Mehr Rückgrat, bitte

Musik zwischen Rock, Rap und Melancholie: Lostboi Lino ist mit Support von RGB am Freitag in Bremen aufgetreten.

Lostboi Lino

Bremen. Gleich auf seiner ersten Headliner-Tour hat Newcomer Lostboi Lino am Freitag den Tower ausverkauft. Mit seiner facettenreichen Musik stand er vor einem überwiegend jungen und dennoch durchmischten Publikum auf der Bühne. Mit den Songs seines Albums „Lost Tape“ und einigen neuen Singles hat er bereits mehr als eine Million monatliche Spotify-Hörer*innen. Die Stimmung seiner Musik live zu transportieren gelingt ihm über weite Strecken, es gibt aber auch große Kritik am Auftritt.

Zunächst steht mit RGB ein zweiter, aktuell noch unbekannter Newcomer mit seinem DJ auf der Bühne. Die Abkürzung seines Künstlernamens steht für Rot, Grün, Blau – die Primärfarben, aus denen sich alle anderen Farbtöne des für den Menschen wahrnehmbaren Spektrums bilden lassen. Ähnlich vielfältig wie die Farbpalette ist auch seine Musik, die sich grob irgendwo zwischen Pop und Rap einordnen lässt. Mal kraftvoll, mal introvertiert und nachdenklich behandelt er härtere Themen wie Alkoholtherapie und Angststörungen in einem durchaus temporeichen und experimentierfreudigem musikalischen Spannungsfeld.

Bei der zehnten Show seiner Tour benötigen Lostboi Lino und sein lautes Publikum kaum Anlaufmomente. Der Sänger mit den markanten, pinken Haaren, dem rebellischen Stil und der offensichtlichen „Fuck You“-Attitüde legt einen guten Start hin. Das Intro seines „Lost Tapes“ spiegelt genau diese Einstellung wider. Die Stimmung vor der Bühne ist ausgelassen, der Applaus lang und der Protagonist auf der Bühne in dicker Winterjacke noch warm eingepackt. Warm spielt er sich auch mit seiner Live-Band, bestehend aus Anna Thienes an der Gitarre und Michi Dreilich an den Drums, die beide eine Verstärkung und eine Bereicherung für die Musik sind.

Rund um seinen an Herbert Grönemeyer angelehnten Song „Männer“ wird die Szenerie gegen Mitte des Abends leider weniger ruhmreich. Auf die routinierten Fragen „Wo sind die Männer / wo sind die Frauen?“ folgt ein Satz wie „Würde sich jemand dazwischen einordnen?“. Vorne geht eine Hand hoch und sofort fliegt ein leerer Bierbecher in diese Richtung und rollt weiter auf die Bühne. Jemand aus dem Team um den Act sammelt diesen ein und baut sich für einige Minuten beobachtend am Bühnenrand auf. Der Vorfall wird aber mit keiner Silbe erwähnt, sonst hat es offenbar keiner gesehen oder es will keiner gesehen haben. Stattdessen wird der Song normal gespielt und Lino kommt oberkörperfrei zurück auf die Bühne – in Zeiten, in denen viele Venues darauf hinweisen, dass genau dies unter den Besuchern nicht erwünscht ist, ist es vorgelebt auf der Bühne verwerflich und im Gesamtkontext des davorliegenden Vorfalls geradezu bizarr.

Im folgenden Set spielen Lostboi Lino und seine Band einige Stücke des neuen Albums „Phase“, das im Sommer erscheinen wird. Leider sind Teile des Publikums vorne zu diesem Zeitpunkt von einer Abi-Malleparty kaum zu unterscheiden. Bierselige Sprechchöre ohne Kontext hallen durch den Club und es wird unbehelligt geraucht. Zumindest den Gesten nach zu urteilen, scheint dies den Künstler selber zu stören, aber auch hierzu sagt er nichts. Immerhin bekommen die an der Musik interessierten Gäste mit der akustischen Zugabe noch den schönsten Moment des Abends geboten.

Seht euch hier unsere Konzertfotos an:

 


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