Bruce Springsteen – Letter to you, Columbia 2020

Bruce Springsteen hat sich noch einmal aufgerafft, die E-Street Band zusammengetrommelt und ein weiteres (Alters-)Werk aufgenommen, welches genau zur richtigen Zeit kommt.

Immer wenn die USA in einer tiefen Krise steckte, war Bruce Springsteen als Seelentröster, Mutmacher, Erlöser, aber auch Mahner für die Amerikaner zur Stelle. Springteen bietet den Menschen seine breite Schulter, an der sie sich anlehnen und trösten lassen können, wie einst Springsteen selbst sich auf dem Cover des Albums Born To Run an die Schultern seines Freundes Clarence Clemons stützte.

Das war nach den Anschlägen 2001 in New York der Fall (The Rising), nach dem Einzug der USA in den zweiten Irakkrieg (Magic), nach der Finanzkrise (Wrecking Ball) und nun geht Letter To You auf die Coronakrise und zumindest zu einem kleinen Teil auf die Präsidentschaft von Donald Trump ein. Ein politisches Album ist Letter To You dennoch nicht geworden. Alle genannten Platten, mit Ausnahme von Wrecking Ball vielleicht, auf der Springsteen besonders wütend auftrat, eint die Fähigkeit Springsteens, die richtigen Worte zu finden und dem Schmerz der Menschen durch einen Verlust, Hoffnung, Trost, Verständnis und Spiritualität entgegenzusetzen (statt Hass, Wut und Resignation).

Schon in seiner Lockdownradioshow „From my home to yours” auf Sirius XM (und mit Verspätung auf Radio 1) fand Springsteen (oft mit brüchiger Stimme) einfühlende Worte und die dazu passenden Lieder aus dem eigenen Schaffen, aber auch von anderen Künstlern quer aus der Popwelt, von 50’s Gesangsgruppen, über Gospel, immer wieder Bob Dylan, Punkrock bis Hip Hop. Songs, die Trost spenden sollten, aber auch Hoffnung verströmten. Und natürlich auch Freude verbreiten sollten, denn so sehr Springsteen es versteht, Schmerz zu absorbieren, so schlau ist er auch, dass es immer zwei Seiten im Leben gibt und der Schmerz niemals überwiegen darf, sondern nur eine Momentaufnahme sein kann.

In den letzten Jahren hatte es den Anschein, als arbeitete Springsteen sich bereits an seinem Vermächtnis ab. Erst die Autobiografie, der passende Soundtrack Chapter & Verse dazu und schließlich die Auftritte am Broadway. Zusammen mit dem Album Western Stars und den dazugehörigen Konzertfilm verordnete Springsteen sein Leben und Werk als amerikanischen Schatz, der versuchte sein Leben mit der Seele eines Amerika zu verbinden, welches in dieser Form vielleicht nie existierte, aber immer Idealvorstellung und Ziel war (und sein sollte). Sollte Western Stars in dieser Beziehung zu dick aufgetragen gewesen sein, so findet Springsteen mit Letter To You wieder den richtigen Ton.

Aufgenommen wurde das gesamte Album live von der E-Street Band in vier Tagen in Springsteens Studio in New Jersey. Es dürfte die erste gemeinsame Arbeit im Studio seit Rising gewesen sein. Normalerweise ist diese Vorgehensweise ein Zeichen für Einfallslosigkeit oder Heraufbeschwörung eines längst vergessenen Geistes. Noch einmal alles wie früher machen, dürfte ein Antrieb für diese Vorgehensweise gewesen sein. An manchen Stellen trieft das Album gar vor Nostalgie.

Wie schon auf Chapter & Verse schlägt Springsteen auch auf Letter To You eine Brücke von den eigenen Anfängen in die Gegenwart. Initialzündung für Letter To You war angeblich der Tod des langjährigen Freundes und ehemaligen Castiles Mitglied (Springsteens erster Band Mitte der 60‘). Springsteen ist nun der letzte Überlebende (war aber auch jüngstes Mitglied) der Band. Den ersten Verlust beklagte die Band bereits im Jahr 1967, als The Castiles noch aktiv waren) als der Schlagzeuger in Vietnam fiel. Was abermals die Verknüpfung zwischen Leben und Werk bei Springsteen aufzeigt. Ein Bandfoto der Castiles mit dem jungen Springsteen ist im Albumcover abgedruckt, als ob sich ein Kreis schließt.

