Auf der Suche nach Highlights
Trotz des kurzfristigen Ausfalls von Publikumslieblingen und der tragischen Absage eines Headliners im Vorfeld, bot das Deichbrand Festival 2019 einige musikalische Höhepunkte. Eine Zeitreise durch vier Tage Staub, Schnaps und Spaß.

Nordholz. Eine Wochenenddosis Festivalwahnsinn haben 60.000 Besucher des Deichbrand Festivals bei Cuxhaven hinter sich. Vier lange Tage und Nächte feierten sie mit Freunden vor den sechs Bühnen oder auf dem Campingplatz. Durch das in den Spitzen für viele Fans etwas dünn besetzte Line-Up fehlten einigen die großen internationalen Acts – verstärkt durch einen enttäuschenden Auftritt von Headliner Thirty Seconds To Mars. Genauer betrachtet bot das Bandangebot aber auch in diesem Jahr viele Highlights und intensive, sehr gute Konzerte – von der Newcomerstage bis zur Hauptbühne.
Nach der ersten Anreisewelle am Donnerstag und Zeltaufbau im strahlenden Sonnenschein, eröffnet der Bremer Grillmaster Flash mit seiner Band am späten Nachmittag die Jever Hafenbar. Auf der geschlossenen Bühne findet auf Sand ein Großteil des heutigen Programms statt. Passend zum Namensgeber der Location wird zu den ersten musikalischen Klängen angezapft. Es ist ein gut gelaunter Stimmungstest vor großem Publikum, der Band und Besuchern Spaß macht. Eine Spur härter geht es im Anschluss mit Alternative-Rock der ebenfalls sehr spielstarken Betamensch weiter. Richtig voll wird es danach bei den Deichbrand-Dauerbrennern von Odeville, die gewohnt ausgelassen ins Publikum springen, Shirts verteilen und mit den Fans feiern. Nebenan wummert seit der Mittagszeit die Elektro-Bühne, tanzbar wird es auch nachts bei Beauty & The Beats und Drunken Masters auf dem Disco! Bay – volle DJ-Action für die Massen! Einen packenden Auftritt in richtiger Clubatmosphäre gibt es um Mitternacht erneut in der Hafenbar – diesmal mit Bloodhype, definitiv eine Entdeckung des Tages!
Rasanter Start und enttäuschender Headliner am Freitag
Ohne Aufwärmphase geht es in den musikalischen Teil des Freitags, als das gesamte Infield öffnet. Skindred fordert die Besucher auf, mit ihren T-Shirts zu wedeln, bei Chefboss geschieht dies mit Tausenden Bandhandtüchern, die vorab verteilt wurden. Die Beats auf der Bühne knallen fast so sehr wie die Sonne vom Himmel. Die aufgeschütteten Sandberge bieten Gelegenheit zum Entspannen und der Jägermeister-Hirsch röhrt über das Gelände – Feuer aus dem Geweih bedeutet eine Runde Schnaps für die sich gerade darin aufhaltenden Besucher. Von dort aus kann man zudem gut auf die beiden Hauptbühnen schauen, die gewohnt abwechselnd bespielt werden, sodass kaum Pausen entstehen. Nachdem De Staat eher Liebhabermusik machen, wird es mit Wanda wieder massentauglich. Störte uns bei den Österreichern zuletzt vor allem ein sehr langer, lahmer Teil in der Mitte des Sets, ist davon diesmal nichts zu sehen. Eine positive Überraschung mit ganz viel „Amore“ für’s Volk schon zu Beginn.
Nach der verletzungsbedingten Absage von Feine Sahne Fischfilet und dem tragischen Ende von The Prodigy durch den Tod des Sängers, gingen vielen Besuchern musikalische Anlaufpunkte verloren. Doch manche Konzerte ziehen wiederum überraschend große Fanscharen an. Bei Left Boy im Palastzelt gibt es früh einen Einlassstopp, drinnen stehen die Leute dicht gedrängt. Entspannter ist da der Auftritt von Blood Red Shoes in der Abendsonne – endlich auch eine Rockband mit weiblicher Stimme!
„Indie Is Out“ – keine wirkliche Überraschung, aber eine Bestätigung, als Neufundland im dünn besetzten Zelt auftreten und die Massen zeitgleich zu Samy Deluxe mit seinem Unplugged-Programm pilgern. Die Kölner klingen mit ihrem neuen Album rockiger als auf Platte und spielen sehenswerte 45 Minuten – mit der Power hätten sie größeres Publikum verdient. Danach gibt es im Gegensatz zum gleichzeitig draußen stattfindenden Auftritt von Bonez MC & RAF Camora im Palastzelt noch Musik mit Bedeutung. Tocotronic legen einen grandiosen Auftritt hin, der bis in die Haarspitzen fesselt und elektrisiert. Die Hamburger zeigen sich enorm spielstark – ein Höhepunkt des Festivalwochenendes. Natürlich ist bei ihnen alles live gespielt – keine Selbstverständlichkeit beim Festival, wie der folgende Auftritt mit einem Negativbeispiel klarstellt.
