„Es ist eine riskante, organisatorische Knochenmühle“

Veranstalter Christian Meyer äußert seine Gedanken zur Corona-Pandemie und den damit verbundenen Konzert- und Festivalabsagen sowie einer möglichen Zukunft

Christian Meyer. Foto: Marco Sensche - www.marcosensche.com

Für Veranstalter, Musiker und Kulturschaffende gehen die Konzertausfälle infolge der Coronavirus-Krise an die Existenz. Betroffen sind davon auch zahlreiche Freiberufler, Dienstleister, Gastronomen oder Sicherheitsfirmen. Veranstalter Christian Meyer von der Agentur Hamburg Konzerte hat ein persönliches Statement zur Lage der Branche geschrieben. Darin schildert er seine Gedanken zur derzeitigen Situation. Ihm ist wichtig, zu beschreiben wie es in der Veranstalterszene aussieht. Wohlwissend, dass das alles nur ein kleiner Teil des großen Problems ist. Klar ist, dass viele andere Bereiche ebenso betroffen sind. Alles auf unterschiedliche Art und Weise – akut oder in Folge einer möglichen Rezession. „Mir ist es wichtig, hier einfach mal die Gedanken aus einer Branche darzustellen, die anderen vielleicht fremd ist und die sie eben nur als Konsument sehr begrenzt von der anderen Seite kennen“, sagt Meyer. Mit seiner Genehmigung veröffentlichen wir sein Statement.

„Was aktuell unserer Branche, dem Unterhaltungsmittelpunkt vieler und den kulturellen Angeboten widerfährt, hätte ich niemals in diesem Ausmaß für möglich gehalten. Für mich persönlich stellt es zum jetzigen Zeitpunkt eine emotionale Karussellfahrt dar. Nur ohne Spaß und mit deutlich größeren Magenschmerzen. Seitdem unser gesellschaftliches Leben so ziemlich runtergefahren wurde, sieht es im Arbeitsalltag eines Konzertveranstalters immerhin noch recht abwechslungsreich aus.

Man macht und tut, verlegt Konzerte wild durch die Gegend: aus dem Frühling in den Herbst, Winter, auf nächstes Jahr… von einem Club in den anderen. Hauptsache eine Absage kann vermieden werden. Die Veranstaltung für alle Beteiligten hinter der Bühne und den Besuchern davor irgendwie in hoffentlich bessere Zeiten durchboxen zu können. Zeitgleich machen das natürlich auch die geschätzten Kolleginnen und Kollegen anderer Agenturen für ihre Themen. Es wird also in absehbarer Zeit nicht langweilig. Gerade auch, da das Gefühl mitschwimmt, dieses Spiel könnte sich in den nächsten Monaten noch so einige Male wiederholen. Ist doch alles so vage und in Bewegung.

Anfangs – Mitte März – herrschte Ungewissheit, wie es in den nächsten Wochen aussehen wird. Mit Blick auf den wichtigen Open Air Sommer wurde einem schon etwas flau im Magen, bei Gedanken an mögliche Absagen. Belagert von einer konkreten Bedrohung, die bereits einige Unternehmen in schwerwiegende, existenzielle Nöte gestürzt hat, aber vom Sommer dann doch noch irgendwie weit entfernt schien. Seit gestern ist die traurige, aber nachvollziehbare Entscheidung des Verbots von Großveranstaltungen bis Ende August in Kraft.

Nachdem der Brocken der Absagen fürs Erste verdaut war, verlagerte sich die anfängliche Ungewissheit und dezenten Magenschmerzen des Sommers auf den Frühherbst: Ob und wie es gegebenenfalls im September weitergehen kann. Und, und, und – ein auf und ab, das allen Beteiligten zunehmend Energie und Zuversicht kostet.

Es muss weitergehen. Und es müssen Maßnahmen auf den Weg gebracht werden, die diese Branche nicht nur über die nächsten Monate bringen, sondern auch darüberhinaus stützen. Das Veranstaltungsverbot für einen festgesetzten Zeitraum ist die eine Belastung. Die enormen, denkbaren Folgeschäden, die sich bereits jetzt für die Monate danach abzeichnen, die andere.

