AnnenMayKantereit – „Es ist Abend und wir sitzen bei mir“

AnnenMayKantereit veröffentlichen ihr neues Album über das bandeigene Label AnnenMayKantereit Records

Ja, AnnenMayKantereit sind immer auch ein bisschen schnulzig, befindlichkeitsfixiert und emotional. Ja, das ist alles sehr poppig. Und ja, es könnte auch auf einer Studenten-Schlager-Party laufen. Inhaltlich beschäftigen sich die Kölner mit  Themen, die gerade ältere Hörer schon X-Mal gehört, selbst erlebt und mitgemacht haben. Probleme, die eigentlich lange zurückliegen. Aber AnnenMayKantereit haben dieses Talent, dass sie Storys erzählen können, die dann doch irgendwie ganz schön viele Menschen auf irgendeine Art und Weise ergreifen. Nicht umsonst füllen sie mittlerweile Fußballstadien. Ähnlichkeiten zu einer anderen Kölner Band sind da sehr, sehr deutlich. Nur: Sänger Henning May hat eben nicht diesen Wolfgang-Niedecken-BAP-Dialekt.

Nun gut. AnnenMayKantereit haben ein neues Album gemacht. Henning May, Severin Kantereit und Christopher Annen halten darauf ihre Erlebnisse, Geschichten und Augenblicke fest. Wie sollte es auch anders sein, es geht in den Songs um Freundschaft, Liebe, Leben und den ganzen Kram dazwischen. Um ihre Momente.

Im Opener „Lass es kreisen“ singt Frontmann May „Ich will mal wieder mit dir die Kontrolle verlieren“ – doch irgendwie ist dieser Song zu medidativ, zu tüddelig, auch wenn er wilde Elemente hat. Gleich der zweite Song „3 Tage am Meer“ reißt es aber wieder raus beziehungsweise er reißt mehr mit. Mit „Orangenlied“ hat Henning May nach „Oft gefragt“ (2013) zum zweiten Mal ein Lied über und für seinen Vater geschrieben, und irgendwie wird er bei diesem Thema immer besonders gut: „Geschichten werden vergessen/Wenn niemand sie mehr erzählt“, singt er – und benennt damit ein zentrales Problem unserer Zeit. Aber hier soll jetzt nicht auf jeden Song eingegangen werden.

Das Album soll an mehreren Abenden mit Freunden, Mitstreitern und anderen Musikern im Studio enstanden sein. Das zeigt, dass den Kölnern wichtig ist, die Bodenhaftung zu behalten, auch wenn sie mittlerweile zu den erfolgreichsten Bands Deutschlands gehören – alle drei Alben hatten Gold- und Platinstatus. Noch mehr Zahlen?  Ihre Videos wurden über 920 Millionen Mal auf YouTube geklickt, sie haben 1,4 Millionen TikTok-Follower und über 950.000 bei Instagram, bei Spotify hören ihnen monatlich fünf Millionen Menschen zu.

Es ist das vierte, von Markus Ganter und Fabian Langer produzierte Album. Und ja, manchmal hat es was von Proberaum. Aber es ist auch keine biertrunkene Partyplatte geworden. Das ganze ist reifer als die ersten Werke. Es ist harmonischer, vielleicht auch melodischer. Aber es fehlt dieses Kantige und Raue – das is alles viel glatter. Immer wieder schimmert, dieses rotzige Straßenmusiker-Ding durch, aber es fehlt auch an einigen Stellen. Viele Stücke, haben  schöne Zeilen und dann folgen leider manchmal Phrasen. So schöne Beschreibungen und dann der eine platte Satz dawischen. Ach .. am Ende mag man es einfach oder eben nicht.

Das Album „Es ist Abend und wir sitzen bei mir“ bekommt gegen Ende wieder die Kurve. Mit den Fußball-Songs und denen über die Stadt Köln. Gemeint ist „Kein Stern“ eine Fußballanalogie auf die Ängste und Niederlagen des Lebens mit einer Hommage an Zinédine Zidane. („Wieder Flutlicht überm Ascheplatz – und was mir das bedeutet“ (…) ich hab mir den Dreck aus den Wunden gewaschen“).

Auch wenn May und Kantereit inzwischen in Berlin wohnen: Das Herz all dieser Aktivitäten ist immer noch Köln. Gleich zwei Lieder auf diesem Album handeln von dem sogenannten Millionendorf am Rhein. Im ersten Kölnlied, „Weißhausstraße“, erzählt Henning May von frühen Abenteuern in der Großstadt, wie man sie nur machen kann, wenn man jung ist: „Zu Beginn der Zehnerjahre war die Weißhausstraße für uns ein ganz besonderer Ort in Köln“, sagt er. Wenn aus einem Abend langsam Nacht wird, gehen die Ersten. Und die Geschichten verändern sich. Man wird auch mal nostalgisch, erzählt von früher oder zweifelt an der Zukunft. „Tommi“ ist das zweite Kölnlied – und eine Premiere für diese Band. Henning May bewirbt sich hier nicht gleich für Bap oder die Bläck Fööss, aber er wechselt im Refrain unüberhörbar in die warmherzigste aller deutschen Mundarten: „Da wo wir zusammen groß geworden sind/Da ziehen wir alle irgendwann wieder hin“, singt May auf Kölsch. „Damit die Kinder, die wir kriegen können/Alle in Kölle geboren sind.“ Plötzlich wird klar: „Es ist Abend und wir sitzen bei mir“ ist wie das Leben selbst. Mit all seinen kleinen Siegen und großen Niederlagen, mit der Liebe, den Verlusten, der Angst, der Freude und der Zuversicht.

 

 


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