Die Alben des Jahres 2023 – von Marcel

Ein persönlicher Rückblick auf die neu erschienenen Studioalben der vergangenen zwölf Monate - von Headlinern, bis Newcomern, mit Platzierungen.

Frank Turner, Foto: pfa

Bremen. Spofity sagt in meinem Jahresrückblick, ich sei ein „Hypnotiseur“. Was das bedeutet? „Du hörst Alben gerne komplett, vom ersten Song bis zum letzten Ton.“ In Zeiten von Singles und Playlisten gibt es zum Glück weiterhin zahlreiche Künstler*innen, die ihre Fans auf Albumlänge überzeugen – wer das schafft, hat schon vieles richtig gemacht. 2023 gab es einige Neuerscheinungen, die man von Anfang bis Ende immer und immer wieder hören will. Im Rückblick auf die besten Erscheinungen und Neuheiten der letzten zwölf Monate, sind zu viele starke Alben für eine Top-10 erschienen. Um euch an meiner Lieblingsmusik teilhaben zu lassen und einige Tipps zu präsentieren, gibt es deshalb wie schon 2021 und 2022 die Top-20-Alben des Jahres. Wie gewohnt findet ihr hier zu jeder Platte ein wenig Text und ein Musikvideo. Viel Spaß beim Lesen, Hören und Entdecken!

20. Casper – Nur Liebe, immer

Der Nachfolger des Wahnsinns-Albums „Alles war schön und nichts tat weh“ aus Februar 2022 erschien überraschend schnell und ist gänzlich anders aufgebaut. Weniger Konzept, mehr Mixtape-Stil, weniger Band-Instrumentierung, mehr Beats und elf Songs in nur 30 Minuten. Casper wagt sich dennoch an schwere Themen, klingt zugänglich, meist unbeschwerter und stilistisch bunter.

19. Nina Chuba – Glas

Der immer größer werdende Hype um die junge Sängerin mündete Anfang des Jahres im Debütalbum „Glas“. Nach dem Über-Hit „Wildberry Lillet“ verkommt sie nicht zum One-Hit-Wonder, sondern präsentiert ein vielseitiges und unterhaltsames Werk voller beatgetränkter Stücke, die Spaß machen, Tatendrang und Lebensfreude versprühen.

18. The Murder Capital – Gigi’s Recovery

Die fünfköpfige Band aus der irischen Hauptstadt legt mit intensiven Post-Punk-Klängen nach, die einnehmend und bedrückend daherkommen. Flehender Gesang, drückender Bass und furioses, treibendes Schlagzeug sorgen für wuchtige Dunkelheit und live für offene Münder.

17. Kommando Kant – Eklat

Die aus Nordfriesland stammenden Wahl-Hamburger spielen auf ihrem dritten Album eine Mischung aus Indie- und Punkrock und lassen in neuer Besetzung subtile Pop-Einflüsse zu. Dennoch weit weg von Geschliffenheit, durchaus eingängig und stellenweise angenehm reduziert, werden persönliche Geschichten erzählt, die eine noch größere Hörerschaft verdient hätten.

16. Mola – Das Leben ist schön

Die bayrische Sängerin und ihre Band verstehen es, in drastischer Sprache Geschichten voller Tragik und Bitterkeit über Selbstzerstörung, Trennungsschmerz und komplizierte Beziehungen zu singen. Facettenreicher Indie-Pop, vorgetragen mit kratzigem Gesang und einer vom Leben geprägten Stimme – ohne jegliche Plattitüden und gut geeignet als Absturzbegleitung.

15. Dilla – Also bin ich

Die Newcomerin und Wahl-Berlinerin orientiert sich auf ihrem Debütalbum weg vom Techno-Pop früherer Singles und hin zu einem bunten Mix von Pop-Punk bis Piano-Ballade. Die Songwriterin und begabte Musikerin legt sich nicht fest, bringt in einigen Songs New Wave-Elemente ein, überzeugt mit großem Stimmvolumen, gelungenen Pop-Momenten und sogar mit ganz reduziertem Instrumental am Ende.