Der kulturelle Sektor ist nun Mal einerseits das heiß geliebte Bällebad für Ausgehhungrige, was jedoch in der Krise notgedrungen zweitrangig wird. Es ist verständlich, dass niemand über seine Freizeitgestaltung der nächsten Monate nachdenkt, lebt man doch von Woche zu Woche in Isolation, eingeschränkten Bewegungsmöglichkeiten, möglicherweise gesundheitlichen Einschränkungen und ist gegebenenfalls ebenfalls finanziell durch Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit betroffen.

Andererseits stellt der kulturelle Sektor aber die Lebensgrundlage Tausender dar. Ein kurzer, mehrwöchiger Lockdown ließe sich sicherlich verkraften. In der jetzigen Situation wird jedoch eingefordert den gesamten Stillstand von Tag 1 bis zum ungewissen Ende durchzustehen. Und mit Ungewissheit lassen sich weder Veranstaltungen planen, bewerben und Tickets verkaufen, noch laufende Kosten tragen und über das nächste Jahr hinaus denken. Für alle Akteure, die an einem tollen Konzerterlebnis beteiligt sind. Einschließlich der Künstlerinnen und Künstler.

Ich mag meine Arbeit und merke in diesen Tagen, wie wichtig diese Erkenntnis doch ist. In diesen Wochen und Monaten würde ich mir mehr Aufmerksamkeit und Verständnis für den gesamten Sektor wünschen.

Es ist weniger Glamour und Rock n Roll, viel mehr eine riskante, organisatorische Knochenmühle. Mal läuft es gut, häufiger eher mäßig, dann gibt es die Ausnahmen, die einen nach vorne bringen. Sie fordert, verlangt ab, bindet zeitlich stark und lässt einige Extrameilen gehen, die einfach in Kauf genommen werden müssen.

Aber sie belohnt auch, sogar unabhängig vom finanziellen Ergebnis einzelner Veranstaltungen – ehrlich und direkt: Mit einprägsamen Konzerten toller Künstlerinnen und Künstlern in einer Umgebung, die internationaler und abwechslungsreicher nicht sein kann. Mit den Jahren fühlt sie sich aber doch vertraut wie ein Dorf, eine Seitenstraßen-Kneipe am Hans-Albers-Platz und eine freundschaftliche, meist wertschätzende Gemeinschaft an.

Das sind die Personen in meinem direkten Umfeld, die den Beruf zu dem machen, was er ist. Mich begeistern die Künstlerinnen und Künstler mit denen wir zusammenarbeiten, und ich mag die Spielstätten in denen wir so häufig zu Gast sein dürfen. Ich schätze und bewundere unsere eingesetzten Freiberufler, wie sie sich von Monat zu Monat durchbeißen und unsere verschiedenen Dienstleister, die uns in so vielen Projekten den Rücken freihalten und unter die Arme greifen. Ich bin dankbar für die langjährigen Beziehungen zu unseren Partnern und ihr Vertrauen in unsere Arbeit.

Und ja, die kulturelle Vielfalt vor allem in Hamburg und die Freiheiten und Privilegien die wir allgemein in unserem Land genießen können, sind etwas Besonderes. Und deshalb ist dieser Zustand nur schwer zu ertragen.

Alle Maßnahmen und zeitlichen, behördlichen Vorgaben sind sicherlich richtig und verständlich zur Eindämmung einer weiteren Verbreitung des Virus. Dass sie jedoch diesen Wirtschaftszweig ohne Rücksicht, mit schonungsloser Härte, langfristig und in seiner Gesamtheit treffen, ist die besorgniserregende Zustandsbeschreibung, der jetzt entgegengewirkt werden muss, um unwiderrufliche Schäden abzuwenden.

Besonders über die nächsten Monate akuter Stille und im speziellen in der vermutlich schwierigen Zeit danach, muss den Kulturschaffenden und allen beteiligten Akteuren mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung geschenkt werden. Auf gesellschaftlicher und finanzpolitischer Ebene. Ansonsten wird es sehr dunkel um die kulturelle Vielfalt und überschaubarer die Freiheiten und Privilegien beim nächsten Sprung ins heiß geliebte Bällebad.

Danke, dass ihr euch die Minuten für meine Gedanken genommen habt. Ich wünsche euch allen Gesundheit und Durchhaltevermögen.“


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