Erlebnisurlaub am Naturspektakel

Von Freitag bis Sonntag fand in wunderschöner Atmosphäre bereits das zehnte Watt En Schlick Fest in Dangast an der Nordsee statt.

Maximo Park

Dangast. Es ist ein Kompliment für ein Festival, wenn die Besucher*innen direkt zur Öffnung des Geländes zum Merchandise strömen und sich mit T-Shirts, Pullovern und sonstigen Kleidungsstücken eindecken. Das Watt En Schlick ist ein besonderer Festivalentwurf, ein Lieblingsort, ein Urlaub für die ganze Familie. Direkt am Strand gelegen, verbindet es in Dangast nun bereits im zehnten Jahr Musik, Natur und Kunst. Der Ruf als eines der schönsten deutschen Festivals eilt ihnen längst voraus, und der sofortige Ausverkauf aller Tickets nach Vorverkaufsstart für das Folgejahr hat sich zur schönen Tradition entwickelt.

Fernab von Alltagssorgen und ohne die Unbehaglichkeiten der großen Mainstream-Festivals, vereint das Watt En Schlick unterschiedlichste Menschen, die friedlich zusammenkommen und gemeinsam Kultur erleben. Am Strand sieht man Freunde und Familien auf Decken, Kinder spielen im Wasser oder im Schlick und die Besucher*innen ziehen Kraft aus den drei Tagen. Auf der Strandbühne blicken die Bands während ihres Auftritts hinaus auf die Nordsee im Jadebusen. Direkt am Wasser und im Einklang der Tiden stehen die Fans oft barfuß im Sand, alles ist detailreich und liebevoll arrangiert.

Der berühmte Rhabarberkuchen des Kurhauses am Rande des Geländes wird auch direkt am Strand neben Kaffeespezialitäten verkauft und kann genossen werden, während auf den vier Bühnen Bands, Solokünstler*innen und Autor*innen auftreten. Direkt am Wattenmeer gibt es neben der Hauptbühne das je nach Ebbe oder Flut im Wasser schwimmende oder auf Watt stehende Floß am Rande des Geländes und mittendrin die mit vielen Helfer*innen aus Holz gebaute Palette von Flowin Immo. Die vierte Bühne „La Mer“ steht von Holzbauten umringt an der Promenade und wechselt das Programm mit der Hauptbühne ab.

Stimmungsvoller Auftakt unter strahlendem Himmel

Nach viel Regen im Vorfeld ist es zur Eröffnung um 14:00 Uhr sonnig, als mit Moop Mama eine bekannte und beliebte Band der letzten Jahre spielt. Ein entscheidender Punkt ist jedoch anders als sonst: Nach der Trennung von Frontmann Keno ist es der erste größere Auftritt mit der neuen Sängerin Älice, die einige von Chefboss kennen dürften. Alles andere bleibt gleich: Stimmungsvolle Blasmusik und kollektive Energie. Auf La Mer liefert Anaïs zu Beginn schöne Indie-Pop-Klänge und einen entspannten Auftakt oben am Festland – höchstens mit einem Schwung zu viel Animation, die Musik würde auch ohne funktionieren.

Blond wurde erst am gleichen Tag als einer von vier Secret Acts bestätigt, als spontane Überraschung ziehen sie bei Ebbe viele Leute vor die Strandbühne und sorgen für Stimmung. Die beiden Schweizer Acts Sophie Hunger und Bonaparte haben sich ursprünglich für eine TV-Show zusammengefunden und später eine gemeinsame EP veröffentlicht. Was auf den ersten Blick widersprüchlich wirkt, passt aber perfekt zusammen – sie spielen ihre gemeinsamen Stücke, aber auch viele jeweilige Solo-Songs.

Während unter strahlend blauem Himmel langsam die Flut zurückkommt und es vor den Bühnen voll wird, lassen sich viele Familien vom eigenen Kinderprogramm begeistern. Zu Donkey Kid auf der Palette wird im Sand getanzt, während den Musiknerds bei melancholischem Indie auffällt, dass der Bassist sein Instrument stilvoll verkehrtherum spielt. Für das instrumentale Ezra Collective aus London ist das Watt En Schlick eines der schönsten Festivals, auf denen sie bisher spielen durften. Sehr spielfreudig und spielstark bieten sie eine Mischung aus Jazz, Hip-Hop, Afrobeat und Reggae mit Saiten-, Tasten- und Blasinstrumenten.

Disarstar ist der zweite Secret-Act des Tages, wie schon bei Blond dürfte die späte Bekanntgabe an Gebietsschutz-Klauseln in den Deichbrand-Verträgen liegen. Der Rapper überzeugt mit klaren Ansagen und starken politischen Statements, live ist er technisch stark und das Schlagzeug auf der Bühne bereichert den Auftritt enorm. Nur die vielen durch Animation „erzwungenen“ und nicht natürlich entstandenen Moshpits hätten nicht sein müssen – immerhin dürfen sich beim Flinta-Pit am Ende viele Menschen austoben, die in der Stunde davor vielleicht lieber im hinteren Bereich oder an der Seite gestanden haben.