14. Portugal. The Man – Chris Black Changed My Life

Die spannende Band aus Alaska bringt sechs Jahre nach dem Mega-Hit „Feel It Still“ den Nachfolger und ihr bereits neuntes Studioalbum heraus. Sonnige Melodien gehen darauf mit ernsten, traurigen Themen einher – mit dem im Albumtitel gewürdigten Chris Black verlor die Band einen langjährigen Freund. Musikalisch näher am Sommerhit als an Grabesstimmung gibt es hochwertig produzierte Klänge voller verspielter Melodien, vielfältiger Einflüsse und großer Ästhetik.

13. Klan – Jaaaaaaaaaaaaaaaa!

16 Buchstaben für 16 Songs, auf denen die Brüder zeigen, wie DIY-Pop geht – inhaltlich punkig-politisch, musikalisch lebensbejahend und voller Pop-Appeal. Melancholie schwingt in den intelligenten und emotionalen Worten von Klan fast immer mit, ihre charismatischen Geschichten sind universell erzählt und die Leidenschaft ist auf Platte und auf ihren Konzerten greifbar.

12. Måneskin – Rush!

Der Albumtitel „Rush“ beschreibt ziemlich adäquat die Erfolgsgeschichte der jungen italienischen Rockband seit ihrem ESC-Gewinn vor zwei Jahren. Die ansteckende Energie und Leidenschaft ihrer Vermählung von Alternative, Glam und Disco macht unglaublich viel Spaß. Dynamische Rockmusik mit treibendem Bass, tanzbare, vorzüglich komponierte Ohrwürmer und einer der berechtigtsten Hypes der letzten Jahre.

11. Somebody’s Child – Somebody’s Child

Nicht von schlechten Eltern: Hinter Somebody’s Child und seinem selbstbetitelten Debütalbum steckt der irische Sänger und Gitarrist Cian Godfrey, ein Kind des Indie-Rocks. Zwischen schmissigen und tanzbaren Liedern bis zu bittersüßer Melancholie gelingen ihm mitreißende Songs, größtenteils im Uptempo-Bereich, die tagelang im Kopf bleiben und ihm hoffentlich bald mehr als einen Geheimtipp-Status einbringen.

10. Spanish Love Songs – No Joy

Ein Soundtrack für die zweite Jahreshälfte! Die Indie-Punk-Gruppe aus Los Angeles entwickelt sich auf ihrem neuen Album weiter und bleibt ihren hymnischen Refrains und fantastischen Hooks treu. Umarmende Perlen mit leidenschaftlichem Gesang – Musik, die man sich vom kleinen Club bis zum großen Stadion auf jeder Bühne vorstellen kann.

9. Ansa Sauermann – Du kriegst was du brauchst

Das dritte Album des in Dresden geborenen und in Wien lebenden Singer-Songwriters ist ein höchst lebendiges Gesamtkunstwerk voller Liebe und Lebensfreude. Handgemachte, bodenständige, ehrliche Musik mit detailverliebter Gitarrenarbeit und charismatischer Ausdrucksweise, vorgetragen mit kräftig-kratziger Stimme. Ein Volltreffer auf ganzer Linie!

8. Team Scheisse – 042124192799

Bremer Punkrock macht Welle in ganz Deutschland! Irre, was die Viertel-Combo in den letzten Jahren erlebt hat. Mit ihrem zweiten Album setzen Team Scheisse am bewährten Deutschpunk-Erfolgsrezept an, stellen den Spaß in den Mittelpunkt, können aber auch entschieden Klartext gegen Rechts sprechen. Sprachsamples und Anspielungen ohne Ende, das geniale „Vorratskammer“ und das Blockflötensolo haben „042124192799“ zu einem der meistgespielten Alben und besonders zum ständigen Begleiter in der Festivalsaison werden lassen.

7. Hotel Rimini – Allein unter Möbeln

Auf den letzten Metern ist eines der aufregendsten Debütalben des Jahres erschienen, das musikalisch, textlich und stilistisch schlichtweg begeistert. Grandios instrumentiert mit Kontrabass, Cello und Violine, voller raffinierter Textkreationen, ausgefeilt komponiert und stets erfrischend. „Allein unter Möbeln“ ist kein Album für die Kopfhörer in der Bahn, es verdient Konzentration und Fokus auf dem Hörgenuss. Besondere Klänge und große Kunst!

