Nahe der Utopie

Das ausverkaufte Forest Jump Festival in der Nähe von Salzwedel hat am letzten Wochenende in besonderer Atmosphäre die Besucher verzaubert.

Blood Red Shoes

Salzwedel. Bereits zum achten Mal hat ein abgelegener und einzigartiger Ort in Sachsen-Anhalt ein Wochenende lang als Kulisse für ein wunderbares Festival gedient. Beim „Forest Jump“ im eigens errichteten  „Zauberwald“ sind in diesem Jahr weit über 1000 Besucher in die spezielle Atmosphäre eingetaucht.

Auf dem übersichtlichen Gelände gibt es jede Menge zu entdecken. Zwischen die Bäume ist ein riesiges Netz gespannt, das zum Ausruhen einlädt, eine Wasseroase ist ebenso gemütlich. Neben einem Aussichtturm aus Holz mit steiler Rutsche gibt es mehrere Schaukeln, ein in die Bäume gespanntes Trampolin, ein Open-Air-Wohnzimmer mit Sofas, Bibliothek und Brettspielen sowie ein überdimensionales Hamsterrad, geschnitzte Holztiere, Tischkicker und eine Tischtennisplatte. Zusätzlich gibt es eine Skaterbahn, eine Galerie mit Gemälden und ein schwebendes Flugzeug mit einem großen Teddy als Pilot. Auch die Theke und die schon seit Jahren so genannte „Frittenbude“ als Verpflegungsmöglichkeit sind aus Holz selbstgebaut. Über den Köpfen der Besucher vor der Bühne erstrecken sich an den Bäumen befestigte Lichterketten sternförmig zu einer Diskokugel in der Mitte.

In der „Frittenbude“ werden eigens angebaute Kartoffeln vor Ort zu Pommes verarbeitet, es gibt eine gesunde Nudelpfanne und morgens wird dank eines Bauchladens sogar auf dem gemütlichen Campingplatz Frühstück mit frischen Brötchen und Kaffee verkauft. Es ist schön, solche nicht-kommerziellen Festivals zu erleben, wo die Liebe zur Sache und zum Detail für das engagierte Team im Vordergrund steht.

Das musikalische Programm startet Freitag am frühen Abend mit der Indie-Rock-Gruppe Reiche Söhne, die mit ihrem Bandnamen und der zugrundeliegenden Attitüde spielen. Sie ziehen ihren Stil unterhaltsam durch – „warum ein Tiny-House bauen, wenn man sich einfach ein großes Haus kaufen kann?“ Viele eigene Stücke werden ebenso wie eine Referenz an „Bad Guy“ von Billie Eilish angespielt. Doppelte Girl-Power gibt es anschließend bei Blond, zu denen es sich angenehm füllt im Publikum. Durch die großzügig bemessene Fläche vor der Bühne hat jeder ausreichend Platz.

Kaum jemand hier hatte vor dem Festival die Band Strange Bones aus Großbritannien auf dem Zettel, die zur besonders positiven Überraschung werden. Es gibt drückenden Stoner-Rock, eine eskalative Rock-Show und die ersten großen Moshpits. Diese werden beim folgenden Headliner-Auftritt der Elektro-Punk-Gruppe Frittenbude weitergeführt. Die Verpflichtung des bekannten Acts vom Label Audiolith ist ein Coup für das Festival, der begeistert aufgenommen wird. Es gibt eine Aneinanderreihung von Singles und temporeichen Songs und Party ohne Pause. Bis weit nach Sonnenaufgang können die Besucher im Anschluss noch stundenlang weiterfeiern und vor der Bühne zu verschiedenen DJs tanzen.

Mehr oder weniger ausgeschlafen können die Gäste am nächsten Tag in Ruhe aufstehen, denn das richtige Programm beginnt erst am späten Nachmittag. Bis dahin lassen sich die Stunden aber problemlos auf dem Campingplatz oder mit den zahlreichen Möglichkeiten des bereits geöffneten Geländes nutzen. Musikalisch startet der Tag mit kompromisslosem Post-Hardcore von Havarii aus Hamburg, die neben einer kräftigen weiblichen Stimme auch Wechselgesang anbieten können. Fibel spielen im Anschluss ein ausgedehntes Set voller Post-Punk und New-Wave-Elementen. Es fühlt sich wie eine super spielstarke Clubshow mit fulminantem Ende an.

Nach einem rockigen Beginn des zweiten Tages geht es mit Rapper Yassin weiter. Es ist bemerkenswert, wie Fans von Gitarrrenmusik auf diesem Festival plötzlich zu Hip-Hop oder elektronischen Beats abgehen und umgekehrt. Vor zwei Jahren war der gebürtige Darmstädter noch mit seinem musikalischen Sidekick Audio88 hier, heute präsentiert er solo weniger zynische und persönlichere Rap-Songs seines Debütalbums „Ypsilon“. Am Geburtstag des Drummers tritt mit den Briten Blood Red Shoes eine der größten Bands auf, die der Zauberwald bisher gesehen hat. Sie spielen ein packendes und dynamisches Set voller Energie. Einige Songs performen sie als klassisches Rock-Duo mit Gesang/Gitarre und Schlagzeug, in der Mitte des Sets kommen zwei weitere Musiker unterstützend dazu, die einen breiten und dichten Sound erzeugen.

So endet der diesjährige Festivalsommer in der friedlichen Wohlfühlatmosphäre des besonderen Idylls. Das Forest Jump Festival ist weit mehr als ein idealer und entspannter Ausklang des Sommers – es ist eine eigene, kleine Welt, in der für die Sorgen des Alltags kein Platz ist. Mit Herzblut werden im Zauberwald zusätzlich Werte wie Gemeinschaft, Liebe und Weltoffenheit vorgelebt. Nicht das Individuum, sondern das Kollektiv steht im Vordergrund. Die an eine Utopie angelehnte Idee des Zauberwalds leistet einen wichtigen Beitrag dazu, die richtigen Werte zu vertreten. So nehmen die über 1000 Besucher hoffentlich ein kleines Stück des Tatendrangs und Gedankenguts aus diesem Wochenende mit in den Alltag.

Klickt euch hier durch unsere ausführliche Bildergalerie.

 


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