Bukahara haben als Headliner des ersten Abends jüngst ihr namentlich bestens hierher passendes Album „Tale Of The Tides“ veröffentlicht. Die vier Multi-Instrumentalisten spielen in ungewöhnlicher und wechselnder Zusammenstellung an Kontrabass, Geige, Trompete, Posaune, Gitarre, Bass, Schlagzeug und vielem mehr. Das Set-Up der Folk-Pop-Band mit großen internationalen Einflüssen und Wurzeln ist schon beeindruckend. Die eher ruhige und bedächtige Musik macht es ihnen allerdings schwer, Energie zu transportieren, zudem haben sie Anlaufschwierigkeiten durch technische Probleme. Als der Auftritt nach 45 Minuten erstmals richtig in Schwung kommt, lässt dies leider schnell wieder nach. Bukahara machen den Fehler, die offenbar anhaltenden technischen Schwierigkeiten immer wieder zu thematisieren – hätten sie einfach wie Profis durchgezogen, es wäre wohl kaum jemandem aufgefallen. So trübt es die Stimmung und als nach 75 Minuten nur noch eine Viertelstunde zu spielen wäre, verlassen sie sogar ganz die Bühne. Stilistisch zwar beeindruckend und musikalisch hochklassig, heute aber mit unprofessionellem Ende und insgesamt wohl im Nachmittagsprogramm besser aufgehoben als auf dem Headliner-Slot.

Samstag zwischen Schlagerstrudel und Starkregen

Zum Auftakt des zweiten Tages erklingt die Eurovisions-Hymne, bevor Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys die Sektlaune mit Italo-Schlager einläuten. In stimmiger Kulisse steht das Schlagzeug auf der „Ponte Di Dialto“, es ist von „Telepass“, „Bella Napoli“ und „Gelato“ zu lesen. In der knallenden Mittagssonne und zu Ansagen der „41-jährigen Bandgeschichte“ schmeckt der Aperol, die Stimmung ist gut gelaunt und gelöst, der Auftritt humorvoll und unterhaltsam. Von weißen Anzügen bis zu Gummistiefeln ist im Publikum alles zu sehen. Der Circle Pit heißt hier „zivilisierter Schlager-Strudel“, es sollte einer der größten des Wochenendes werden, und aus der Wall Of Death wird die „Wand der Begegnung“. Amore für alle!

Der junge Newcomer Berq genießt aktuell einen Hype und darf um 13:00 Uhr auf einen vollen Strand vor der Palette blicken. Mit Gitarrist und Bassist baut er sich sein eigenes Repertoire gerade erst auf und covert deshalb in der Mitte seines Sets „Ich wünschte, du wärst verloren“ von Schmyt, der im letzten Sommer hier spielte und mit dem Berq erst kürzlich als Support-Act unterwegs war. Levin Liam wirkt auf der großen Strandbühne ganz ohne Instrument und nur mit DJ trotz guter Songs zwischen Indie und Hip-Hop etwas verloren. Bei Dominik Hartz dagegen bleiben die Leute trotz einsetzendem Starkregen stehen. Der heftige Regenguss ist allen egal, inklusive des spielstarken Sängers, der sich einfach mit in den Circle Pit über die matschigen Platten wirft. Eine ganz starke Stunde!

Zu Alli Neumann zeigt sich die Sonne wieder, ihre gut geschriebenen Popsongs sind wie gemacht für eine entspannte Zeit am Nachmittag. Zeck übernimmt ebenfalls sommerlich und bestens aufgelegt solo mit seiner Gitarre auf La Mer. Bei Peaches gehen die Meinungen etwas weiter auseinander, die in Kanada geborene und in Berlin lebende Sängerin polarisiert. Als Performance-Künstlerin und feministisches Gesamtkunstwerk steht sie im Elektroclash-Sound mal im Anzug mit aufgeklebten Brüsten, mal in Lack und Leder und oft fast ganz nackt auf der Bühne.

Der Bremer Orbit darf mit seinen verträumten und künstlerisch wertvollen Sounds in der Abendsonne ran, während diese über dem Meer langsam untergeht – ein perfektes Setting! Nachdem das Duo Sleaford Mods einen minimalistischen Auftritt mit wütend hämmernden Sounds spielt, ist FM Belfast die letzte Band des zweiten Tages beim Watt En Schlick und drückt die Laune wieder nach oben. Tanzbarer Elektro-Pop, organisiertes Chaos, bunte Klamotten, Geburtstagsdekoration und Disco-Sound zeichnet die Gruppe aus Island aus, die in ihrer Gute-Laune-Welt wie entfesselt sind und ihr Publikum damit anstecken. Die Headlinerin Roísín Murphy musste leider krankheitsbedingt absagen und wurde spontan durch DJ Koze ersetzt, der die Leute unten am Strand zum Tagesabschluss nochmal zum Tanzen bringt.