Bei Thirty Seconds To Mars wird vielen wohl erstmals bewusst, dass immerhin 60.000 Leute das Festival besuchen – es ist brechend voll! Mitunter mutet es aber komisch an, wenn bei den fetten Sounds nur zwei Musiker und ein an die Bühnenseite gestelltes Live-Mitglied performen. Fast alles kommt aus der Konserve! Der Fokus des Konzerts liegt allein auf der Show – gleich zu Beginn werden unzählige riesige Bälle ins Publikum geworfen, die fortan umherfliegen, die Besucher sollen sich gegenseitig auf die Schultern nehmen, andere werden auf die Bühne geholt, es gibt Nebel, eine Lichtshow, aber der Eindruck bleibt: Man sieht nicht annähernd, was man hört. Es wirkt, als wären Jared Leto und sein Bruder Shannon nur die Begleitband bei 90 Minuten Publikumsanimation. Rein musikalisch gesehen ist der Auftritt belanglos und langweilig, es findet viel Selbstdarstellung mit wenig Inhalt statt.
Parallel spielt der Brite Tom Grennan im Zelt, wo trotz des undankbaren Slots ein paar Leute sind, je länger die US-amerikanischen Headliner nebenan spielen, desto mehr werden ist. Richtig viel Spaß machen nachts die sehr locker aufspielenden Fettes Brot, die Hartgesottenen rocken anschließend noch bei Marathonmann ab 1:30 Uhr in der Hafenbar.
Sportlicher Start in den Samstag
Die anschließende Nacht ist recht kurz, da sich die Donots zum 25-jährigen Bandjubiläum etwas besonderes ausgedacht haben. Normalerweise spielen sie aufgrund ihrer Bekanntheit eher im Abendprogramm, heute laden sie um 12:00 Uhr in der Mittagssonne zum Frühsport ein. „Bier-Cardio“ nennen sie das, während sie in Trainingsanzügen Liegestütze in der Mitte eines Circle Pits machen. Ein kurioser und besonderer Auftritt! Nicht mehr so knackig voll, eben normal besucht für die Mittagszeit ist anschließend das Konzert von Deaf Havana. Die bei den Deichbrand-Gängern sehr beliebten Dauerbrenner Rogers wollen wieder viele Leute sehen – auch Donots-Sänger Ingo lässt sich für einen gemeinsamen Song auf der Bühne blicken. Mit seiner eigenen Band wiederum spielt er später noch ein zweites, besonderes Konzert. Spontan angekündigt, platzt die Jever Hafenbar trotzdem aus allen Nähten, als die Ibbenbührener die Bühne betreten. Es ist eine im besten Sinne dreckige Punkrock-Show auf Sand und in Clubatmosphäre.
Wie nach einer Warnung befürchtet gibt es am Nachmittag kurzzeitig starken Regen und mehrere Stunden Nieselregen. Auch von leichten einsetzenden Gewittern lassen sich die Fans nicht irritieren – wofür gibt es Regencapes? Pünktlich zum Konzert von Dendemann auf der Hauptbühne ist es wieder trocken, bei The Kooks fast schon wieder sommerlich. Ein wahnsinnig intensives und packendes Konzert spielen Biffy Clyro auf der Water Stage – ein Auftritt zwischen Gänsehaut, Euphorie und zu rockigen Klängen springenden Besuchern. Große Videoanimationen und eine starke Licht- und Lasershow erleben die Fans ab Mitternacht bei The Chemical Brothers. Nachts spielt noch Adam Angst in der Jever Hafenbar, auch hier gibt es einen Einlassstopp. Macht aber nichts, denn mit dem Set der DJs aus dem Bremer Tower Musikclub gibt es eine erstklassige Gelegenheit, um bis tief in die Nacht zu feiern.
Heimspiel und Schauspiel zum großen Finale
Die kurzen Nächte hängen nicht nur mit langen Abenden zusammen, denn am Sonntag geht es erneut früh raus. Auf der Hauptbühne gibt es Post-Hardcore mit Lokalkolorit, denn Watch Out Stampede aus Bremen eröffnen mit einer lockeren Performance. Am letzten Festivaltag gibt es insgesamt noch 15 Livemusik zu sehen. In der Mittagszeit berieseln Arkells die Besucher mit Alternative-Rock, bevor es bei Swiss & Die Andern wieder mehr in die Punk-Richtung geht. Tom Walker überzeugt mit viel Gefühl und ausdrucksstarker Stimme in der Nachmittagssonne. Ein Highlight des Tages ist Mines Auftritt mit erstklassiger Live-Band im Palastzelt.
Den ganzen Tag über wird am hinteren Bühnenteil schon an der Kulisse für Headliner Alligatoah geschraubt, deshalb spielen Madsen heute auf einer halben Bühne – das allerdings mit doppelter Energie. Riesige Moshpits und Staubwolken entstehen und Tausende glückliche Besucher erleben eines des besten Konzerte des Festivals. Abends ist es dann ein Heimspiel für Alligatoah. Als Kulisse dient eine große Hotelfront mit Live-Band, die zwei Seiten der Drehtür werden dabei ständig umgebaut und zu den Songs passend gestaltet. Es ist ein gelungene Mischung aus Musik und Entertainment und ein oft lustiger, kurzweiliger Auftritt.
Nachts spielt Juju noch ein 30-minütiges Set inkl. Einlassstopp im randvollen Zelt, bevor Frittenbude mit viel Ekstase um 3:00 Uhr nachts ihre Show und damit das Deichbrand Festival 2019 beenden. Im kommenden Jahr findet das Deichbrand von 16. bis 19. Juli 2020 statt. Tickets gibt es bereits im Vorverkauf.
Ganz viele Fotogalerien findet ihr in unserem Deichbrand-Dossier.
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