Aus dieser Verbundenheit haben es schließlich drei Lieder, die Springsteen in den frühen 70’er geschrieben hat, ebenfalls auf Letter To You geschafft, alle zuvor unveröffentlicht, aber unter Fans durchaus bekannt. Allen voran If I Was The Priest kann an dieser Stelle nicht anders als majestätisch bezeichnet werden. Da ist es nach einigen Durchgängen des Albums fast egal, dass Riffs, Melodiebögen, Wechsel und Songstrukturen bekannt klingen und die Texte gespickt sind mit Verweisen zum eigenen Werk. Bei Ghost taucht plötzlich der Johnny aus The Promise – einem Outtake des Albums Darkness On The Edge Of Town – auf. Und genau dieser Albumtitel wird gleich im ersten Stück One Minute You Are Here genannt.

Im neueren Kernstück House Of A Thousand Guitars gibt es eine Verbindung zu We Take Care Of Our Own von 2021. Dort hieß es in Anspielung auf Präsident Obama: “I’ve been knockin‘ on the door that holds the throne / I’ve been lookin‘ for the map that leads me home / I’ve been stumblin‘ on good hearts turned to stone / The road of good intentions has gone dry as bone.” Hätte Springsteen geahnt, was danach folgen sollte, wäre er vielleicht etwas nachsichtiger gewesen. Aber wie schon eingangs geschrieben, war das Album Wrecking Ball, von dem die Zeilen stammen, ein wütendes Werk. Denn nun textet Springsteen: „The criminal clown has stolen the throne / He steals what he can never own / May the truth ring out from every small-town bar.”

In diesem Song, aber auch in Ghost beschwört Springsteen den spirituellen Geist seiner Band, die das Haus des Rock n Roll bilden, besonders deutlich wird das während der Konzerte von Bruce Springsteen & The E-Street Band, wenn ein Gefühl von Gemeinsamkeit kreiert wird, wie es sonst nur bei Gottesdiensten geschehen kann.

Letter To You lebt von dieser Spiritualität, zieht seine Kraft aus dem Gospel und Soul vergangener Tage und verpackt alles in eine Rockplatte. Mehrmals taucht in den Texten ein Zug auf (wie schon bei Land Of Hope & Dreams), dieses wiederkehrende Gospel-Thema, ein Zug, der die Menschen irgendwo hinfahren kann, wo es besser, schöner, gleicher, gerechter ist. Die Suche nach einem Ideal hört niemals auf. Schon im 70’er Outtake Iceman hieß es hinsichtlich der Möglichkeiten „better is the search.“

Und Springsteen wäre nicht Springsteen, wenn am Ende die Hoffnung nicht obsiegen würde. Der Song für seinen alten Freund, aber auch für alle Menschen, die einen Verlust erlitten haben: „The road is long / And seeming without end / Days go on / I remember you my friend / And though you’re gone / And my heart’s been emptied it seems / I’ll see you in my dreams.”

Natürlich arbeitet Springsteen sich auf Letter To You weiterhin am Gefühlszustand einer Nation ab, allerdings mit einer deutlichen Steigerung zum eher mäßigen Western Stars, welches eher bemüht und konstruiert daherkam, als ob Springsteen den Bezug zu den Menschen verloren hatte. Mit Letter To You hat er es allerdings abermals geschafft, die richtige Stimme und das Gefühl, was die Menschen jetzt brauchen einzufangen. Vielleicht nicht die beste Springsteen Platte, weil weniger Überraschend als beispielsweise Wrecking Ball oder Magic, in den letzten 20 Jahren, aber eine wichtige zur richtigen Zeit!

 

 


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