Gefeierte Newcomer*innen und eine Indie-Rock-Institution

Nach der traditionellen Weltmeisterschaft im Schlickrutschen verzaubert die griechische Indie-Pop-Künstlerin Σtella den Strand mit warmen, nostalgischen Klängen. Temmis starten bei strahlendem Sonnenschein mit „Sommer vorbei“, was ironischerweise eine selbsterfüllende Prophezeiung ist, denn wenig später schüttet es wieder wie aus Eimern. Doch um bei Temmis zu bleiben: Was hier auf der Palette passiert, ist grandios! Ihre dringlichen, emotionalen Texte paaren die Wahl-Hamburger mit musikalischer Detailverliebtheit zwischen Rock und Elektro, die man Indietronica oder gerne auch „neue, neue deutsche Welle“ nennen darf. Temmis sind extrem präsent und spielstark, es macht einfach Spaß im Sand zu tanzen und der Auftritt bleibt als einer der besten des Wochenendes in Erinnerung.

Son Mieux aus den Niederlanden bringen extrem tanzbare, bisweilen kitschige Gute Laune-Musik mit Geige, Keys und prägnanten 90s-Touch an den Strand. Ditz zerlegen in den letzten Festivalstunden im wahrsten Sinne die Palette, da sich bei der brachialen Musik ein Stück Holz oben gelöst hat. Mit dunklem und dreckigem Post-Punk und hoher musikalischer Intensität klettert der Sänger auf alles, was ihm ins Sichtfeld kommt. Erst der Bauwagen mit der Technik gegenüber der Bühne, dann mit großer Mühe das steinerne Gebilde daneben. Schließlich läuft er mit Mikrofonkabel weit ins Watt und wirft Schlick auf die Besucher*innen. Extrem spannend und nachhaltig im Kopf bleibend.

Fatoni bringt technisch stark und mit Drums Deutschrap auf die Hauptbühne, nach der Hälfte muss das Gelände allerdings wegen Gewitter evakuiert werden. Wenige Augenblicke nach der Durchsage beginnt Starkregen – was für ein Wechselbad des Wetters in diesen Tagen. Doch schon gut 20 Minuten später geht es musikalisch weiter und Fatoni kann sein Set leicht verkürzt beenden.

Viele Acts beim Watt En Schlick Fest bleiben über mehrere Tage hier und schauen sich ihre Kolleg*innen vor der Bühne an. Vielen von ihnen werden traditionell am letzten Abend von Flowin Immo für dessen Allstar-Session zusammengetrommelt. Es gibt unterhaltsamen Freestyle an Instrumenten und dazu Rap-Lines, dabei sind unter anderem Francesco Wilking, Mitglieder von Moop Mama wie Jan Rößler an der Posaune und, ganz frisch von seinem eigenen Auftritt herbeigeeilt, Fatoni – der im ersten Jahr von Moop Mama bis 2010 ebenfalls Teil des Kollektivs war. Nebenan läuft abschließend Indie-Pop mit Soul-Einflüssen von Tigermilch auf dem gerade im Watt stehenden Floß.

Maximo Park spielen im 20. Jahr ihres Bestehens britischen Indie-Rock an der niedersächsischen Nordseeküste, besonders treffend ist hier der Titel „The Coast Is Always Changing“ des Debütalbums. Sänger Paul Smith performt als Rampensau und Entertainer charismatisch zu den gitarrenlastigen Klängen seiner Band, ein rundum gelungenes Gesamtpaket. Headlinerin des dritten Tages ist zum großen Festivalabschluss Nina Chuba, eine der aktuell gefragtesten und beliebtesten deutschen Künstlerinnen. Während Maximo Park vor allem die älteren Besucher*innen begeistert hat, zieht Nina Chuba die Jugend in ihren Bann. Mit ihrem Mix aus Dancehall, R’n’B und Hip-Hop ist sie derzeit in aller Munde und sorgt für einen gefeierten Abschluss am Strand.

So endet die Jubiläumsausage des wunderschönen Watt En Schlick Fests. Am folgenden Vormittag gehen die Karten für das Festival im folgenden Jahr in den Vorverkauf und sind erwartungsgemäß sofort vergriffen. Repräsentativer könnte das Feedback zur diesjährigen Veranstaltung nicht ausfallen.

Seht euch hier unsere Bildergalerien des Watt En Schlick Fests an:

 


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