute etwas verloren, während „PuP“ die Menschenmassen in vollen Zügen genoss. Während des Konzertes wurde ich irgendwie nach vorne geschoben. Matt Nasir erkannte mich wirklich und grüßte von seinem Platz hinter dem Keyboard. Hätte sich das also auch bestätigt. Obwohl die Show keine großen Überraschungen bereithielt, war ich glücklich, Jan war da, ich hatte vier Frank Turner Shows gesehen und viele Freunde getroffen. Ich strahle eine Zufriedenheit aus, dass ich sogar von einem cool tätowierten Mädchen während Frank Turners Tanzeinlage mit einer Dame aus dem Publikum gefragt werde, ob ich auch tanzen möchte. (Ich!) Mochte ich, obwohl ich keinen Walzer kann. Weitere Paare folgten unserem Beispiel. Das war alles so charmant und freundschaftlich, ich wollte nicht, dass es endet.

Es war mein vorerst letztes Konzert. Noch einmal legte ich die Arme auf die Schultern eines mir Fremdens und schunkelte zu „Polaroid Picture“. Dann ging das Saallicht an, Mexicaner auf der Schanze getrunken und schließlich im Molotov getanzt. Habe ich seit Jahren nicht mehr gemacht.

Epilog:

Auf der kleinen Aftershow Party lernte ich Rob Moir kennen, ein kanadischer Singer-/Songwriter. An diesem Freitag erschien sein Album mit dem ziemlich genialen Titel „Solo Record“ bei Made My Day Records. Seltsamerweise gab es keine Release Show für ihn, aber wie der Zufall es will, spielt Rob am Sonntag in Bremen. Es geht immer weiter. Und das ist gut.


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