6. Donots – Heut ist ein guter Tag

Im 30. Jahr ihrer Bandgeschichte erleben die Donots ihre erfolgreichste Zeit und machen nach drei Jahrzehnten nochmal einen gewaltigen Sprung. Festivalauftritte von Hurricane bis Wacken, ausverkaufte Tourneen – und all das mit ihrem zwölften Studioalbum, das bewegungshungrig, wuchtig und energiegeladen sowie mit einer hohen musikalischen Bandbreite den Weg in die Herzen der Fans findet. Prägnant, hoffnungsvoll und mutmachend – vom Weltuntergang sind wir hoffentlich noch ein paar Jahre entfernt.

5. Holly Humberstone – Paint My Bedroom Black

Das Debütalbum der britischen Indie-Pop-Sängerin unterstreicht das Bild einer spannenden, facettenreichen Künstlerin, die persönliche Geschichten, scharfe Beobachtungen und kleine Momentaufnahmen in ein musikalisch abwechslungsreiches Gewand legt. Voller Charme, Wendungen und Detailverliebtheit singt sie in dunklen wie hymnischen Klängen mit Bedroom-Pop-Stil, elektronischen Elementen und schönen Refrains über den Alltag einer jungen Newcomerin zwischen Teenager-Herzschmerz und Mittzwanziger-Endzeitstimmung.

4. Tränen – Haare eines Hundes

Indie-Musikerin Gwen Dolyn und Kraftklub-Gitarrist Steffen Israel sind das Duo Tränen und haben Mitte des Jahres ihr erstes musikalisches Lebenszeichen abgegeben. Zwischen Indie, Punk-Attitüde, einer großen Portion Neue Neue Deutsche Welle und eingängigen Pop-Melodien ist ein eigenständiges Album entstanden. Makellose Songs mit glasklarer Stimme, die eine magische Anziehungskraft entfalten und sich nachhaltig im Gedächtnis einprägen.

3. Raum27 – Anfangen anzufangen

Die Bremer von Raum27 transportieren auf ihrem Debütalbum intensive Stimmungen und tiefe Emotionen in unglaublich schöne, tiefgründige Songs. Damit haben sie in diesem Jahr die unglaubliche Zahl von 71 Konzerten gespielt, zuletzt war fast ihre gesamte Tour ausverkauft oder wurde hochverlegt. Kein Album des letzten Jahres löst eine solche Bandbreite an Gefühlen aus. Mit Hingabe und Herzblut sind moderne und tanzbare Songs im selbstgegründeten Genre „Hardcore-Pop“ entstanden und mit „Bremen“ eine ganz besonders emotionale Hymne.

2. Captain Planet – Come On, Cat

Nach sieben Jahren veröffentlicht die Hamburger Emo-Punk-Institution ihr neues Studioalbum und ein packendes Gesamtkunstwerk. Voller Energie und mit intelligenten, typisch kryptischen und vieldeutig interpretierbaren Texten. Melodiös und treibend, drückend und dramatisch. Jeder Song könnte für sich stehend ein Hit und eine Hymne sein und doch ist es das Album, das als Ganzes hervorsticht. Captain Planet zeichnen ein realitätsnahes Bild, beschönigen nichts und lassen dennoch den Mut und die Hoffnung am Ende gewinnen. Großartig!

1. Pascow – Sieben

Die saarländische Punkband Pascow landet im 25. Jahr ihres Bestehens an der Spitze der persönlichen Jahrescharts. „Sieben“ ist laut und bissig, klug und auf den Punkt getextet – auch wenn dieser oft schmerzhaft ist. Kritische Songs mit oft ernüchternden Fazits über die konservative Leistungsgesellschaft, soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeiten. Ein vielfältiger Rundumschlag, temporeich und tanzbar, voller Ideen und ohne Bremspedal. „Sieben“ ist ein bewegendes und aufrüttelndes Werk, das bestärkend, auf- und entladend sein kann und bei jedem Hördurchgang andere Punkte trifft.

In der Vorschau auf die bisher bekannten Veröffentlichungen des Jahres 2024 gibt es bereits eine ganze Reihe an vielversprechenden Alben und neuer Musik. Über allem stehen natürlich Kettcar, die am 5. April den Nachfolger ihres 2017er-Meisterwerks „Ich vs. Wir“ mit dem Titel „Gute Laune ungerecht verteilt“ herausbringen. Bereits in den ersten beiden Monaten erscheinen Alben von Giant Rooks, Sperling, Mine, Tom Odell und Idles, zum Sommer erwarten wir große Kunst von Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys. Es bleibt spannend!

 


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